Mittwoch, 24. April 2024

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Nach Journalisten-Mord in der Slowakei
"Kuciak hat die Wahrheit gesucht"

Der Mord am Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten müsse in der Slowakei auch politische Konsequenzen haben, sagte der slowakischer Schriftsteller Michal Hvorecky im Dlf. Dass ausgerechnet der Kulturminister zurückgetreten sei, der mit dem Fall am wenigsten zu tun gehabt habe, sei skurril.

Michal Hvorecky im Gespräch mit Christiane Kaess | 06.03.2018
    Michal Hvorecky
    Der slowakische Schriftsteller Michal Hvorecky ist erschüttert über die Ermordung des Journalisten Jan Kuciak und dessen Verlobter vor gut einer Woche (Imago )
    Christiane Kaess: Die italienische Mafia-Organisation Ndrangheta soll Verbindungen in die Regierung der Slowakei gehabt haben, bis hinein in das Büro des slowakischen Regierungschefs Robert Fico. Es waren offenbar diese Recherchen, für die der slowakische Enthüllungsjournalist Jan Kuciak und seine Verlobte Kusnirova mit dem Leben bezahlten. Das Paar wurde am Sonntag vor einer Woche in seinem Haus in der Nähe von Bratislava erschossen. Vermutet wird, dass hinter dem Doppelmord ein Netzwerk der italienischen Mafia steckt. Bei den Menschen in der Slowakei hat der Mord Schock, Wut und Empörung ausgelöst. Die Regierung steht unter erheblichem Druck. Staatspräsident Kiska verlangt jetzt, dass entweder die Regierung umgebildet wird, oder Neuwahlen ausgeschrieben werden.
    Ministerpräsident Fico wiederum wirft dem Präsidenten vor, seine Kompetenzen zu überschreiten und das Land zu destabilisieren.
    Die Tatsache, dass in einem EU-Land ein Investigativjournalist umgebracht wird, und die Ergebnisse der Recherchen von Jan Kuciak haben auch in der EU große Sorgen ausgelöst. Das EU-Parlament will eine Delegation in die Slowakei entsenden. Abgeordnete aus allen Fraktionen sollen diese Woche Informationen über den Mord sammeln und die Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit in der Slowakei kritisch hinterfragen.
    Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Michal Hvorecky. Er ist slowakischer Schriftsteller und Journalist. Guten Morgen!
    "Das können wir und werden wir nicht akzeptieren"
    Michal Hvorecky: Guten Morgen.
    Kaess: Lassen Sie uns erst noch mal zurückblicken. Wie haben Sie reagiert, als Sie die Nachricht vom Tod des Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten erfahren haben?
    Hvorecky: Ich war tief schockiert und ich bin immer noch sehr traurig. Ich kannte den Journalisten Jan Kuciak auch persönlich. Ich habe den auch mal moderiert, als er seine Recherche zu den Panama Papers, zu diesem bekannten Fall der Steuerhinterziehung präsentiert hat. Das war wirklich ein Kollege und ein junger Mann, der eine Hochzeit geplant hatte. Er wurde zusammen mit seiner Lebensgefährtin wirklich brutal ermordet. Das können wir und werden wir nicht akzeptieren.
    Kaess: Jetzt war es so, dass Jan Kuciak schon lange an diesem sensiblen Thema Korruption dran war. Hat der Mord an ihm Sie überrascht, oder haben Sie ihn schon in Gefahr geglaubt?
    Hvorecky: Nein, das nicht wirklich. Der Jan Kuciak wurde schon mehrmals bedroht, vor allem von einem sehr arroganten superreichen Oligarchen in der Slowakei. Der heißt Marian Kockner. Aber dass tatsächlich jemand ermordet sein kann, das habe ich überhaupt nicht erwartet, und ich glaube, keiner in meinem Land. Seit 26 Jahren wurde im Osten der Europäischen Union kein Journalist ermordet. Es gab in den 90er-Jahren vielleicht schon Bedrohungen, aber nicht so was. Es gab sogar Bombenanschläge, aber so schlimm war das sogar damals noch nicht.
    "Diese Stimmung des Hasses gegenüber Journalisten, das herrscht hier seit Jahren"
    Kaess: Sie sprechen von Hetze und der sozialdemokratische Ministerpräsident Fico, der hat ja in der Vergangenheit auch Journalisten beschimpft. Ich zitiere ihn da mal. Er hat sie "dreckige anti-slowakische Huren" genannt oder "dumme Hyänen". In Europa gibt es ja mittlerweile Sorge um die Pressefreiheit in der Slowakei. Würden Sie sagen, das ist berechtigt?
    Hvorecky: Absolut! Robert Fico als Premierminister ist mitverantwortlich für diese Hetze gegen die freie Presse. Mich selbst hat er "Unruhestifter" genannt, "Krawallmacher", nur zum Beispiel, weil ich einen Bericht über die Protestbewegung in Bulgarien veröffentlicht habe. Er spricht am liebsten allein im Radio und im Fernsehen. Er ist kein Mensch des Dialogs. Und diese Stimmung des Hasses gegenüber Journalisten, das herrscht hier seit Jahren und das wurde ein bisschen im Westen leider ignoriert.
    "Wir brauchen die freie Presse, um die Demokratie zu schützen"
