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Nach Tod von Jo Cox
Brexit-Wahlkampf wieder angelaufen

In Großbritannien ebbt die Trauer um Jo Cox nicht ab. Der Mord an der pro-europäischen Politikerin prägt die Kampagnen für und gegen einen EU-Austritt, die die Parteien nun wieder aufgenommen haben. Der britische Justizminister, einer der prominentesten Befürworter eines Brexit, hob den Stellenwert der Meinungsfreiheit hervor.

Von Friedbert Meurer | 19.06.2016
    Trauernde schreiben bei einer Andacht in London Botschaften an eine Wand, die an die nach einem Attentat verstorbene britische Labour-Abgeordnete Jo Cox erinnern soll.
    Die Trauer um die nach einem Attentat verstorbene britische Labour-Abgeordnete Jo Cox reißt nicht ab. (picture alliance / dpa / Will Oliver)
    Nachdenken und Besinnung – in Westminster und am Tatort werden weiter Blumen niedergelegt und Kerzen aufgestellt. Die Worte der Schwester der Ermordeten gestern werden heute von allen großen Zeitungen in großen Lettern zitiert: "Sie wird weiterleben mit allen Menschen, die Gutes tun. Mit ihrem Ehemann und ihren Kindern. Sie war eine wunderbare Mutter, ein Mensch. Sie war perfekt."
    Der mutmaßliche Täter Thomas Mair hat zur Sache bislang keine Aussage gemacht. Immer wieder werden allerdings seine bizarren Worte wiederholt, als er vor Gericht seinen Namen nennen sollte: "Tod den Verrätern, Freiheit für Großbritannien!" Augenzeugen berichten, er habe schon während der grausamen Tat gerufen: "Britain first", "Britannien zuerst".
    In den Focus der Kritik gerät unter anderem die Boulevardzeitung "Daily Express". Der Musiker und Politikaktivist Billy Bragg legte nahe, dass die Schlagzeilen des Blatts aus den letzten Monaten den Mord an Jo Cox mit ausgelöst haben könnten. Dazu lichtet der Polit-Liedermacher ein gutes Dutzend Titel des "Daily Express" ab, zum Beispiel "Muslime sagen uns Briten: Fahrt zur Hölle!", oder "die Christenheit wird angegriffen".
    Zunehmend Warnungen vor rauem Ton in Internet-Debatten
    Justizminister Michael Gove, einer der prominentesten Befürworter eines Brexit, hob dagegen den Stellenwert der Meinungsfreiheit hervor: "Für unsere Demokratie ist es von zentraler Bedeutung, dass die Menschen ihre Gedanken und Gefühle äußeren dürfen, leidenschaftlich und deutlich. Meinungsfreiheit, eine robuste Debatte: Das ist der Kern unserer Demokratie."
    Gove erinnerte daran, dass nicht nur Politiker gefährdet seien, sondern auch andere, die im öffentlichen Dienst stünden, Polizisten oder Gefängniswärter. Fraktionsübergreifend mehren sich die Warnungen, der Diskurs im Internet und in sozialen Medien sei außer Kontrolle geraten: "Es ist jetzt viel rauer geworden", klagt der konservative Abgeordnete Nicholas Soames, "auch wenn der Ton schon immer rau war, aber nicht so." "Die sozialen Medien sind so schnell, der eine sagt etwas, andere stürzen hinterher", meint Kate Hoe von Vote Leave, eine Brexit-Befürworterin. "Ich ignoriere das, es sei denn, es ist eine schlimme Bedrohung."
    Cameron warnt vor endgültiger Abkehr von der EU
    Morgen ist Sondersitzung des Unterhauses, danach werden die Kampagnen wohl wieder auf die Straße gehen. Premierminister David Cameron warnte in mehreren Interviews, bei einem Nein zur EU gäbe es kein Zurück mehr. Boris Johnson, sein innerparteilicher Gegenspieler, sprach dagegen von einer Gelegenheit, die es nur einmal im Leben gäbe.
    Der Sprecher der Vote Leave-Kampagne, John Redwood, verbat sich im Deutschlandfunk jede Einmischung von außen. Er bestritt allerdings, Bundeskanzlerin Angela Merkel als "herrische Deutsche" bezeichnet zu haben: "Ich habe nicht sie damit gemeint. Wenn deutsche Politiker uns raten, mit ja zu stimmen, freuen wir uns. Sie sollen das gerne machen, denn das ist Wasser auf unsere Mühlen." Redwood erklärte, er habe nichts gegen den Wunsch "please stay", bitte bleibt. Wohl aber etwas gegen Warnungen, Großbritannien erhalte keinen Zugang zum Binnenmarkt mehr.