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Nach den Anschlägen in Paris
Neues Überwachungsgesetz in Frankreich

Im französischen Parlament wird seit dieser Woche ein neues Gesetz verhandelt, das die Rechte des staatlichen Geheimdienstes erheblich ausweiten würde. Für die Regierung ist eine Erneuerung der Regelung nötig - schließlich stammt das letzte Geheimdienstgesetz noch von vor der Einführung des Internets. Doch Kritiker fürchten, Frankreich könnte sich in einen regelrechten Überwachungsstaat verwandeln.

Von Lisa Louis | 18.04.2015
    Französische Flagge vor einer Frauenstatue vor Nachthimmel
    "Le Triomphe de la République" heißt diese Statue am Place de la Nation in Paris. (JOEL SAGET / AFP)
    Die Anschläge Anfang Januar in der französischen Hauptstadt Paris. 17 Menschen sind damals bei brutalen Attentaten auf das Satiremagazin Charlie Hebdo und den jüdischen Supermarkt Hypercasher ums Leben gekommen. Die sozialistische Regierung versprach daraufhin, alles zu tun, damit so etwas nie wieder geschehen könne. Mit diesem Argument hat sie jetzt ein Gesetz ins Parlament gebracht, das die Befugnisse des staatlichen Geheimdienstes stark ausweitet. Der sozialistische Parlamentarier Philippe Fauche hat es mit ausgearbeitet.
    "Überwachungstechnik hat sich extrem weiterentwickelt seit dem letzten Geheimdienstgesetz aus dem Jahr 1991. Damals gab es schließlich noch keine Mobiltelefone und auch kein Internet. Wir müssen dringend unsere Gesetze auf den neuesten Stand bringen."
    Französische Geheimdienstler sollen so künftig die neuesten Mikros und Antennen benutzen dürfen. Zudem wären mehr Bürger als Verdächtige definiert und dürften überwacht werden. Absegnen könnte eine Überwachung künftig der Premierminister, eine unabhängige Kommission hätte nur eine beratende Funktion.
    Überwachungsstaat à la George Orwell
    Doch das Überwachungsgesetz stößt auf heftigen Widerstand. Über 80.000 Menschen haben ein Online-Bürgerbegehren dagegen unterzeichnet. Journalisten, Anwälte, Ärzte und Richter sprechen sich in den Medien heftigst gegen den Gesetzesentwurf aus. Einer der Gegner ist Tristan Nitot. Der Internetunternehmer ist Mitglied des Nationalen Digitalen Rates, einer unabhängigen Kommission für die Wahrung der Persönlichkeitsrechte im Internet. Für ihn ist das Gesetz ein erster Schritt zu einem Überwachungsstaat à la George Orwell.
    "Mit diesem Gesetz kann die Regierung bei allen Internet- und Serverprovidern regelrechte schwarze Kisten installieren - also Computer mit Programmen darauf, die unter Staatsgeheimnis stehen. Diese Kisten prüfen, ob Internetbenutzer sich verdächtig verhalten - und gucken zum Beispiel, auf welche Seiten sie klicken. Das ganze Land wird überwacht werden. Und wir wissen noch nicht einmal, nach welchen Kriterien - denn die sind nicht genau definiert."
    Doch Parlamentarier Philippe Fauche sagt, nur Metadaten würde man mit den schwarzen Kisten sammeln - also nicht, was man in Emails schreibt, sondern nur, an wen man sie schreibt.
    "Diese Maschinen zeigen uns, ob sich ein Internetbenutzer wie ein Terrorist verhält. Sie werden nur eingesetzt, um künftige Terrorattacken zu verhindern."
    Mit dem Gesetz vollzieht die sozialistische Regierung einen Rechtsruck. Unterstützt wird sie von zahlreichen Abgeordneten der konservativen Oppositionspartei UMP. Doch die Linksparteien und der eigene linke Flügel der Sozialisten wehren sich gegen die Initiative. Pouria Amirshahi ist der sozialistische Abgeordnete für Franzosen im Ausland.
    Online-Petition ins Leben gerufen
    "Das Problem bei diesem Gesetz ist, dass es dem Premierminister praktisch freie Hand lässt. Er - und nicht etwa ein Richter - kann künftig entscheiden, wer überwacht wird. Es wird zwar eine neue Kontrollkommission geben, aber die hat doch nur eine beratende Funktion. Ich habe deshalb einen Änderungsantrag gestellt, um dieser Kommission ein wirkliches Mitspracherecht zu geben. Wenn man tatsächlich unsere Persönlichkeitsrechte schützen will, muss man dafür auch jetzt schon eine wirkliche Gewaltenteilung schaffen, um sich vor Missbräuchen schützen zu können."
    Nur, wenn die Regierung das Gesetz stark abändert, will Amirshahi dafür stimmen. Für Internetunternehmer Nitot ist vor allem wichtig, dass die schwarzen Kisten aus dem Gesetz gestrichen werden. Dafür hat er vor drei Tagen eine Online-Petition ins Leben gerufen. 1.000 Unternehmen haben sich ihr schon angeschlossen. Ein Funken Hoffnung für Nitot - auch wenn er sich mehr Entrüstung vom Rest der Bevölkerung versprochen hatte. Bisher bleiben große Demonstrationen auf den Straßen des Landes aus.
    "Es gibt einen wirklichen Mentalitätsunterschied zwischen Franzosen und Deutschen in dieser Hinsicht. Wir haben keinen Überwachungsstaat im vergangenen Jahrhundert erlebt. Für uns ist das alles ein abstraktes Problem. Die Deutschen sind sich viel mehr darüber bewusst, in welchem Maße es geradezu dramatisch ist, wenn man seine Privatsphäre verliert."
    Nitot und alle anderen Gegner des Gesetzes haben noch einige Wochen, um ihre Mitbürger doch noch zu mobilisieren. Abgesegnet wird der Gesetzesentwurf nicht vor Ende Mai.