Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Nach Tsipras-Besuch
"Fokus auf wahrhaft wichtige Reformen fehlt"

Die Griechen müssten endlich erkennen, dass sie kein Staatsausgabenproblem, sondern eine Wirtschaftskrise bewältigten müssten, sagte der Ökonom Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im DLF. Dazu brauche man Brüssel. Das habe die aktuelle Regierung mit ihrem Konfrontationskurs aber noch nicht richtig erkannt.

Alexander Kritikos im Gespräch mit Martin Zagatta | 24.03.2015
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras in Berlin.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras in Berlin. (AFP / Tobias Schwarz)
    Thielko Grieß: Fünf Stunden lang haben Angela Merkel und Alexis Tsipras, der griechische Ministerpräsident, gestern Abend noch zusammengesessen. Der Grieche ist auf Einladung der Kanzlerin zur Zeit in Berlin. Hinterher erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert, die beiden hätten sich in „guter und konstruktiver Atmosphäre“ ausgetauscht. Schöner Satz, aber konkreter ist er nicht geworden. Zuvor, also am frühen Abend gestern, haben sich die beiden, Merkel und Tsipras, vor die Presse gestellt.
    Viele, etliche charmante Worte, aber nicht allzu üppig die Ergebnisse in der Substanz, wenn es um die entscheidenden Fragen geht. Mein Kollege Martin Zagatta hat gestern am späten Abend das jetzt folgende Interview geführt mit Alexander Kritikos. Er ist Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung.
    Martin Zagatta: Herr Kritikos, wer sich von Alexis Tsipras zumindest Hinweise erwartet hatte auf konkrete Reformvorhaben, der wurde enttäuscht. Ist das denn eine Enttäuschung, oder war nicht mehr zu erwarten von diesem Besuch?
    Alexander Kritikos: Ich denke, ein bisschen mehr war durchaus zu erwarten. Herr Tsipras und auch vorab seine Regierung haben ja ein, zwei Reformen angedeutet. Aber ich fürchte, was einfach nach wie vor fehlt ist der Fokus auf die wahrhaft wichtigen Reformen in Griechenland. Herr Tsipras hat ja angedeutet, dass er das Steuersystem in Griechenland reformieren wird, und das weist noch mal auf ein großes Problem in Griechenland hin: Man glaubt nach wie vor dort, man hat ein Staatsausgabenproblem, aber keine Wirtschaftskrise. Und wie sie diese Wirtschaftskrise angehen wollen, dazu hat man wieder nichts gehört.
    "Es bleibt nicht viel Zeit"
    Zagatta: Wie viel Zeit kann sich Griechenland denn noch lassen mit solchen konkreten Reformschritten?
    Kritikos: Eigentlich gar keine. Wir wissen ja mehr oder weniger aus den Berichten des Wochenendes, dass Griechenland das Geld in zwei Wochen ausgeht, und ich gehe eigentlich davon aus, dass die Eurogruppe konkretere Reformen hören will, um die nächsten Tranchen freizugeben, die Griechenland erst wieder zahlungsfähig machen. Insofern: Viel Zeit bleibt nicht aus meiner Sicht.
    Zagatta: Jetzt ist ja schon durchgesickert, dass die Regierung Tsipras auf Druck der EU doch Steuererhöhungen planen soll und die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Kann sich Tsipras das innenpolitisch überhaupt leisten? Damit bricht er ja auch Wahlversprechen.
    "Zahlreiche Rentenneuregelungen sind notwendig"
    Auch die Rentner in Griechenland sind Opfer der Finanzkrise
    Auch die Rentner in Griechenland sind Opfer der Finanzkrise (picture alliance / dpa / Orestis Panagiotou)
    Kritikos: Das ist richtig, damit bricht er Wahlversprechen. Aber ich fürchte, es wird das erste gebrochene Wahlversprechen von vielen sein, was er damit verkündet hat. Dass Griechenland auf ein dramatisches Rentenproblem zusteuert, das hat man bisher noch gar nicht richtig in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Insofern ist dieser Punkt zumindest einer, den man wirklich begrüßen kann. Das ist das erste konkrete Ziel, was Tsipras damit präsentiert hat, das Rentenalter auf 67 zu erhöhen, aber es wird noch sehr viel weitere solche Wahlkampfversprechensbrüche geben müssen, wenn man das Land aus dieser Krise herausholen will.
