Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Nach Terrorwarnung in München
"Zusammenarbeit ist das Gebot der Stunde"

Der CSU-Politiker Stephan Mayer hält die Reaktion der Münchener Polizei in der Silvesternacht für verantwortungsbewusst und professionell. Die Warnung sei konkret gewesen, den Sicherheitsbehörden nichts anderes übrig geblieben als die Bevölkerung zu warnen, sagte Mayer im DLF. Der Fall zeige, wie wichtig eine enge Zusammenarbeit von Geheimdiensten sei.

Stephan Mayer im Gespräch mit Sandra Schulz | 02.01.2016
    Angesichts der konkreten Hinweise sei die Entscheidung der Münchner Polizei absolut richtig gewesen, den Hauptbahnhof und den Bahnhof im Stadtteil Pasing zu räumen. Der Polizei sei nichts anderes übrig geblieben, da Zeitpunkt, Ort und Anzahl der Täter genau genannt worden seien, meinte Mayer. Über Tage hinweg hätten sich die Hinweise konkretisiert. Es wäre grob fahrlässig gewesen, wenn die Sicherheitsbehörden solchen Hinweisen nicht nachgegangen seien. Unterm Strich werde damit aber vernünftig umgegangen, es bestehe aber die Gefahr, dass es Trittbrettfahrer oder Wichtigtuer gebe.

    Sandra Schulz: Gestern hat die Polizei in München Entwarnung gegeben oder was man dieser Tage so Entwarnung nennt. Die Gefährdung, so hieß es, sei jetzt wieder so wie vor Silvester, und was das bedeutet, das stellte gestern Bundesinnenminister de Maizière noch einmal klar. Er sagte, die Sicherheitsbehörden gingen weiterhin von einer hohen Gefährdung durch den internationalen Terrorismus aus.
    Über die Schlussfolgerungen und Konsequenzen wollen wir in den folgenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich den CSU-Politiker Stephan Mayer, den Innenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!
    Stephan Mayer: Guten Morgen, Frau Schulz, grüß Gott!
    Schulz: Herr Mayer, was heißt München für die Sicherheitslage in Deutschland?
    "Deutschland ist im Fokus des islamistischen Terrorismus"
    Mayer: An sich verändert München die Sicherheitslage Deutschlands nicht. Wir waren schon vor der Silvesternacht in einer erhöhten Bedrohungssituation, und Deutschland ist im Fokus des islamistischen Terrorismus, genauso wie es Frankreich, Dänemark oder Großbritannien sind, und daran ändert sich jetzt auch nach dieser Silvesternacht und dem neuen Jahr 2016 nichts. Ich befürchte sogar, dass wir immer wieder mal mit solchen Ereignissen werden leben müssen, wie wir sie vor dem Länderspiel in Hannover hatten und jetzt auch vor der Silvesternacht in München, nämlich dass sich aller Voraussicht nach immer wieder mal auch Hinweise so konkretisieren, dass es unabdingbar ist und dringend erforderlich ist, die Bevölkerung über diese Terrorwarnungen auch öffentlich zu informieren.
    Schulz: Das heißt, jetzt in München war es richtig, die Terrorwarnung rauszugeben und auch die Bahnhöfe stundenlang zu evakuieren und zu sperren?
    Mayer: Ich halte die Entscheidung der bayerischen Polizei für absolut richtig. Wenn sich die Hinweise über Tage hinweg, seit Weihnachten, so verdichten und dann auch so konkretisieren, dass zum Teil schon genau der Zeitpunkt genannt wird, dass auch die Anzahl der Attentäter genannt wird, auch die Orte mit zwei Bahnhöfen, dem Hauptbahnhof und dem Pasinger Bahnhof, dann blieb der Münchener Polizei aus meiner Sicht reellerweise nichts mehr anderes übrig, als die Öffentlichkeit zu informieren. Man möchte sich ja gar nicht ausdenken, was passiert wäre, wenn es wirklich zu einem Anschlag gekommen wäre und die Polizei hätte es unterlassen, über diese Hinweise, die ihr ja schon seit Tagen vorlagen, öffentlich zu informieren.
    Schulz: Das ist natürlich das Dilemma, wobei ich trotzdem gern noch genauer verstehen würde, was an diesen Hinweisen jetzt so konkret war. Wir haben gestern gelernt, das hat der Polizeipräsident in München gesagt, dass nach wie vor immer noch nicht klar ist, ob diese Verdächtigen, die jetzt gesucht werden, ob die überhaupt existieren. Was war denn dann an diesen Hinweisen so konkret?
