Mittwoch, 17. April 2024

Archiv

Nach dem Brexit
Irland fürchtet, Irland hofft

Die einzige Landgrenze des Vereinigten Königreichs liegt auf der Nachbarinsel, auf Irland. Nach einem Austritt Großbritanniens wird die zur Außengrenze der EU. Die Republik Irland hatte massiv vor einem Brexit gewarnt. Vielleicht aber kann ein EU-Ausstieg der Briten auch eine Chance sein.

Von Martin Alioth | 07.07.2016
    Schafe grasen im Nordwesten der Grafschaft Donegal auf einer Weide an der Küste.
    Irland fürchtet vor allem um seine Agarexporte. (imago/Daniela Schmitter)
    Nur die Verkehrsschilder für Geschwindigkeiten und Distanzen verraten, dass man eine europäische Landesgrenze überquert hat, Meilen statt Kilometern, wenn man dieser Tage vom irischen Dundalk ins nordirische Newry fährt.
    Das große Einkaufszentrum Buttercrane in Newry ist immer dann ein Magnet für Kunden aus der Republik, wenn es dem britischen Pfund schlecht geht. Gary leitet das Kleidergeschäft Louis Boyd und berichtet von verunsicherten Kunden: "Maybe 15 to 20 percent, at the minute. I think what scaring people at the moment is Brexit, they don't know what is going on.”
    Ein knappes Fünftel seiner Kundschaft komme aus der Republik, aber derzeit seien alle noch im Brexit-Schock. Aber das schwache Pfund muss doch gut sein für ihn? Noch nicht, stellt er fest: "Well, it's hasn't happened, yet. So, we'll see, it'as all ahead of us, it's just - nobody knows, really.”
    Vielleicht sollten sich Schotten und Iren zusammentun?
    Es habe noch nicht begonnen, weil niemand wirklich wisse, wie das ausgehe. Und dann denkt er kurz über die politische Zukunft nach. Seine Vision: "Maybe Ireland and Scotland should join together, as one unit.”
    Vielleicht sollte sich die ganze Insel Irland mit Schottland zusammenschließen? Das klingt kreativ. Bill, der vor fast 50 Jahren aus der Republik eingewandert war, meint spöttisch, das restliche Europa sollte erleichtert sein: "Well, what I think about it: ye'd be delighted to get rid of them. 'Cause of whingeing, yapping, groaning, moaning. And then, they always thought they were better than anybody else. That's what I think about it."
    Die sollten entzückt sein, die ewig jammernden Briten, die sich ohnehin stets für etwas Besseres gehalten hätten, loszuwerden. Dann wird er ernst: "They're foolish. You can't build a house and live in one room, can you?”
    Die Briten seien verrückt. Man könne doch nicht ein Haus bauen und nur ein einziges Zimmer bewohnen. Betty, eine elegante, ältere Dame mit frischer Dauerwelle, ist gar nicht dieser Meinung: "I think the vote was right because I think we'll be better off."
    Nach dem Austritt aus der EU werde es allen besser gehen, meint sie. Das sieht man in der benachbarten Republik Irland anders: Bei einer Tasse Tee erläutert Dan Mulhall, der irische Botschafter in London, die Sachlage: "I don't believe the British have the kind of intensive relationship they have with Ireland with any other country."
    Risiken für Irlands Agrarexporte
    Mit niemandem pflegten die Briten derart enge Beziehungen wie mit Irland. Premierminister Enda Kenny lieferte im Parlament die Zahlen dazu: "It's important to recall that the majority of our goods and services exports are to the Euro area. 34%. The US, 17% and the UK accounts for about 16% of exports.”
    34 Prozent der irischen Gesamtexporte gingen in die Euroländer, 17 Prozent in die USA, 16 ins Vereinigte Königreich. Daher, so Kenny: "The stakes have always been higher for Ireland than for any other EU state.”
    Die Risiken für Irland seien immer die höchsten gewesen. Dabei geht es vor allem um die irische Nahrungsmittelbranche, die zu über 40 Prozent vom britischen Markt abhängt, bei Rindfleisch beträgt der Anteil gar die Hälfte. Finanzminister Michael Noonan erwartet deshalb nachteilige Konsequenzen des "Brexit" auf das derzeit kräftige irische Wirtschaftswachstum: "We know that it will have some adverse effect on our groswth potential."
    Garantierte Nachteile, unsichere Vorteile
    Doch es gibt auch Chancen, räumt er ein: "I think the best way to put it is: the downsides are pretty certain, the upsides are speculative...”
    Die Nachteile seien garantiert, die Vorteile beruhten auf Spekulation. So könnten Firmen von London nach Dublin umziehen, um in der EU zu bleiben, meint Noonan: "From the City of London, for example, or if there was a transfer of Foreign Direct Investment from the United States to Ireland as against the UK.”
    Oder amerikanische Firmen könnten nun vermehrt in Irland statt in Großbritannien investieren. Martin Shanahan, Chef der Industrial Development Authority, der überaus erfolgreichen irischen Behörde, die ausländische Multis nach Irland lockt, hat sein Auge ebenfalls auf die Londoner Finanzdienstleister geworfen: "That's because of concern, obviously, about the ability to passport products, financial products, into the European Union."
    Diese müssten ja befürchten, dass sie in den Brexit-Verhandlungen ihren Zugang zu den EU-Ländern verlören. Selbst ein kleiner Bruchteil der Londoner City könnte den Finanzplatz Dublin massiv vergrößern. So halten sich Chancen und Risiken für Irland die Waage, während zahlreiche Briten Schlange stehen, um irische Reisepässe zu beantragen.