    Zagatta: Stichwort Renten: Da sorgen ja jetzt Meldungen für Zündstoff, dass Griechenland angeblich höhere Renten zahlt als Deutschland. Wie kann das sein?
    Kritikos: Nun, es war früher tatsächlich so, dass man in Griechenland ein erheblich höheres Anspruchsniveau hatte auf Renten. Soweit ich weiß, waren das rund 80 Prozent des letzten Nettogehalts. Hier hat man allerdings in den vergangenen drei, vier Jahren ja durchaus schon erhebliche Einschnitte gemacht. Insofern muss man da sicherlich noch mal genauer draufsehen, welches Rentenniveau man genau im Auge hat.
    Aber es gibt auch weitere Probleme. Es hat Frühverrentungen für Mütter gegeben, bereits mit 40, wenn sie Kinder hatten, und ähnliche Ausnahmeregelungen, die nun tatsächlich wirklich alle gekappt werden müssen.
    Zagatta: Herr Kritikos, das wird ja dauern, solche Renten-Neuregelungen umzusetzen oder Steuererhöhungen. Das wird dauern, bis damit Geld in die Staatskasse kommt. Wie will oder wie kann Griechenland der Pleite überhaupt noch entgehen?
    Kritikos: Das ist richtig, das dauert, und ich glaube, sie können in der kurzen Frist der Zeit dem nur entgehen, indem sie glaubhaft anfangen, die Reformen zu machen, die sie versprechen, weitere Reformen hinzufügen, die sie bisher noch nicht versprochen haben, um auf diese Weise die nächsten Tranchen des Hilfspakets aus Brüssel überhaupt erst möglich zu machen. Denn es ist klar: Die nächsten Rückzahlungen an Krediten, die am 9. April anstehen, ein dicker Batzen an den IWF, der wird nur durch eine gewisse Umschuldung rückzahlbar sein, indem Brüssel hier sozusagen eine andere Form von Krediten Griechenland gewährt. Ohne Brüssel wird es nicht gehen.
    "Es wird ein weiteres Hilfspaket geben müssen"
    Zagatta: Und wenn man darüber hinausblickt? Ist ein weiteres Hilfspaket, ist das unabdingbar? Kommt man daran vorbei?
    Kritikos: Nein. Aus meiner Sicht kommt man daran nicht vorbei, wenn man Griechenland in der Eurozone halten möchte. Übrigens auch wenn es rausgeht aus der Eurozone, wird man auch Hilfspakete schnüren müssen, das vielleicht in einem Nebensatz gesagt. Aber es wird ein weiteres Hilfspaket geben müssen und es wird erneut darum gehen müssen, die Reformen anzugehen, die man seit fünf Jahren hat liegen lassen.
    Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras (l.) zu Gast beim Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker.
    Griechenland braucht Brüssel, betont Kritikos und vermisst ernsthafte Reformen. (picture alliance / dpa - Olivier Hoslet)
    Zagatta: Wenn man Tsipras jetzt aber in Berlin erlebt hat, dass er jeder konkreten Aussage ja eigentlich ausgewichen ist, dann stellt sich eigentlich schon die Frage, Herr Kritikos: Meinen Sie, der griechische Ministerpräsident ist sich des Ernstes der Lage überhaupt bewusst, und für wie seriös halten Sie denn die griechische Regierung?
    Kritikos: Nun, inwieweit sie sich bewusst sind über den Ernst der Lage, ich glaube, das sind sie schon. Ich frage mich viel mehr, ob sie inzwischen von ihrer ursprünglichen Strategie schon absehen wollen, nämlich im Prinzip zu versuchen, den Staatshaushalt an die Wand zu fahren und Brüssel irgendwann dann tatsächlich vor die Wahl zu setzen, die nächste Kredittranche zu übernehmen, oder Griechenland aus dem Euro zu lassen, um dann davon auszugehen, dass Brüssel zahlen wird. Ich fürchte, das steckt einfach hinter diesem Ansatz. Was man in Griechenland dabei leider wirklich übersieht ist, dass es darum gehen muss, Brüssel als einen dauerhaften Partner zu sehen, mit dem es eigentlich nur gemeinsam einen Ausweg aus der Krise gibt, und auf diese Weise Tranchen-Zahlungen zu erzwingen, ist kein gemeinsamer Weg, sondern einer, der dann doch irgendwann auseinanderführt.
    Grieß: Alexander Kritikos, Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, im Gespräch mit Martin Zagatta.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.