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Nach der USA-Wahl
"Die Religionsgemeinschaften sortieren sich gerade"

Nur 25 Prozent der Juden und der Konfessionslosen haben Donald Trump gewählt. Ins Amt des US-Präsidenten wurde er gehievt von weißen, evangelikalen Christen. Sie stimmten mit 81 Prozent für ihn. Katholiken wählten je zur Hälfte Hillary Clinton oder Trump. Wie die Religionsgemeinschaften nun reagieren, erklärt der Theologe und Nordamerika-Experte Michael Hochgeschwender.

Michael Hochgeschwender im Gespräch mit Susanne Fritz | 14.11.2016
    Donald Trump hält eine Rede in einer evangelisch-methodistischen Kirche in Michigan im September 2016
    Donald Trump hält eine Rede in einer evangelisch-methodistischen Kirche in Michigan im September 2016. (AFP / MANDEL NGAN)
    Professor Michael Hochgeschwender, Theologe und Nordamerika-Historiker in München, hat zuletzt ein Buch vorgelegt über die "Amerikanische Revolution". Er kennt die US-Kirchen von innen.
    Susanne Fritz: Für die demokratischen Wähler in den USA war das Ergebnis der Präsidentenwahl in der vergangenen Woche ein Schock. Sie hatten fest mit einem Sieg von Hillary Clinton gerechnet. Die Umfragen hatten die Erwartungen hochgeschraubt. In den vergangenen Tagen machten viele Demokraten ihrer Enttäuschung Luft und protestierten gegen Trump. Ich spreche jetzt mit Michael Hochgeschwender, Professor für nordamerikanische Kulturgeschichte an der Universität München. Guten Morgen!
    Michael Hochgeschwender: Grüß Gott, Frau Fritz.
    Fritz: Herr Hochgeschwender, Die US-Amerikaner sind nach dem Wahlsieg von Donald Trump gespalten. Inwiefern haben die Religionsgemeinschaften inzwischen auf den Ausgang der Wahl reagiert?
    Hochgeschwender: Ja, man hat den Eindruck, die sind auch noch etwas baff. Das hängt damit zusammen, dass sie schon vor der Wahl Schwierigkeiten hatten, sich zu positionieren. Also es war von vorneherein klar, dass vermutlich die Evangelikalen eher für Trump als für Clinton stimmen würden. Aber dass sie so geschlossen für ihn stimmen würden, wie sie es getan haben, war nicht absehbar. Man hatte damit gerechnet, dass die hispanischen Katholiken viel stärker für Clinton stimmen würden, was sie nicht getan haben. Also insofern scheinen auch die Religionsgemeinschaften momentan noch in einer Art Sortierungsphase zu sein, weil viele der klassischen Gesetzmäßigkeiten, die man für Wahlen vorher als gegeben annahm, diesmal offenbar nicht zugetroffen haben.
    Evangelikale gegen Clintons Abtreibungsposition
    Fritz: Der Republikaner Donald Trump gehört zwar einer protestantischen Kirche an, ist aber anscheinend nicht besonders religiös. Sie haben es gerade gesagt: viele der Evangelikalen haben ihn trotzdem gewählt. 81 Prozent waren es. Warum haben sie das getan?
    Hochgeschwender: Also zum einen weil Hillary Clinton für sie keine Alternative geboten hat. Anders als Barack Obama 2008, der sehr zielbewusst auf die Evangelikalen zugegangen ist und sogar ein paar Prozentpunkte von ihnen bekommen hat, hat sie im Wesentlichen darauf verzichtet, inhaltliche Angebote zu machen. In evangelikalen Augen stand sie vor allen Dingen für die Frage einer sehr radikalen Abtreibungsposition. Deshalb haben Konservative in der Spätphase des Wahlkampfes auch ganz bewusst darauf abgehoben, dass sie etwa partial-birth abortion, also Spätabtreibung, befürworten würde. Und das scheint dann bei den Evangelikalen letztlich den Ausschlag gegeben zu haben.
