Samstag, 20. April 2024

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Nach der Wahl in Italien
"Kein Vertrauen in die politische Elite"

Die Politikverdrossenheit sei in Italien "sehr stark ausgeprägt", sagte Caroline Kanter von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom im Dlf. Die Frustration sei so groß, dass die Wähler mit der Fünf-Sterne-Bewegung auf eine neue Stimme gesetzt hätten, wie sie glaubten, schlimmer könne es nicht werden.

Caroline Kanter im Gespräch mit Sandra Schulz | 05.03.2018
    Italiens früherer Premierminister Matteo Renzi erklärt am 5. März 2018 seinen Rücktritt als Parteivorsitzender der PD.
    Italiens früherer Premierminister Matteo Renzi erklärt am 5. März 2018 seinen Rücktritt als Parteivorsitzender der PD. (AFP / Andreas SOLARO)
    Sandra Schulz: Nach der Parlamentswahl gestern in Italien ist auch überhaupt nicht an eine schnelle Regierungsbildung zu denken. Keines der möglichen Bündnisse kam auf ausreichend viele Mandate und die bisher regierenden Sozialdemokraten wurden abgestraft.
    Über dieses schwierig zu lesende Wahlergebnis konnte ich vorhin mit Caroline Kanter sprechen. Sie leitet das Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom. Als Erstes habe ich sie gefragt, wie sie sich diese absolute Mehrheit gegen die traditionellen Parteien erklärt.
    Caroline Kanter: Ich würde sagen, in Italien ist die Politikverdrossenheit einfach sehr stark ausgeprägt. Man hat kein Vertrauen in die etablierte politische Elite, in die traditionellen Parteien. Deshalb befindet sich das Parteiensystem in einem Transformationsprozess und die Wähler haben die traditionellen Parteien abgestraft und haben der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega Nord ihr Vertrauen ausgesprochen.
    "Bewegung lässt sich auch nicht in das klassische Rechts-Links-Spektrum einordnen"
    Schulz: Da ist doch aber dann gerade die Frage, in welche Richtung diese Transformation geht, gerade wenn wir auf die fünf Sterne gucken, die ja als Einzelpartei, als Einzelkraft die stärkste Kraft geworden sind. Sie wird immer geführt mit dem Label "europakritisch". Aber wofür dieses Bündnis, diese Bewegung steht, ist das schon klar geworden?
    Kanter: Ich stimme Ihnen zu. Bei der Fünf-Sterne-Bewegung handelt es sich um eine sehr heterogene Bewegung und man trifft in den einzelnen Politikbereichen auf unterschiedliche Positionen. Diese Bewegung lässt sich auch nicht in das klassische Rechts-Links-Spektrum einordnen. Beispielsweise beim Thema Migration oder Staatsbürgerschaft kann man diese Partei eher dem rechten Spektrum zuordnen. Wenn es um soziale Themen wie Arbeit oder Gesundheit geht, vertreten sie eher linke Positionen und sprechen sich beispielsweise für ein allgemeines Grundeinkommen aus. Es gab auch in den vergangenen Jahren, in denen die Fünf-Sterne-Bewegung sowohl auf kommunaler als auch auf nationaler Ebene politisch aktiv ist, immer Widersprüche und letztendlich konnte diese Bewegung die eigenen Ansprüche, die sie an sich und an ihre Politik stellen, auch nicht immer erfüllen. Aber ich will einfach sagen, dass die Frustration über die traditionellen Parteien einfach so groß ist, dass man sagt, wir setzen jetzt auf eine neue Stimme, auf eine relativ neue Bewegung, denn schwieriger oder schlimmer kann die Situation nicht werden. So ist die Stimmung leider hier im Land.
    "Die Resultate sieht das Wahlvolk bislang noch nicht"
    Schulz: Aber woher kommt dieser Frust, um das vielleicht auch inhaltlich noch mal aufzulösen?
