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Nach der Brexit-Entscheidung
"Für Hochschulen werden die Dinge komplizierter"

Die Hochschulsysteme Deutschlands und Großbritanniens seien sehr eng miteinander verbunden, sagte der Direktor des Deutschen Akademischen Austauschdienstes DAAD in London, Georg Krawietz im DLF. Nach dem Brexit wird die Zusammenarbeit aufwendiger und bürokratischer, glaubt er. Für Ausländer werde ein Studium sogar erheblich teurer.

Georg Krawietz im Gespräch mit Michael Böddeker | 24.06.2016
    DAAD-Gaststudenten in Bonn
    Für junge Menschen aus anderen europäischen Ländern wird das Studieren in Großbritannien künftig teurer, glaubt Georg Krawietz. (imago / JOKER)
    Michael Böddeker: Jetzt kommt er also doch der Brexit – über die Reaktionen und mögliche Auswirkungen haben wir heute im Programm ja schon viel berichtet, und jetzt wollen wir mal auf die akademische Welt blicken. Dort war die Mehrheit ja eher dafür, dass Großbritannien in der EU bleibt. Das zeigen auch viele Reaktionen von britischen Wissenschaftlern, die sich jetzt zu Wort melden. Zum Beispiel vonseiten der Royal Society, also der britischen Akademie der Wissenschaften. Ihr Präsident Venki Ramakrishnan sagte, wenn der Austausch mit Europa eingeschränkt wird, dann könnte das der britischen Forschung schaden. Auch die deutsche Hochschulrektorenkonferenz zeigt sich enttäuscht. Ihr Präsident Horst Hippler sagte heute, der Brexit sei eine schmerzhafte Zäsur. Über die Auswirkungen auf Wissenschaft und Bildung habe ich mit Georg Krawietz gesprochen, dem Direktor des Deutschen Akademischen Austauschdienstes DAAD in London. Ihn habe ich gefragt, was sich jetzt voraussichtlich ändert bei den Kooperationen zwischen deutschen und britischen Hochschulen.
    Georg Krawietz: Beide Hochschulsysteme sind sehr eng miteinander verbunden, bilateral, aber auch im Rahmen von EU-Forschungsprogrammen. Wenn man sich die Statistiken anschaut, dann spielen etwa in "Horizon 2020" oder im vor kurzem abgelaufenen siebten Forschungsrahmenprogramm die Kooperation zwischen deutschen und britischen Hochschulen eine sehr, sehr gewichtige Rolle. Das wird sich sicherlich jetzt kurzfristig nicht ändern, es wird ja einen zweijährigen Übergangszeitraum geben, wo man dann eben schauen muss, wie die Dinge eben aussehen, aber danach mag es schon auch schmerzhafte Veränderungen eben geben. Ich denke, beide Seiten müssen es, und haben es ja auch schon bereits getan, es sehr bedauern, dass es zu dieser Entscheidung gekommen ist, aber man muss auch realistischerweise sagen, die Entscheidung, sich für einen Austritt aus der EU zu entscheiden, ist nicht nur in den akademischen oder Universitätszirkeln getroffen worden, sondern die gesamte Bevölkerung hatte da Mitspracherecht gehabt.
    "Es wird so sein, dass die Dinge insgesamt komplizierter werden"
    Böddeker: Förderprogramme haben Sie schon angesprochen, zum Beispiel "Horizon 2020" – wenn das wegfällt, müsste das dann Großbritannien aus eigener Tasche bezahlen?
    Krawietz: Das ist ein Argument gewesen, das die Brexit-Befürworter in der Vorreferendumsphase angebracht haben, so nach dem Motto, wenn wir aus Europa oder aus der europäischen Kasse kein Geld mehr bekommen, dann kann ja aus den Mitteln, die eingespart werden, weil eben keine Beiträge mehr geleistet werden, das dann direkt an die britischen Universitäten überwiesen werden. Das ist natürlich ein relativ simples Argument gewesen, das auch von den Angehörigen im britischen Hochschulwesen so nicht mitgetragen wurde. Es gibt einfach keine Mechanismen anhand derer so etwas eben jetzt schlicht einfach erfolgen kann. Darüber muss man sich Gedanken machen, wie so etwas aussehen möchte. Es ist ja nicht nur der finanzielle Beitrag, es ist vor allen Dingen auch die Frage der Kooperation an sich, also der Inhalte, des Austauschs von Wissenschaftlern, der darunter leidet. Finanzielle Dinge und inhaltliche Dinge gehen hier Hand in Hand, und momentan sieht es so aus, als wenn der Verlust in beiden Bereichen doch ganz, ganz erheblich ist.