    Ein weißer US-Amerikaner hält während des Papstbesuchs in den USA im September 2015 die amerikanische und die Flagge des Kirchenstaats in den Händen 
    Ein US-Amerikaner während des Papstbesuchs in den USA im September 2015 (picture alliance / dpa / Chris Kleponis)
    Wobei man noch genauer nachsehen müsste, wie viele eigentlich zur Wahl gegangen sind. Also man hat ja nur Hinweise darauf, wie viele von denen, die zur Wahl gegangen sind, abgestimmt haben. Aber die Wahlbeteiligung insgesamt lässt ja darauf schließen, dass der Mobilisierungseffekt dieser Wahlen gar nicht so hoch war.
    Bedeutung von Trumps Vize-Präsident Pence
    Fritz: Welche Rolle spielte Trumps Vize-Präsident Mike Pence, der gerne seine Religiosität betont und sich paradoxerweise als evangelikaler Katholik bezeichnet.
    Hochgeschwender: Ja, das ist ja etwas, was in den letzten Jahren, so seit der Mitte der 1990er-Jahre, aufgekommen ist, eine Strömung innerhalb des Katholizismus, die versucht, evangelikales Gedankengut, etwa die unmittelbare persönliche Beziehung zu Jesus Christus als Erlöser oder den Stellenwert der Bibel, aufzunehmen. Insofern steht er damit gar nicht so alleine. Das ist eine inzwischen zwar kleine, aber gar nicht so seltene Bewegung.
    Ich glaube, er ist vor allen Dingen deswegen wichtig, weil viele protestantische und katholische Christen in ihm so eine Art Gewährsmann für den Erhalt ihrer Interessen sehen. Und er ist dann auch in der Spätphase des Wahlkampfes auch so positioniert worden. Also insofern ist das eine relativ wichtige Figur, wobei man ja nicht vergessen darf, dass der amerikanische Vize-Präsident eigentlich gar nichts zu sagen hat.
    Der Republikaner Mike Pence (rechts) und der Demokrat Tim Kaine im US-Wahlkampf
    Der Republikaner Mike Pence (rechts) und der Demokrat Tim Kaine im US-Wahlkampf (EPA/MICHAEL REYNOLDS)
    Zurückhaltung der Bischöfe
    Fritz: Die katholischen Bischöfe haben ja dieses Mal im Wahlkampf geschwiegen und keinen Hirtenbrief mit Tendenz zu dem einen oder der anderen Kandidatin veröffentlicht. Wieso diese Zurückhaltung?
    Hochgeschwender: Das zeigt, was ich vorhin schon angedeutet habe, dass eigentlich alle Religionsgemeinschaften Probleme mit beiden Kandidaten hatten. Also auch aus katholischer Perspektive war Hillary Clinton und ist Hillary Clinton jemand, der eher in den Bereich Befürwortung von Abtreibung geht. Das ist etwas, was für die katholischen Bischöfe nicht akzeptabel ist. Auf der anderen Seite ist Trump als Person mit seinem ganzen Vorleben auch nicht akzeptabel und daraufhin hat man sich im Wesentlichen herausgehalten. Das ist ein bisschen traurig, weil die katholische Kirche etwa im Bereich der katholischen Soziallehre hier sehr viel mehr hätte sagen können. Aber da zeigt sie seit im Grunde der 1980er-Jahren ein sehr beredtes Schweigen.
    Katholiken im Vergleich moderat
    Fritz: Es ist ja sowieso immer schwierig von einer Religionsgemeinschaft als einer homogenen Gruppe zu sprechen. Das haben Sie ja gerade auch schon angedeutet. Das trifft auf die Katholiken in besonderem Maße zu: 52 Prozent der Katholiken wählen Trump, das war eine Überraschung. Inwiefern sind die Katholiken in den USA grundsätzlich politisch und weltanschaulich gespalten?
    Hochgeschwender: Also die Katholiken sind ähnlich gespalten wie die gesamte Gesellschaft, haben aber den Vorteil, dass sie im Wesentlichen in der Mitte dieser Trennlinie angesiedelt sind. Das heißt, Katholiken sind moderate Linke und moderate Konservative und früher waren sie ja im Wesentlichen fast immer in der demokratischen Partei. Heute verteilen sie sich über beide Seiten des Repräsentantenhauses und des Senates. Sie sind überrepräsentiert in beiden Häusern. Und auch der katholische Volksteil ist im Wesentlichen etwas weniger radikal als andere Volksteile. Das kann sogar ein Vorteil sein, aber es hat natürlich mit sich gebracht, dass die katholische Kirche als Institution politisch etwas an Schlagkraft eingebüßt hat.
