Mittwoch, 24. April 2024

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Nach der Chodorkowski-Verhaftung

Heuer: Gelenkte Demokratie, so nennt Russlands Präsident Putin sein eigenes Politikmodell. Und es ist auch jenes Adjektiv vor der Staatsform, das Zweifel am russischen Demokratieverständnis nährt. In diesen Tagen sind die Zweifel besonders groß. Die Verhaftung des russischen Oligarchen Chodorkowski durch den russischen Geheimdienst wird von vielen Beobachtern als Versuch Putins gewertet, den kremel-kritischen Chodorkowski, zahlungskräftiger Unterstützer der Opposition in Russland, einen Monat vor der Parlamentswahl kalt zu stellen. Und darüber hinaus, Chodorkowski wird nämlich unterstellt, er wolle Putin 2008 als Präsident ablösen. Was auch immer dran ist an den Gedankenspielen über die politischen Hintergründe der aufsehenerregenden Festnahme, wirtschaftliche Folgen hat sie bereits gezeitigt und könnte es weiterhin tun, zum Schaden Russlands. Am Telefon begrüße ich den Chefökonomen der Weltbank in Moskau, Christof Rühl. Guten Morgen, Herr Rühl.

28.10.2003
    Rühl: Guten Morgen.

    Heuer: Kennen Sie Herrn Chodorkowski eigentlich persönlich?

    Rühl: Ich habe ihn getroffen, ich habe ihn angehört, wie er Reden gehalten hat, aber sonst persönlich direkt nicht, nein.

    Heuer: Können Sie uns trotzdem sagen, was das für eine Figur ist, welche Bedeutung sein Unternehmen Yukos, vor allen Dingen, für die russische Wirtschaft hat?

    Rühl: Herr Chodorkowski ist ein relativ junger Mann, der die größte Ölgesellschaft Russlands hat und nach einigen Maßstäben die größte private Gesellschaft überhaupt in Russland. Nach Gazprom das zweitgrößte Unternehmen und da es ja ein Unternehmen ist, das in der Ölbranche ist, auch das Unternehmen, das die meisten Exporte hat und die meisten Investitionen verzeichnet und von daher schon als eines der wichtigsten Unternehmen Russlands bezeichnet werden kann. Herr Chodorkowski ist auch jemand, der dieses Unternehmen weitgehend selber aufgebaut hat. Nach Anfängen in der Privatisierung es so zu einem Unternehmen gemacht hat, was produktiver ist und nach vielen Maßstäben und Kennziffern besser funktioniert als andere Unternehmen in der selben Branche, vor allem als diejenigen, die ja noch staatlich sind.

    Heuer: Das vorausgesetzt muss es ja so sein, dass seine Verhaftung der russischen Wirtschaft tatsächlich richtigen Schaden zufügt?

    Rühl: Na ja, der russischen Wirtschaft. Es erschüttert halt in gewisser Weise das Vertrauen. Aus zwei Gründen, weil auf der einen Seite sowohl ausländische potentielle Investoren, als auch russische Investoren dadurch in Versuchung geführt werden, zu glauben, dass es halt mit dem Schutz von Eigentumsrechten doch noch nicht so weit her ist in Russland wie viele geglaubt haben. Und das wiederum wird dazu führen, dass sich einige zweifach überlegen werden, ob sie in Russland neu investieren werden. Und was vielleicht noch wichtiger ist, über die letzten zehn bis zwölf Jahre haben ja nicht nur viele russische Menschen und viele russische Intelligenz das Land verlassen, sondern auch viel russisches Kapital ist außer Landes geschafft worden. Und man hat gesehen, wie das jetzt Anfang dieses Jahres zaghaft angefangen hat, zurückzukommen, als die Situation sehr stabil war und die Wachstumsraten hoch waren. Und dieses Kapital, es ist natürlich sehr sensibel sozusagen, da werden sich viele überlegen, ob sie das, was sie hier einmal außer Landes geschafft haben, jetzt wieder im Lande investieren, wenn es so aussieht, als ob es nicht hundertprozentig garantiert ist und einem gewissen Ausmaß von Willkür ausgesetzt ist.

    Heuer: Rechnen Sie mit einer Kapitalflucht in großem Ausmaß?

    Rühl: Wir haben immer noch Kapitalflucht in Russland und wir hatten Kapitalflucht in großem Ausmaß über die letzten zehn Jahre, von daher sind die Leute hier hart im Nehmen und von daher ist die Antwort "nein". Aber ich rechne damit, dass sich der Trend zum Kapitalzustrom, der sich angedeutet hat, abschwächen wird.

    Heuer: Kommen wir noch einmal auf die Investoren zu sprechen. Angeblich ist es ja so, dass Exxon und Texaco mit Yukos ins Geschäft kommen wollten. Die Gespräche darüber sind jetzt erst einmal unterbrochen worden. Glauben Sie, die werden wieder aufgenommen?