    Kaess: Woher kommt denn diese Hetze? Wie können Sie sich die erklären?
    Hvorecky: Im Tiefsten ist Fico kein Sozialdemokrat und das sollte man verstehen. Er ist sehr rechts, er ist sehr nationalistisch und er ist sehr autokratisch. Solche Leute sind nicht gerne mit Kritik konfrontiert. Das heißt, es ist nicht nur Hetze gegen Journalisten, sondern auch gegen kritische Intellektuelle, im Allgemeinen gegen Andersdenkende, und das ist sehr gefährlich, weil wir brauchen auch eine moderne sozialdemokratische Partei. Wir brauchen Rechtsstaatlichkeit und wir brauchen die freie Presse, um die Demokratie zu schützen.
    "Da verbreitet der Premierminister Verschwörungstheorien der allerschlimmsten Art"
    Kaess: Machen Sie sich Sorgen über die Demokratie in Ihrem Land?
    Hvorecky: Sogar sehr! Gestern zum Beispiel gab es eine Pressekonferenz von Robert Fico, wo er behauptet hat, dass hinter der Kritik des Präsidenten Andrej Kiska George Soros steckt. Das ist widerlich. Dass dieser neue Antisemitismus, dass diese neue Hetze in dieser Art von einem europäischen Premierminister kommt, das ist einfach unfassbar. Und dass ständig behauptet wird, der Präsident kriegt seine Meinung in der amerikanischen Botschaft, da verbreitet der Premierminister Verschwörungstheorien der allerschlimmsten Art.
    Kaess: Herr Hvorecky, sprechen Sie ruhig zu Ende. Sie wollten noch was dazu sagen.
    Hvorecky: Ich wollte nur sagen, wir kämpfen auch mit diesem großen Propagandakrieg im Internet, und leider sind auch Menschen an der Macht, die Ähnliches tun. Wir hatten Hoffnung, 27 Jahre nach der Wende, die Slowakei ist eigentlich ein erfolgreiches Land, ein ziemlich sicheres Land. Es geht uns viel besser als vor 20 Jahren oder sogar vor zehn Jahren. Die Slowaken waren auch große Europaoptimisten. Aber es herrscht jetzt große Unruhe, große Unsicherheit, und ich glaube, die Regierung ist mitverantwortlich.
    "Er hat die Wahrheit gesucht"
    Kaess: Lassen Sie uns noch mal bei dem Fall Jan Kuciak bleiben. Glauben Sie seinen Recherchen?
    Hvorecky: Ich glaube vor allem, dass er ein sehr guter Autor war. Er hat wirklich viele Beweise publiziert. Er hat sehr gut recherchiert. Er konnte analytisch denken. Dieser 27-jährige Journalist hat über 100 Texte publiziert. Die waren viel gelesen, wahrgenommen, er war am Anfang seiner Karriere. Ich glaube, wir haben einen wunderbaren Kollegen verloren und er wurde schon in dem Alter wirklich verhasst von der politischen Elite, aber auch von den Oligarchen, weil er die Wahrheit gesucht hat. Das ist das Problem. Die Verschwörungstheorien, die suchen ja keine Wahrheit. Die wollen nur Verwirrung, die wollen nur Chaos. Aber er wollte in dieses Chaos und in diese Verstrickung der Macht, er hat die Wahrheit gesucht. Das ist eine Aufgabe eines guten Journalisten.
    "Die Menschen erwarten, dass da jemand auch verantwortlich wird"
    Kaess: Wie soll es denn jetzt weitergehen? Würde denn tatsächlich eine Regierungsumbildung die Menschen beruhigen, oder Neuwahlen, und was kann auch jetzt diese Delegation aus dem EU-Parlament, die in der Slowakei eintreffen soll, was kann das eigentlich bringen?
    Hvorecky: Es gibt wieder eine große Demonstration am Freitag. Wir hatten am letzten Freitag zehntausende Menschen auf den Straßen. Es war ruhig, es war sehr friedlich. Es war auch eine Erinnerung an Jan Kuciak. Aber ich glaube, es wird kritischer jetzt am Freitag, weil die Stimmung hat sich sehr zugespitzt. Es herrscht wirklich so ein Kampf jetzt zwischen Premierminister und dem Präsidenten. Die Menschen erwarten, dass da jemand auch verantwortlich wird. Es ist nur der Kulturminister zurückgetreten, was ich eigentlich ziemlich skurril fand, weil er hat am wenigsten damit was zu tun. Aber der Innenminister steht seit Jahren unter Kritik. Er ist tief in diesem Korruptionsnetzwerk verstrickt und er bleibt immer noch. Wie kann so ein Innenminister so einen Fall klären? Ich glaube das nicht.
    Kaess: Sie verlangen Konsequenzen. – Sagen Sie uns noch: Haben Sie irgendwelche Hoffnungen auf diese Delegation aus dem EU-Parlament?
    Hvorecky: Ich glaube, im Allgemeinen schätzen wir hier sehr, dass es so viel Solidarität in Europa gibt gegenüber der Slowakei. Dafür will ich mich auch bei den deutschen Kollegen herzlich bedanken. Das brauchen wir auch in so einem Moment. Es ist eine Krise, aber die kann man lösen und gemeinsam lösen. Auch dieses Gefühl, wir sind nicht allein, wir sind ein Teil Europas, das ist uns schon sehr wichtig. Vergessen Sie das auch nicht später, wenn es schlimmer vielleicht wird.
    Kaess: … sagt Michal Hvorecky. Er ist slowakischer Schriftsteller und Journalist. Danke für Ihre Zeit heute Morgen.
    Hvorecky: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.