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Nach Unions-Einigung in der Flüchtlingspolitik
"Wie das funktionieren soll, ist unklar"

200.000 Zuwanderer pro Jahr - darauf haben sich CSU und CDU geeinigt. Grünen-Politiker Volker Beck hält einen solchen Richtwert nur dann für sinnvoll, wenn dadurch die Aufnahmequote festlegt wird, die Deutschland dem UNHCR anzubieten hat."Ob das dann die richtige Zahl ist, darüber muss man dann noch reden", so Beck im Dlf.

Volker Beck im Gespräch mit Jasper Barenberg | 09.10.2017
    Porträtbild von Volker Beck (Grüne)
    Volker Beck: "Die Union hat zumindest mal jetzt eine gemeinsame Position. Es wäre eigentlich ihre Aufgabe gewesen, die vor dem Wahlkampf mal klarzumachen" (picture alliance / dpa/ Jörg Carstensen)
    Jasper Barenberg: Mit ein wenig gutem Willen wird es schon gehen. So hatte Angela Merkel sich und den anderen Beteiligten Mut gemacht, als sich viele Beobachter vor dem Spitzentreffen kaum vorstellen konnten, wie eine Lösung im Streit zwischen CSU und CDU in der Flüchtlingspolitik überhaupt möglich sein könnte. Doch nach zehn Stunden Verhandlungen haben die Schwesterparteien einen Kompromiss gefunden: 200.000 Zuwanderer pro Jahr. Das individuelle Recht auf Asyl wird nicht in Frage gestellt. Das Wort "Obergrenze" wird vermieden. Das haben CSU und CDU im Kern vereinbart.
    Am Telefon ist der Grünen-Politiker Volker Beck, viele Jahre lang im Bundestag intensiv mit der Innen- und auch der Flüchtlingspolitik beschäftigt. Schönen guten Tag, Herr Beck.
    Volker Beck: Guten Tag.
    Barenberg: Katrin Göring-Eckardt, die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, hat ja von einer guten Nachricht gesprochen nach der Einigung gestern in Berlin. Finden Sie das auch?
    Beck: Na ja. Die Union hat zumindest mal jetzt eine gemeinsame Position. Es wäre eigentlich ihre Aufgabe gewesen, die vor dem Wahlkampf mal klarzumachen. Aber eine Position der Union kann natürlich nicht das Ergebnis von Sondierungs- und Koalitionsgesprächen zwischen den vier Parteien sein.
    "Alles soll mit allem verrechnet werden"
    Barenberg: Die Grünen sprechen jetzt auch von einem Formelkompromiss. Warum sind die Vereinbarungen nicht tragfähig aus Ihrer Sicht?
    Beck: Man weiß gar nicht, wie es genau funktionieren soll. Alles soll mit allem verrechnet werden und dann soll hinterher die Zahl 200.000 rauskommen. Wie das dann genau funktionieren soll, ist völlig unklar.
    Gut ist, dass mittlerweile auch die Erkenntnis sich in der Union durchgesetzt hat, dass es beim Thema Schutz von Flüchtlingen, Grundrecht auf Asyl, keine Obergrenze geben kann, sondern dass es eine grundrechtliche Position ist. Schlecht ist, dass die Union nicht versteht, dass das selbstverständlich auch für den Familiennachzug gilt, der auch eine grundrechtliche Position ist.
    Barenberg: Da haben die beiden Parteien ja beschlossen, dass man den weiter aussetzen will, diesen Familiennachzug. Da werden die Grünen auf alle Fälle Einspruch erheben, wenn es zu Sondierungen und Koalitionsverhandlungen kommt?
    Beck: Man muss über alle Punkte reden - das gehört sich bei Gesprächen zwischen Parteien, die kooperieren wollen – und das auf die Realitätstauglichkeit und auch die Grundrechtskonformität der einzelnen Maßnahmen abklopfen.
    Barenberg: Was ist eigentlich grundsätzlich falsch an der Absicht, so etwas wie einen Richtwert festzulegen, eine Größenordnung für die Zuwanderung nach Deutschland pro Jahr?
