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Nach Krim-Vorstoß
Scharfe Kritik an Lindner aus der Ukraine

Der Vorschlag von FDP-Chef Christian Lindner, die Annexion der Krim durch Russland als dauerhaftes Provisorium zu akzeptieren, ist in der Ukraine auf deutliche Kritik gestoßen. Außenminister Klimkin zeigte sich "sehr besorgt" - während in Deutschland das Echo auf den Vorstoß geteilt ist.

Von Paul Vorreiter | 09.08.2017
    Der ukrainische Außenminster Pawel Klimkin, sprechend, eine gelb-blaue Fahne im Hintergrund.
    Der ukrainische Außenminster Pawel Klimkin reagiert mit harscher Kritik auf Lindners Äußerungen (dpa/picture alliance/Olivier Hoslet)
    Dass seine Aussagen zur Krim tagelang die öffentliche Debatte beschäftigen werden, das hat FDP-Chef Christian Lindner sicher nicht erwartet. Häme, scharfe Kritik und auch Lob reißen jedenfalls nicht ab. Heute zunächst eine besorgte Stimme in der "Bild-Zeitung": Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin hält wenig von der Idee des liberalen Vorsitzenden, die Annexion der Krim als ein dauerhaftes Provisorium anzusehen. "Wir sind sehr beunruhigt, dass manche Politiker wie jetzt FDP-Chef Christian Lindner immer wieder versuchen, die offensichtlichen Verletzungen des Völkerrechts zu ignorieren oder sogar zu rechtfertigen", sagte Klimkin in dem Blatt. Politiker wie Lindner ermutigten - so Klimkin - "den Aggressor zu weiteren Verbrechen und verwandeln sich in Mitbeteiligte an Putins Verbrechen". Harte Worte in Richtung des FDP-Chefs, der möglicherweise nächster Außenminister in einer gar nicht mehr unwahrscheinlich gewordenen schwarz-gelben Bundesregierung werden könnte.
    Russland unter Präsident Wladimir Putin hatte die ukrainische Halbinsel 2014 annektiert. Seitdem ist das Verhältnis der westlichen Staaten zu Russland auf einem Tiefpunkt. Die russische Seite zeigt sich von Sankantionen bisher nicht nachhaltig beeindruckt. Sowohl Kanzlerin Merkel als auch die SPD halten sich zu Gute, dass sie seit 2013 die von Lindner jetzt geforderte "ausgestreckte Hand" immer wieder gezeigt hätten. Zuletzt sorgte sogar der verschleierte Kauf von Turbinen für die Krim für Verärgerung und eine weitere Verschärfung der EU-Sanktionen.
    Politologe: "Kein Anlass, Sanktionen aufzuheben"
    Klaus Segbers, Politologe am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin, hält die Vorschläge Linders für kurzsichtig: "Wenn sie aber erst Sanktionen verhängen und sie dann wieder aufheben, ohne dass sich irgendetwas verändert hat, dann wird das auch von anderen internationalen Akteuren mit großer Aufmerksamkeit beobachtet werden, zum Beispiel von China oder vielleicht auch vom Iran, das heißt wir sind hier nicht im luftleeren Raum, sondern was wir tun oder nicht tun, wird sorgfältig beobachtet und ich sehe aus all diesen Gründen überhaupt keinen Anlass, ohne Veränderung des Sachverhaltes, ohne auch Bewegung der russischen Seite des Sachverhaltes, die Sanktionen aufzugeben."
    Der außenpolitische Sprecher der Union, Jürgen Hardt, sagte gegenüber unseren Programmen, dass er durchaus glaube, dass die Sanktionen Wirkung entfalteten. Russlands Präsident Putin habe mehrfach darauf gedrängt, die Sanktionen zu lockern. Zudem sei es kontraproduktiv, wenn sich Deutschland aus der einhelligen Position seiner Partner EU und NATO löse. Mit Blick auf eine gemeinsame Koalition mit der FDP hofft der CDU-Politiker auf ein Einlenken Lindners: "Ich halte es für ausgeschlossen, dass eine Bundesregierung in der Russlandfrage mit zwei verschiedenen Stimmen spricht, bin aber zuversichtlich, dass wir, mit welchem Koalitionspartner auch immer als CDU, Kanzlerin beziehungsweise stärkste Fraktion in der Koalition auch eine einmütige Position zustande bringen."
    Lob für Lindner von Wagenknecht und Platzeck
    Applaus für Christian Lindner kam bereits ausgerechnet von der sonst politisch so weitentfernten Linkspartei: Deren Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht sieht in den Ideen Lindners eine begrüßenswerte Rückkehr zu Traditionen deutscher Entspannungspolitik gegenüber Russland. Der Haltung einer "ausgestreckten Hand" kann auch Matthias Platzeck etwas abgewinnen, der Vorsitzende des Vorstandes des Deutsch-Russischen Forums und ehemalige Ministerpräsident von Brandenburg:
    "Das ist doch ein Fakt, den wir nach einigen Jahren besichtigen müssen, durch die Sanktionen sind die politischen Verhältnisse nicht besser geworden, die militärische Eskalationsgefahr ist gestiegen, die wirtschaftlichen Beziehungen haben gelitten, in Russland ist es nationalistischer geworden, also es hat sich nichts, aber auch gar nichts durch die Sanktionen zum Positiven gewendet. Das muss man doch mit ins Kalkül einbeziehen", sagte der ehemalige SPD-Vorsitzende Platzeck am Mittwochmorgen im SWR-Hörfunk. Gut sechs Wochen vor der Bundestagswahl ist offen, wie der außenpolitische Vorstoß Christian Lindners von den Wählern honoriert oder abgestraft wird. Eine Umfrage der Zeitung "Welt" ergab, dass gut 44 Prozent der Befragten seine Meinung teilen, etwas mehr als 43 Prozent lehnen sie ab.