    Fritz: Papst Franziskus hatte ja vor der Wahl Trumps Pläne kritisiert, an der Grenze zu Mexiko eine Mauer zu bauen. Er sagte, jemand, der so etwas plane sei nicht christlich. Welchen Einfluss hatte der Papst damit auf das Wahlverhalten der Katholiken?
    Hochgeschwender: Also wenn man sich das ansieht - es ist eigentlich immer schwer zu sagen, ob diese eine Äußerung wichtig war - aber wenn man sich das ansieht: Die Katholiken haben weniger, auch die Kirchgänger weniger streng Trump gewählt als selbst der liberale Protestantismus. Also diese Gruppe der liberalen Mainstream-Protestanten wird ja gerne übersehen. Aber die haben zu 58 Prozent Trump gewählt, die Katholiken zu 52 Prozent, das hängt mit dem Anteil an Hispanics zusammen, das hängt mit anderen Dingen zusammen. Ob jetzt die Äußerung von Papst Franziskus direkte Auswirkungen hatte, wage ich zu bezweifeln.
    Religiöse Minderheiten wählten Demokraten
    Fritz: Wenn wir noch einen Blick auf die Minderheiten der USA werfen - die Juden, Muslime und Atheisten - für welches Amerika stehen diese Minderheiten?
    Ein junger Muslim demonstriert am 20. Dezember 2015 in New York gegen den US-Präsidentschaftsbewerber Donald Trump.
    Ein junger Muslim demonstriert am 20. Dezember 2015 in New York gegen den US-Präsidentschaftsbewerber Donald Trump. (afp / Kena Betancur)
    Hochgeschwender: Also die haben relativ eindeutig - in einem Bereich um die 70 bis 75 Prozent - für die Demokraten gestimmt. Allerdings mit deutlich abnehmender Tendenz, von den Juden mal abgesehen. Also sowohl die sogenannten "anderen Religionen", wer auch immer sich dahinter verbirgt, als auch die Konfessionslosen hatten eine leichte Tendenz zu den Republikanern überzulaufen. Bei den Juden hat sie Stimmengewinne und sie hat interessanterweise - Hillary Clinton - Stimmengewinne bei den Mormonen. Die Mormonen, die an sich als sehr konservative Gruppe gelten und als sehr politisch geschlossene Gruppe, haben dieses Mal vergleichsweise stark demokratisch gewählt oder sich für einen unabhängigen Kandidaten entschieden, was zeigt, dass die Mormonen doch sehr deutlich davon beeindruckt waren, dass Trump in ihren Augen offenbar nicht religiös genug war und offenbar auch Familienwerte nicht genügend hochgehalten hat, was für Mormonen unglaublich wichtig ist.
    Politischer Einfluss der Religionen rückläufig
    Fritz: Lassen Sie uns zum Schluss noch einen Blick in die Zukunft werfen: Inwiefern werden die Religionen, Ihrer Ansicht nach, unter einem Präsidenten Donald Trump künftig Einfluss auf die amerikanische Politik haben?
    Hochgeschwender: Also ich habe wenig das Gefühl, dass die Bedeutung der Religion im Moment in der amerikanischen Politik zurückgeht. Der Enthusiasmus der evangelikalen Erweckungsbewegung ist seit einiger Zeit dabei abzuflauen. Es fehlt im Moment auch an zugkräftigen Kernthemen, mit deren Hilfe man das politische Geschehen in irgendeiner Art und Weise beeinflussen könnte. Vor allen Dingen fehlt ein Zugriff der Religionen auf die ökonomischen und sozialen Probleme der USA. Selbst die Katholiken, die da etwas zu sagen hätten, schweigen. Alle anderen haben ein wenig dazu zu sagen und das ist und bleibt ein Problem.
    Fritz: Vielen Dank für das Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.