Angst vor Unruhen im US-Wahlkampf

Die Amerikaner decken sich mit Waffen ein

10:15 Minuten
Ein Mitarbeiter eines Waffengeschäfts, mit Gesichtsmaske, präsentiert ein Gewehr. Auf der Waffe und auf der roten Basecap des Verkäufers ist der Schriftzug "Make America Great Again" zu sehen.
Die diesjährigen Waffenverkäufe in den USA entsprechen bereits den gesamten Waffenverkäufen von 2019. © Getty Images/Mike Pont
Von Nana Brink · 22.10.2020
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Noch nie haben die US-Amerikaner so viele Gewehre gekauft wie im ersten Halbjahr 2020: rund 19 Millionen. Seit Trump Bürgermilizen auch noch aufgefordert hat, ihn zu unterstützen, sorgen sich immer mehr Menschen vor Ausschreitungen.
Das Waffengeschäft von Steve Clark liegt direkt am Highway 15 im ländlichen Virginia. Seit über 60 Jahren gehört das Geschäft seiner Familie. Seine Kunden: weiße, konservative Farmer. Über der Theke hängt die Südstaatenflagge. Daneben das Schild: "Make America great again". Es ist schon ein wenig verschmutzt. Clark, ein freundlicher, älterer Herr, lächelt. Donald Trump ist sein Held.
"Ich mag ihn, er ist wunderbar. Er hat ein gutes Verhältnis zur Waffenindustrie und niemand muss sich Sorgen machen, die Waffe zu verlieren. Ich wähle immer für ihn."
Steve Clark zählt zu den Gewinnern der Krise. Auch während des Lockdowns im Frühling ist sein Geschäft offengeblieben. Laut Verordnung des Heimschutzministeriums zählen Waffenläden zur "Grundversorgung" in den USA. Wenn Amerikaner besorgt sind, kaufen sie Waffen.

"Wir sind damit aufgewachsen"

"Ich habe mehr Waffen als Finger an meiner Hand. Es ist schwer zu erklären, weil wir damit aufgewachsen sind und wenn uns jemand etwas wegnehmen will, an das wir gewöhnt sind, dann wird es wahnsinnig wichtig."
Die Waffenbranche boomt in den Vereinigten Staaten. Laut einer Studie des liberalen Think Tanks Brookings Institution sind von März bis Juli mehr als drei Millionen Gewehre und Pistolen verkauft worden; allein im August waren es 1,8 Millionen.
"In den USA ist die Waffenkultur extrem tief verwurzelt und insofern ist es ein Ausschlag, dass tatsächlich in Krisenzeiten die Meinung vorherrscht: Wir müssen die Sicherheit in die eigene Hand nehmen, die individuell empfundene Unsicherheit wird kompensiert dadurch, dass man sich noch weiter bewaffnet und noch weiter dagegen rüstet, dass sowohl ein Teil der Gesellschaft einen angreifen könnte oder aber der Staat."


Thomas Grumke, Professor an der Hochschule für Polizei in Nordrhein-Westfalen, forscht seit Langem über die Waffenkultur in den USA. Für ihn sind die zunehmenden Waffenverkäufe ein Indiz für die aufgeheizte Stimmung im Wahljahr. Waffen spielen dabei eine große Rolle, nicht nur in den Händen von Milizen jeglicher Couleur. Auch liberale Schichten in großstädtischen Milieus wie New York oder San Francisco denken über die Waffe im Wohnzimmerschrank nach.

Kaufen kann sie jeder, – nach einem Sicherheitscheck durch das FBI, was in der Regel ein paar Minuten an der Kasse des Waffenladens dauert. Laut Brookings sind allein im ersten Halbjahr 2020 mehr Waffen verkauft worden als je zuvor seit der Einführung der Sicherheitsüberprüfung durch das FBI 1998. Für den Politikwissenschaftler Michael Werz vom liberalen Think Tank Center for American Progress in Washington ein alarmierendes Zeichen.