    Kanter: Italien hat mit zwei großen Herausforderungen in den vergangenen Jahren zu kämpfen gehabt. Das eine ist die fehlende Wirtschaftsentwicklung, hohe Arbeitslosigkeit, extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit, die fehlende Wirtschaftsentwicklung auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Migrationswelle über das Mittelmeer, wo man sich auch stark von Europa alleine gelassen gefühlt hat. Das sind die beiden Hauptherausforderungen, mit denen die Politik, aber natürlich auch die italienische Bevölkerung zu kämpfen hatte und wo man aus Sicht vieler Bürger von der Politik keine ausreichenden Ergebnisse gesehen hat, auch wenn man sagen muss, dass die Regierung unter der Führung von Premierminister Renzi und später von Premierminister Gentiloni Reformen auf den Weg gebracht hat. Aber die Resultate sieht das Wahlvolk bislang noch nicht.
    "Die Lega ist der Gewinner im Mitte-Rechts-Spektrum"
    Schulz: Frau Kanter, Sie haben es gesagt: Was die Migrations-, was die Flüchtlingspolitik betrifft, da sind diese fünf Sterne auch eher dem rechten Spektrum zuzuordnen. Heißt das, dass es da vielleicht eine Schnittmenge gibt zu dem anderen Wahlgewinner, zur Lega, die ja auf Platz zwei gelandet ist?
    Kanter: Ja, das ist sicherlich ein Themenbereich, wo sich beide politischen Kräfte nahestehen, wobei man sagen muss, dass die Lega beziehungsweise ihr Parteisekretär Matteo Salvini heute eine Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung erneut abgelehnt hat, wie er das bereits vor den Wahlen getan hat. Die Lega ist der Gewinner im Mitte-Rechts-Spektrum und das Mitte-Rechts-Spektrum ist das größte und stärkste politische Bündnis, sodass sich hier jetzt aktuell auch die Frage stellt, wer wird mit der Regierungsbildung beauftragt, ist es die stärkste politische Partei oder das stärkste politische Bündnis. Aber ein großer Gewinner, muss man sagen, ist die Lega, die bei den vergangenen Wahlen im Jahr 2013 vier Prozent der Wählerstimmen vereinen konnte und jetzt bei knapp 18 Prozent liegt.
    Schulz: Die arbeitet ja zusammen mit der Forza Italia von Silvio Berlusconi. Der eine oder andere hat die Lega vielleicht wirklich bisher nur als kleineren Unterstützer von Berlusconi in diesem Bündnis wahrgenommen und jetzt galoppiert diese ja deutlich radikalere Kraft sogar auch der Forza Italia davon. Welches Signal geht denn davon aus?
    Kanter: Ich würde sagen, die Stärke, die 18 Prozent, die die Lega gewinnen konnte bei diesen Wahlen, ist eine der Überraschungen bei dem Wahlergebnis, was uns tatsächlich vorliegt, wobei man sagen muss, dass die Lega eine etablierte politische Kraft in Italien ist und vor allen Dingen in Norditalien in den Städten, aber auch in den Regionen seit vielen Jahren beziehungsweise Jahrzehnten auch regiert. In der Koalition mit der Forza Italia haben sie viermal auf nationaler Ebene regiert, aber dort waren sie, wie Sie richtig festgestellt haben, stets der Juniorpartner der Forza Italia - die Forza Italia, die ja Mitglied der EVP-Fraktion, sprich eines proeuropäischen Parteienbündnisses auch im Europäischen Parlament ist. Unter Matteo Salvini, der die Partei seit 2013 führt, hat sich die Partei auch, würde ich sagen, stärker radikalisiert und ist jetzt die dominierende Kraft in diesem Bündnis, und das ist aus europäischer Sicht gesehen eher negativ zu bewerten, weil sich der Ton auch ganz klar verschärft hat.
    Schulz: Caroline Kanter, die Leiterin des Romer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, heute Abend hier bei uns im Deutschlandfunk. Danke dafür.
    Kanter: Sehr gerne. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.