    Beck: Wenn der Richtwert den Sinn hat, die Höhe der Aufnahmequote festzulegen, die wir dem UNHCR im Rahmen von Resettlement-Programmen anzubieten haben, dann macht ein Richtwert durchaus Sinn. Ob das dann die richtige Zahl ist, darüber muss man dann noch reden. Aber man muss auch wissen: Es können immer unvorhergesehene Entwicklungen stattfinden.
    Das Jahr 2015 hat so niemand vorausgesehen. Da hat auch die Staatengemeinschaft, auch die Bundesrepublik hat da Fehler gemacht, weil wir haben dem UNHCR nicht genügend Mittel bereitgestellt, um die Menschen in den Herkunftsländern oder in den Ländern um den Syrien-Konflikt herum so auszustatten, dass sie dort hinreichend helfen konnten. Das hat ja die hohe Zahl von Flüchtlingen in diesem Jahr dann ausgelöst. Solche Dinge sollte man zukünftig vermeiden, weil natürlich muss das Ziel sein, den Flüchtlingen nicht unnötig Gründe zu geben, die sie zur Flucht zwingen. Niemand will ja hohe Flüchtlingszahlen, sondern wir wollen Menschen schützen vor Verfolgung, und wenn wir Verfolgung und Not abstellen können mit anderen Mitteln, ist das immer vorzugswürdig.
    "Wir haben ein umfassendes Konzept vorgelegt zur Fluchtursachenbekämpfung"
    Barenberg: Deswegen steht in diesem Papier, in dieser Einigung ja auch drin als Schlagwort, als Stichwort Fluchtursachenbekämpfung. Ich meine, das ist nichts Neues, aber dem müssten Sie eigentlich auch zustimmen können.
    Beck: Wir haben ein umfassendes Konzept vorgelegt zur Fluchtursachenbekämpfung. Man muss es nur machen. Davon, dass es in Papieren drinsteht, ist noch nichts passiert. Also gehört einerseits die hinreichende Ausstattung des UNHCR dazu, um Versorgung von Flüchtlingen zu verbessern, aber es gehört natürlich auch der Versuch dazu, Maßnahmen in der Wirtschaftspolitik – das trifft vor allen Dingen auf Afrika zu – zu treffen, damit Menschen nicht in Not und Hunger geraten und sich deshalb auf den Weg machen, weil sie schlichtweg ihr Leben retten wollen. Aber es gehört natürlich auch dazu – und das ist eine schwierige Operation ; das kriegt man auch bei gutem Willen nicht überall und nicht schnell hin -, da wo es Konflikte gibt aktiv durch Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit Konflikte zu entschärfen oder beizulegen.
    Barenberg: Aus all dem, was Sie bisher sagen, höre ich durch, mit vielen Punkten können Sie sich einverstanden erklären, die jetzt von CSU und CDU aufgelistet wurden.
    Beck: Nein. Ich denke, man kann darüber reden. Man muss darüber reden. Aber ich kannte die Diskussion vorher in der Union. Deshalb bin ich jetzt nicht so richtig überrascht über das Gesprächsergebnis. Da wird natürlich auch versucht, dafür zu sorgen, dass keiner das Gesicht verliert. Das sollte man bei Verhandlungen immer im Blick behalten. Aber am Ende bleiben unsere flüchtlings- und menschenrechtlichen Positionen stehen und die werden Ausgangspunkt unserer Gespräche mit der Union sein.
    "Ein Einwanderungsgesetz kann nicht gegen Flüchtlingsrechte verhandelt werden"
    Barenberg: Die Grünen fordern ja schon länger ein Einwanderungsgesetz. So steht es jetzt auch in dem Papier oder in dieser Einigung zwischen CSU und CDU. Glauben Sie, dass das eine gute Grundlage sein wird, dass die Union jetzt auch bei diesem Punkt auf Sie zugeht?