    "Natürlich wird nicht bei jedem Hinweis so verfahren"
    Mayer: An den Hinweisen war konkret, dass genau genannt wurde, welches die Anschlagziele sind, nämlich der Münchener Hauptbahnhof und der Pasinger Bahnhof, dass ein konkreter Zeitpunkt genannt wurde, nämlich Mitternacht, und dass auch sogar die Zahl der Attentäter genannt wurde mit zwischen fünf und sieben. Und diese Hinweise haben sich eben über Tage hinweg dann konkretisiert und eben so verdichtet. Und das ist schon ein Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu vielen anderen Hinweisen.
    Die Sicherheitsbehörden sprechen ja generell jetzt, insbesondere nach den schrecklichen Anschlägen von Paris von einem sogenannten erhöhten Grundrauschen. Wenn in der Vergangenheit in der Woche zwei Hinweise eingingen, dann gehen mittlerweile am Tag zwei Hinweise ein. Und natürlich wird nicht bei jedem Hinweis so verfahren wie jetzt in Hannover oder wie in München, nämlich, dass die Öffentlichkeit informiert wird. Aber wenn dann wirklich die Dinge sich so konkretisieren und so auch speziell zuspitzen wie jetzt wieder am Silvesterabend in München, dann bleibt aus meiner Sicht den Sicherheitsbehörden gar nichts anderes übrig, als die Öffentlichkeit auch darüber zu informieren.
    Schulz: Und wie genau unterscheiden die Sicherheitsexperten da von dem, was ein Rauschen ist und was wirklich konkret ist. So, wie ich Sie jetzt verstehe, war das Konkrete daran, dass eben wirklich sozusagen Ort und Zeit benannt waren. Aber ist das nicht sozusagen einfach die Empfehlung für alle, die die öffentliche Ordnung und das öffentliche Leben lahmlegen wollen, eben genau solche Hinweise dann auch in die Welt zu setzen?
    "Es war kein Fehlalarm"
    Mayer: Diese Gefahr besteht natürlich, Frau Schulz, dass es immer wieder Trittbrettfahrer gibt, dass es auch Wichtigtuer gibt, auch in Krisenregionen, die sich den ausländischen Nachrichtendiensten andienen wollen, damit vielleicht auch eigene Vorteile sich verschaffen wollen. Aber es wäre aus meiner Sicht grob fahrlässig, wenn die Sicherheitsbehörden diesen Hinweisen trotzdem nicht nachgehen würden.
    Gott sei Dank stellt sich ein Großteil der Hinweise im Nachhinein als falsch heraus, aber deswegen war es kein Fehlalarm, den die bayerische Polizei gegeben hat oder den die Sicherheitsbehörden gegeben haben, sondern es war aus meiner Sicht ein sehr verantwortungsbewusstes und professionelles Vorgehen. Und ich befürchte sogar, dass sich dies auch in diesem Jahr 2016 immer wieder mal auch wiederholen wird in Bayern oder auch in anderen Bundesländern, weil wir eben einfach in Deutschland genauso bedroht sind wie andere Länder und im Fadenkreuz des islamistischen Terrorismus uns befinden.
    Schulz: Dann ist die Situation, vor der immer gewarnt wird, nämlich, dass es Einschnitte gibt ins öffentliche Leben, dass es Absagen gibt wie bei dem Länderspiel in Hannover, eben aufgrund dieser Terrorangst, dann wird das ja schon Realität, und die Terroristen hätten einen Teilerfolg ja schon erzielt.
    "Es wird sehr vernünftig mit Hinweisen umgegangen"
    Mayer: Das ist durchaus richtig. Und auch, wenn wir immer drauf hinweisen, wir dürfen uns nicht in die Knie zwingen lassen, und das ist ja genau das Ziel des sogenannten Islamischen Staats, uns in unserem alltäglichen Leben auch entsprechend zu beeinflussen, zu beeindrucken, dann gebietet es dann doch, glaube ich, in jeder Deutlichkeit auch die Sicherheit, dass wir in der Abwägung dann auch in derartigen Einzelfällen Einschnitte in unser persönliches Leben auch mit in Kauf nehmen, sei es mal die Absage eines Länderspiels, oder sei es jetzt auch die Räumung von zwei Hauptbahnhöfen oder zwei Bahnhöfen.