    Rühl: Große Ölgesellschaften oder so richten sich vielleicht doch eher nach der Stabilität im Land, als nach der Art und Weise, wie diese Stabilität erzeugt wird, leider Gottes. Ich wollte halt darauf hinweisen, dass es schon wichtig ist vor allem für Investitionen außerhalb des Ölsektors, was hier passieren wird. Und das wird eben oft unterschätzt. Es geht weniger darum zu sehen, welche Ölgesellschaft hier mit wem fusioniert, als darum zu sehen, dass Russland ja wirklich Investitionen außerhalb des Ölsektors braucht, um nicht völlig öl- und gasabhängig zu bleiben.

    Heuer: Welche Sektoren meinen Sie da vor allem?

    Rühl: Ich meine ganz normale Sektoren, wie vor allem das verarbeitende Gewerbe und die Konsumgüterproduktion und auch die Investitionsgüterproduktion hier im Lande, die ganz zaghaft erst angefangen haben, sich zu entwickeln. Und die eben weitgehend von russischem Geld abhängen und für die man gar nicht genug ausländische Investitionen haben kann bei gegebner Größe des Landes. Die einfach darauf angewiesen sein werden, auf russisches Geld.

    Heuer: Andererseits, Herr Rühl, könnte man ja argumentieren, potentielle Investoren müssten eigentlich ohnehin wissen, dass nicht alles so verlässlich ist in Russland, wie sie sich das vielleicht wünschen.

    Rühl: Das ist sicher richtig und genau aus diesem Grund sind die Auslandsinvestitionen in Russland sehr, sehr niedrig. Und genau aus diesem Grunde, es ist ein zusätzliches Argument dafür, dass das Land sich eben selber finanzieren muss und diesen Aufschwung selber finanzieren muss mit Mitteln, die eben in der heutigen modernen Zeit weitgehend und leicht außer Landes zuschaffen sind, anstatt im Land investiert zu werden. Genau aus diesem Grund ist es wichtig, dass vor allem russische Investoren Vertrauen zu fassen lernen und dieses Vertrauen wird dadurch natürlich erschüttert werden, durch die gegenwärtige Entwicklung.

    Heuer: Wie kann denn dieses Vertrauen wieder hergestellt werden?

    Rühl: Indem einerseits Rechtssicherheit geschafft wird. Und da bleibt und ist es nun mal Aufgabe des Staates dafür zu sorgen, dass sowohl Unabhängigkeit der Gerichte einkehrt, als auch Unabhängigkeit der Strafverfolgungsbehörden. Und im Fall Chodorkowski hat man ja den Eindruck, dass es damit nicht allzu weit bestellt ist. Und indem auf der anderen Seite Sicherheit von Eigentumsrechten gewährleistet bleibt, auch da wird der Fall Chodorkowski natürlich nicht zur allgemeinen Beruhigung beitragen.

    Heuer: Herr Rühl, es wird in der Tat viel darüber spekuliert, wie unabhängig die Justiz, der Geheimdienst in diesem Fall, gearbeitet hat. Andererseits werfen die Behörden Chodorkowski Steuerhinterziehung, Unterschlagung und Betrug vor. Das ist ja nicht irgendetwas. Zweifeln Sie daran, dass diese Vorwürfe berechtigt sind?

    Rühl: Man muss mal sehen, dass es hier keine edlen Ritter gibt in dem Spiel. Das Ganze ist auch zu sehen vor dem Hintergrund dieser Privatisierungskampagne in den frühen und mittleren neunziger Jahren. Und da ist es ja in der Tat so, dass, innerhalb ganz kurzer Zeit, große Bereiche der russischen Industrie privatisiert worden sind, mit Mitteln, die durchaus dubios waren und nicht immer lauter waren. Und dass die Privatisierungsgewinner eine kleine Anzahl sehr mächtiger Menschen sind in Russland, von denen wahrscheinlich jeder in irgendeiner Weise solchen Vorwürfen ausgesetzt werden könnte.

    Heuer: Wird also mit zweierlei Maß gemessen?

    Rühl: Sieht so aus. Aber, was wichtig ist daran, ist natürlich die Beobachtung, dass keiner dieser handvoll von so genannten Oligarchen, die große Bereiche der Wirtschaft kontrollieren als Ergebnis der frühen Privatisierungen, dass keiner von diesen übermäßig viel Rückendeckung findet in der Bevölkerung. Und von daher ist es relativ einfach, gegen einen oder gegen alle von ihnen vorzugehen.

    Heuer: Jetzt wird erst mal gegen einen von ihnen vorgegangen. Christof Rühl war das, der Chefökonom der Weltbank in Moskau. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Rühl, und wünsche Ihnen einen schönen Tag.

    Rühl: Dankeschön, Ihnen auch.