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Nach den Europawahlen
Wie geht es in Brüssel weiter?

Das Amt des EU-Kommissionspräsidenten ist einflussreich - und begehrt. Und so ist die Suche nach einem Nachfolger von José Manuel Barroso komplex. Denn egal ob Staaten oder Parteien - alle haben ihre eigenen Interessen.

Von Annette Riedel | 26.05.2014
    Steht hier bereits der nächste EU-Kommissionspräsident? TV-Debatte der Spitzenkandidaten für die Europawahl
    Steht hier bereits der nächste EU-Kommissionspräsident? TV-Debatte der Spitzenkandidaten für die Europawahl. (picture alliance / dpa / Olivier Hoslet)
    Von den fünf Spitzenkandidaten scheinen nur Jean-Claude Juncker und Martin Schulz in der Lage zu sein, die nötige Mehrheit im Parlament zu organisieren. Das sagt zumindest die „Grüne"-Spitzenkandidatin Ska Keller: "Wir finden es erst einmal wichtig, dass wirklich nur Kommissionspräsidentin oder Kommissionspräsident wird, wer auch wirklich als Spitzenkandidatin oder Spitzenkandidat angetreten ist. Das ist uns sehr wichtig."
    Auch wenn Juncker erkennbar den ersten Aufschlag wird machen können, als Kandidat der größten Fraktion im EU-Parlament, ist es nicht gesagt, dass er am Ende auch wirklich EU-Kommissionspräsident wird. Außerdem kann sich der Prozess hinziehen, bis entweder doch er oder Schulz, oder dann vielleicht als Plan C der Spitzenkandidat der drittgrößten Fraktion, der Liberale Verhofstadt, der neue EU-Kommissionspräsident werden kann.
    Eigentlich wollen die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel Ende Juni, nach Konsultationen mit dem Parlament, ihren Personalvorschlag machen. Das neue Parlament könnte in seiner zweiten Sitzungswoche im Juli dann den neuen EU-Kommissionspräsidenten wählen. Könnte...
    Angst vor der institutionellen Krise
    Oder Rat und Parlament blockieren sich mit dem Festhalten an einem für die jeweils andere Institution nicht akzeptablen Kandidaten. Dann, fürchtet der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok, kann es zu einer institutionellen Krise kommen: "Die institutionelle Krise kann der Rat vermeiden, wenn er sich am Ergebnis der Wahlen und dem Willen der Wähler orientiert."
    Der EU-Kommissionspräsident spielt eine wichtige Rolle im Konzert der EU-Institutionen. Er ist wichtiger, als möglicherweise jedem auf Anhieb klar ist, vermutet Klaus Welle, Generalsekretär des Europäischen Parlaments.
    "Die Kommission hat das alleinige Initiativrecht für alle Gesetzgebungsvorschläge in der Europäischen Union", sagt Welle. "Und der Kommissionspräsident bestimmt die Tagesordnung. Das heißt, er kontrolliert, welche Gesetzgebungsvorschläge gemacht werden. Das heißt, je nachdem, wer Kommissionspräsident wird, bekommt man möglicherweise eine völlig andere politische Agenda."
    Und nicht nur das.
    "Und er hat natürlich auch Einfluss auf die Auswahl seines Teams – wer bekommt welches Dossier, welches Portfolio... Das heißt der Kommissionspräsident ist die zentrale Schaltstelle in der Europäischen Union."
    Zumal die EU-Kommission als Hüterin des Europäischen Rechts auch gegen einzelne Mitgliedsländer vor dem Europäischen Gerichtshof klagen kann, wenn sie, wie Deutschland etwa bei der Vorratsdatenspeicherung, geltendes EU-Recht nicht umsetzen bzw. bei der Umsetzung dagegen verstoßen.
    Den Kommissionspräsident gibt es nur im "Paket"
    Der Kommissionspräsident ist zudem die erste von einer Reihe wichtiger Personalentscheidungen, die auf EU-Ebene anstehen, die alle irgendwie miteinander zusammenhängen, und nur – typisch EU - als Paket zu denken sind. "Das muss zuerst entschieden werden, weil das mit Wählerwillen zu tun hat"", sagt Elmar Brok. "Da bin ich allerdings der Meinung, dass ein Ausgleich gefunden werden muss, wenn man etwa über die Position des Europäischen Rates oder des europäischen Außenministers redet. Da sollten wir auch andere Parteienfamilien mit einbeziehen."
    Neben dem Nachfolger oder der Nachfolgerin für die Außenbeauftragte der EU, Catherine Ashton und Ersatz für den scheidenden Ratspräsidenten Herman van Rompuy, muss auch der neu zu wählende Präsident der EU-Parlaments mit in die ‚Paket-Lösung'. Und die will durchdacht sein, sagt Hugo Brady vom Brüsseler Think Tank "Center for European Reform". Die unterschiedlichen Parteifamilien zu berücksichtigen ist dabei nur eine Sache. Da muss in der EU vieles bedacht werden, meint Brady: "Zu bedenken sind Nord/ Süd, Arm/ Reich, Euro/Zone, Nicht-Eurozone, Mann/ Frau."
    Nicht zu vergessen: Ost/ West, Groß/Klein. Eine komplizierte Angelegenheit.