    Beck: Na ja, sie geht auf die Realität zu. Es geht ja nicht um Parteipositionen, sondern es geht darum, wie wir unser Land angesichts der demographischen Entwicklung dauerhaft fit machen. Und dass die Union jetzt auch sagt, es soll kein Arbeitsplatz unbesetzt bleiben, weil die Fachkräfte fehlen, ist ein Schritt auf die Reformbedarfe unseres Landes zu.
    Aber was auch klar sein muss: Ein Einwanderungsgesetz kann nicht gegen Flüchtlingsrechte verhandelt werden, sondern wir brauchen einen Mechanismus, wie wir unseren Fachkräftebedarf flexibel und arbeitsmarktbezogen organisieren. Da ist unser jetziges Aufenthaltsrecht einfach zu stark. Wir hatten das schon 2004 vorgeschlagen. Damals hat es die Union im Vermittlungsausschuss – ich war damals der Verhandlungsführer – aus dem Kompromiss rausverhandelt und rausgestrichen. Es wäre gut gewesen, wir hätten das schon vor zwölf Jahren eingeführt.
    Barenberg: Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, man darf Zuwanderungsregeln, Regeln für Einwanderung nicht gegen Flüchtlingsrechte abwägen oder ausspielen?
    Beck: Bei Flüchtlingsrechten geht es darum, dass die Menschenrechte dieser Menschen gewahrt werden, dass wir Menschen schützen vor Verfolgung, vor Gefahren für Leib, Leben und Freiheit. Und bei Einwanderungsregelungen geht es um unsere Interessen, wen brauchen wir und nach welchen Regeln organisieren wir es, dass diejenigen, die wir brauchen, es auch attraktiv finden, nach Deutschland zu kommen, und dass dann auch die richtigen kommen. Das sind zwei verschiedene Fragestellungen, die miteinander erst mal so nichts zu tun haben.
    Barenberg: Aber was das Einwanderungsgesetz angeht und was Sie dazu gesagt haben, was bedeutet das denn anderes als Einwanderung zu begrenzen, weil man es auf Menschen beschränkt, die bestimmte Kriterien erfüllen, sagen wir, was die Sprache angeht oder die berufliche Qualifikation?
    Beck: Bei der Arbeitsmigration geht es ja um Leute, die man holt, nicht, weil sie in Not sind, sondern weil wir sie mit dem, was sie können, und mit ihrer Arbeitskraft auf unserem Arbeitsmarkt brauchen. Da ist es selbstverständlich legitim, ich halte es gar für zwingend, dass man die Menschen nach ihrer Geeignetheit für unseren Arbeitsmarkt auswählt. Da greift man ja in niemandes Rechte ein, indem man dieses tut, sondern bietet Leuten, die sonst keinen Anspruch hätten, weil sie nicht verfolgt sind, hier herzukommen, die Möglichkeit an, nach Deutschland zu kommen und zu arbeiten.
    "Es ist gut, dass das jetzt auch erkannt wird"
    Barenberg: Da, Herr Beck, wären dann auch alle ausgeschlossen, die aus furchtbarer, aber eben nur wirtschaftlicher Not, aus Armut nach Deutschland kommen wollen, um ein besseres Leben für sich zu finden?
    Beck: Es haben von dieser Gruppe nur diejenigen dann eine Chance, die die Qualifikationen, die wir brauchen, auch mitbringen.
    Barenberg: Was die andere Seite angeht, da ist ja nun in der Einigung ausdrücklich gesagt, dass das individuelle Recht auf Asyl nicht angetastet werden soll und dass natürlich auch die Genfer Flüchtlingskonvention gewahrt und geschützt bleiben soll. Insofern sind Sie da, glaube ich, doch auch auf einer Linie.
    Beck: Das haben wir ja immer gesagt. Es ist gut, dass das jetzt auch erkannt wird. Und selbstverständlich, wenn die Union das sagt, was wir vorher gesagt haben, bleibt das an diesem Punkt natürlich trotzdem richtig.
    Barenberg: … sagt der Grünen-Politiker Volker Beck. Vielen Dank für das Interview heute Mittag.
    Beck: Bitte schön! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.