    Aber ich bin trotzdem der Meinung, dass unter dem Strich sehr vernünftig auch mit diesen Hinweisen umgegangen wird. Es wird ja nur bei einem sehr geringen Teil der Hinweise überhaupt die Öffentlichkeit in Kenntnis gesetzt. Aber wenn eben dann aus verschiedenen Quellen, auch nach einer Befragung offenbar einer Quelle im Irak durch Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes sich die Dinge so konkretisieren wie jetzt in München, dann bleibt nichts anderes übrig, als durchaus es auch mal in Kauf zu nehmen, dass der Zugverkehr temporär eingestellt wird und dass zwei Bahnhöfe geräumt werden.
    Schulz: Und jetzt will Bundesinnenminister de Maizière die Zusammenarbeit mit anderen Diensten auch noch ausweiten. Wächst dann dieses Dilemma nicht, dass wir die Informationen nicht einschätzen können und noch weniger wissen, wie die überhaupt zustande kommen?
    "Intensive und konstruktive Zusammenarbeit ausländischer Nachrichtendienste"
    Mayer: Nein, ich glaube, dass das Gegenteil der Fall ist. Wenn Nachrichtendienste verschiedener insbesondere befreundeter Länder intensiv zusammenarbeiten, dann kann man auch wesentlich besser einschätzen, was jetzt wirklich verlässlich ist, welche Hinweise substantiiert sind und welche Hinweise möglicherweise wirklich nur von Quellen stammen, die sich wichtig machen wollen, die sich in den Vordergrund schieben wollen.
    Eine intensive und auch sehr konstruktive Zusammenarbeit ausländischer Nachrichtendienste in der heutigen Zeit ist das Gebot der Stunde. Und da gibt es mit Sicherheit an der einen oder anderen Stelle auch noch etwas zu intensivieren, auch auszubauen, aber ich glaube auch, dass es wichtig ist, die Botschaft an die Bevölkerung zu geben, schon heute arbeiten die Sicherheitsbehörden befreundeter Länder sehr gut und intensiv zusammen. Dass uns bislang in Deutschland bis auf einen Angriff auf US-Soldaten ein islamistischer Angriff und Anschlag erspart blieb, ist auch darauf zurückzuführen, dass die deutschen Nachrichtendienste und auch die deutschen Sicherheitsbehörden intensiv mit ihren ausländischen Partnern zusammenarbeiten.
    Schulz: Aber die Botschaft an die deutsche Bevölkerung ist ja auch, wir hatten die Situation in Hannover, dass Innenminister de Maizière gesagt hat, er kann dazu jetzt nicht allzu viel sagen, weil die Details die Bevölkerung beunruhigen würden oder verunsichern würden. Also die Ausgangslage für die Bürger ist auch, dass wir eigentlich nichts kontrollieren, nichts überprüfen können und dass wir den Geheimen einfach glauben können, was vielen Menschen natürlich nach NSU, NSA und BND-Skandal schwer fällt. Was antworten Sie diesen Menschen?
    "Ruf der Sicherheitsbehörden besser als es scheint"
    Mayer: Die Antwort ist klar: Die Sicherheitsbehörden haben beim NSU sehr große Fehler gemacht, keine Frage. Aber ich glaube, gerade in den heutigen Tagen und in den letzten Wochen hat sich bewährt und auch gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir gut funktionierende, auch gut aufgestellte Sicherheitsbehörden sowohl des Bundes als auch der Länder in Deutschland haben.
    Und ich bin mir sehr sicher, dass die deutsche Bevölkerung es schon zu schätzen weiß, dass wir in Deutschland Sicherheitsbehörden haben, die jeden Hinweis ernst nehmen, die jedem Hinweis nachgehen, die nicht grob fahrlässig wegschauen oder Hinweise ignorieren, sondern die sehr verantwortungsbewusst und umsichtig ihrer Aufgabe nachgehen. Und deswegen bin ich der festen Überzeugung, dass die Reputation und der Ruf der deutschen Sicherheitsbehörden in der deutschen Bevölkerung besser ist, als es manchmal vielleicht den Anschein hat.
    Schulz: Der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer heute hier bei uns in den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk. Danke Ihnen!
    Mayer: Bitte schön, alles Gute!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.