    Böddeker: Dann lassen Sie uns jetzt mal noch auf den anderen Bereich schauen, den direkten Austausch: Können Forscher aus Deutschland weiterhin so wie bisher an britische Hochschulen wechseln und umgekehrt oder wird das jetzt eher schwieriger?
    Krawietz: Wenn man davon ausgeht, dass solche Dinge wie Aufenthaltsgenehmigungen und Arbeitserlaubnisse, die bisher im Rahmen der Freizügigkeit innerhalb Europas keine Rolle gespielt haben, in Zukunft sich anders darstellen, dann wird es sehr viel bürokratischer und sehr viel aufwendiger, sowohl für die Betreffenden selbst als auch für die Institutionen, die sich jetzt mit neuen Dingen auseinandersetzen müssen. Die Zahl europäischer Akademiker in UK ist relativ hoch, etwa jeder Sechste kommt aus einem europäischen Mitgliedsland. In Zahlen ausgedrückt sind das etwa 30- bis 32.000, und deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen die größte Gruppe, etwa 5.250. Man wird jetzt abwarten müssen, wie mit den Personen, die bisher schon hier tätig sind, verfahren wird und welche Auswirkungen es eventuell auf Neuzugänge hat, aber ich denke schon, es wird so sein, dass die Dinge insgesamt komplizierter werden. Das Oberthema lautet Migration und Control of Migration. Das hat einen ganz großen Einfluss auf die Entscheidung gehabt. Ob die Wissenschaft sich aus diesem Thema, also der Zuwanderung insgesamt einfach rausziehen kann, halte ich momentan für zweifelhaft, aber das muss man abwarten.
    Böddeker: Könnte der DAAD dann vielleicht auch andere Programme auflegen als Erasmus, wenn das so in der bisherigen Form nicht mehr weitergeführt wird, also andere Austauschprogramme?
    "Bisher gibt es reduzierte Studiengebühren"
    Krawietz: Da wäre zunächst mal die britische Seite eher am Zuge. In gewisser Weise als Vorbild würde die Schweiz gelten. Das heißt, die britische Seite müsste sich überlegen, ob sie ein Programm aus eigenen Mitteln auflegt, das den Austausch von Großbritannien in die anderen Mitgliedsländer der EU sicherstellt. Es gibt hier seit geraumer Zeit aber Haushaltseinsparungen, die relativ strikt auch durchgeführt werden, und man hat ganz direkt auch im europäischen Kontext solche binationalen Programme in den letzten Jahren zurückgeführt oder rückgefahren, weil man davon ausgegangen ist, dass innerhalb Europas die britischen Universitäten sehr erfolgreich Mittel einwerben. Es fällt mir momentan schwer, vorzustellen, dass jetzt der britische Staat in irgendeiner Art und Weise das ausgleicht, aber auch das wird man abwarten müssen.
    Böddeker: Es wird ja jetzt auch viel darüber spekuliert, wie es innerhalb des Vereinigten Königreichs weitergeht. Schottland zum Beispiel war ja eher dafür, in der EU zu bleiben, und auch die britische Regierung ist jetzt stark unter Druck. Eine Regierungskrise zeichnet sich ab. Premierminister David Cameron hat schon seinen Rücktritt angekündigt. Glauben Sie, dass sich diese Schwierigkeiten innerhalb von Großbritannien auch auf die akademische Welt auswirken könnten?
    Krawietz: Das ist schwierig zu sagen. Der DAAD ist nicht dafür zuständig, politische Stellungnahmen abzugeben, aber es ist schon so, dass sowohl Nordirland als auch Schottland relativ klar gesagt haben, dass sie sich innerhalb der EU besser aufgehoben fühlen würden. Inwieweit das Auswirkungen hat auf die jeweiligen Hochschulen in den Regionen, muss man abwarten. Im Hinblick auf die Studierenden, die aus europäischen Ländern zukünftig im UK studieren wollen, muss man auch natürlich sagen, dass es erheblich teurer werden würde, denn bisher gibt es reduzierte Studiengebühren, die im Grunde genommen sich orientieren nach den inländischen Zahlungen. Wenn jetzt Studierende aus dem europäischen Raum in UK studieren wollen, dann werden sie dafür erheblich mehr zahlen müssen. Das kann zwischen 25 und 100 Prozent mehr an Gebühren ausmachen. Ich denke, die britischen Hochschulen schätzen den intellektuellen Beitrag europäischer Studierender sehr, und sie werden es sehr bedauern, wenn diese veränderte Situation, was Finanzierung angeht, dazu führt, dass die Zahl der europäischen Studierenden an britischen Hochschulen signifikant sinken würde.
    Böddeker: Sagt Georg Krawietz, der Direktor des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in London. Mit ihm habe ich über die möglichen Auswirkungen des Brexits auf die akademische Welt gesprochen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.