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Nach SPD-Vorschlag
Debatte um Pflichtbesuche in KZ-Gedenkstätten

Der verpflichtende Besuch von Migranten in einer KZ-Gedenkstätte, wie die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli ihn vorgeschlagen hat, kann Menschen die Augen für deutsche Geschichte öffnen. Sollte er aber deshalb auch zur Pflicht werden?

Von Paul Vorreiter | 10.01.2018
    Das rekonstruierte Metalltor mit der Aufschrift "Arbeit macht frei" in der KZ-Gedenkstätte Dachau in Dachau bei München (Bayern).
    In Bayern müssen alle Schüler während ihrer Schulzeit eine der beiden Gedenkstätten in Dachau (im Bild das rekonstruierte Metalltor mit der Aufschrift "Arbeit macht frei") oder Flossenbürg besuchen (dpa/picture-alliance/Peter Kneffel)
    Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli hatte in der "Bild am Sonntag" verlangt, dass jeder, der in Deutschland lebt, mindestens einmal in seinem Leben eine KZ-Gedenkstätte besuchen müsse. Das solle auch für Zuwanderer gelten. Chebli, die selbst Tochter palästinensischer Flüchtlinge ist, schlug vor, Gedenkstättenbesuche zum Bestandteil von Integrationskursen zu machen. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, findet den Vorschlag grundsätzlich gut, wie er im Deutschlandfunk deutlich machte:
    "Ich denke, der Besuch, der ist sinnvoll. Schüler der höheren Schulklassen, aber aller Schulgattungen, da halte ich den Besuch einer Gedenkstätte für absolut wichtig. Der muss aber entsprechend vorbereitet sein und genau das gleiche das gilt auch für Leute die neu zu uns kommen, konkret von Menschen, die Asyl in Deutschland beantragt haben."
    Pflichtbesuch in Bayern
    In Bayern müssen alle Schülerinnen oder Schüler während ihrer Schulzeit eine der beiden Gedenkstätten, in Flossenbürg oder Dachau besuchen. Björn Mensing ist Historiker und Theologe und führt Schülergruppen über das Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau:
    "Insgesamt mache ich dabei gute Erfahrungen, was die Resonanz bei den Jugendlichen betrifft und insofern würde ich das auch für andere Bundesländer begrüßen, die Voraussetzung allerdings ist, dass in ausreichender Zahl pädagogisch und historisch qualifiziertes Personal zur Verfügung steht."
    Zweifel meldet dagegen der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Thüringens Bildungsminister Helmut Holter, von der Linkspartei an. Er ist gegen eine Verpflichtung zu einem Besuch:
    "Wenn der Wunsch der Schülerinnen und Schüler und Klassen besteht, diese Gedenkstätten zu besuchen, dann ist die Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen viel größer, als wenn sie per Zwang dort hingebracht werden. Ich setze eben auch aus diesem Grund auf die Freiwilligkeit, um tatsächlich eben mit einer großen Motivation und einer inneren Bereitschaft sich diesem Thema zu nähern. Alles Andere würde zu einer Blockade und mehr auch zu einer gewissen Blockade führen, sich mit diesem Thema auseinandersetzen zu müssen."
    Ablehnung von Zwang
    Günter Morsch, der Direktor der Stiftung Brandenburgischer Gedenkstätten und Leiter der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen, warnt davor, zu hohe Erwartungen in die pädagogische Wirkung eines KZ-Gedenkstättenbesuchs hineinzulegen:
    "Zu glauben, man könne ein stark verfestigtes Vorurteil durch einen solchen Besuch auffangen, das scheint mir dann doch eine Illusion zu sein. Was mir an dieser Diskussion vor allen Dingen auch nicht gefällt, ist, dass man über diese Diskussion über Geflüchtete oder migrantische Schüler, da treibt man einen Spaltpilz hinein in diese Gruppen. Das sollte man nicht tun. Wir haben auch viele Deutsche, die tatsächlich eher nationalistisch eingestellt sind, und die es aus anderen gründen ablehnen, auch da lehnen wir solchen Zwang ab."
    Darüber hinaus würden die Gedenkstätten auch an organisatorisch häufig an ihre Grenzen stoßen:
    "Wir stellen auch immer wieder fest, dass die Schülerinnen und Schüler mit einem sehr geringen Vorwissen an diese Orte kommen. Man muss die Bedingungen des Lernens verbessern und nicht sozusagen auf dem Stand, den wir jetzt haben, mehr Menschen, Schülerinnen und Schüler her zwingen."
    Morsch fordert in diesem Zusammenhang, dass für Besuche im Schulalltag genügend Zeit zur Verfügung stehen müsste, einschließlich einer Vor- und Nachbereitung.