Waffen wurden in der Coronakrise wichtiger

"Es ist richtig, dass es auch Panikkäufe gab von Leuten, die sich das vorher nicht hätten vorstellen können, das hängt damit zusammen, dass die Härte der Auseinandersetzungen zugenommen hat – und das hat dazu geführt, dass auch in den bürgerlichen Mittelschichten Leute sagen, vielleicht muss ich mich ja mal an einem bestimmten Punkt verteidigen."
In den USA gelten Waffen als Symbol der Stärke und ihr öffentliches Zeigen als "show of forces". Die National Rifle Association, mit rund fünf Millionen Mitgliedern die einflussreichste Waffenlobby, plädiert seit Monaten dafür, gerade in Zeiten sozialer Unruhen "mehr Waffen zu kaufen". In ihren Social-Media-Kanälen fordert sie ihre Mitglieder dazu auf, "nie unbewaffnet aus dem Haus zu gehen".
Die Verherrlichung von Waffen hat in der Coronakrise eine neue Dimension angenommen. Rechte, paramilitärische Gruppen zeigen sich, bis an die Zähne bewaffnet, bei Demonstrationen gegen Polizeigewalt. Doch mittlerweile haben sich auch afroamerikanische Bürgerwehren gebildet, wie die "Not Fucking Around Coalition", sinngemäß: "Wir – meinen – es – ernst – Koalition". Laut ihres Anführers, des Rappers "Grand Master Jay", verstehen sie sich als Teil des "Black Power Movements". Waffen spielen auch bei ihnen eine große Rolle.

Schwarze Milizen: "Darf man nicht schönreden"

"Es gibt schwarze Milizen, aber die sind bisher nicht dadurch aufgefallen, dass sie Weiße, Latinos oder Schwule über die Straße hetzen oder Leuten körperlich schaden. Die stehen eher in der Tradition der Black Panther Organisation der 60er-Jahre, als Selbstverteidigung – und das ist keine positive Entwicklung, das darf man auch nicht schön reden, aber es ist eine Reaktion auf einen überbordenden weißen Nationalismus eines kleinen Teils der amerikanischen Gesellschaft, wo sich vor allem Männer jungen und mittleren Alters radikalisiert haben."


Seit Jahren listet das unabhängige Southern Poverty Law Center, das rassistische Übergriffe verfolgt, sogenannte "hate groups" auf. Gruppen wie die "Three Percenters" oder die "Proud Boy" gehören zum harten Kern des "Militia Movements", das rund 30.000 Personen umfassen soll, zum größten Teil weiße Männer zwischen 20 und 40, darunter viele Veteranen.

Viele tragen ihre halbautomatischen Waffen öffentlich, was in der amerikanischen Verfassung garantiert ist. Für Mary McCord, Juraprofessorin an der Georgetown University in Washington, ist es dennoch ein klarer Rechtsbruch.
Mitglieder der "Black Rider Liberation Party" tragen Gesichtsmasken und Gewehre auf einer Kundgebung im Irving Park, Portland.
Bewaffnete Mitglieder der " Black Rider Liberation Party" auf einer Kundgebung im Irving Park, Portland.© Getty Images/Light Rocket/Stanton Sharpe
"In der Tat schützt der zweite Verfassungszusatz das individuelle Recht, Waffen zu tragen, um sich selbst und seinen Besitz zu schützen. Was es nicht schützt, sind bewaffnete Gruppen, die als Polizei auftreten."

Weiße Milizen sind die größte Bedrohung

Unbehelligt von der Polizei rufen am amerikanischen Unabhängigkeitstag im Juli rechtsextreme Gruppen zum Protest gegen die angebliche Schändung von Bürgerkriegsdenkmalen auf. In Gettysburg fand eine der entscheidenden Schlachten des amerikanischen Bürgerkriegs statt. Schwer bewaffnet bedrohen sie Gegendemonstranten. Kein Einzelfall, erklärt Politikwissenschaftler Michael Werz vom Center for American Progress.
"Das Departement für Homeland Security, also das Heimatschutzministerium, hat vor einigen Wochen schon darauf hingewiesen, dass rechtsextremistische weiße Milizen die größte Bedrohung für die innere Sicherheit der USA darstellen, und das ist eine qualitativ neue Entwicklung! Weil diese Leute jetzt sehr viel selbstbewusster vorgehen, sie fühlen sich durch Donald Trump bestätigt."


Zumindest hat sich der Präsident bei der ersten und bislang letzten Fernsehdebatte mit seinem Herausforderer Joe Biden nicht von den rechtsextremistischen Waffennarren der "Proud Boys" distanziert. Im Gegenteil, er forderte sie auf, in den Wahllokalen für "Sicherheit" zu sorgen. Für den Amerikaner James Davis, Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität St. Gallen, ein klares Signal der Einschüchterung.
Schwer bewaffnete Nationalisten und Polizisten auf einer Kundgebung im Gettysburg National Military Park.
Am 4. Juli versammelten sich unter anderen schwer bewaffnete Nationalisten auf dem Gelände des Gettysburg National Military Parks.© Getty Images/The Washington Post/Andrew Mangum
"Ich sehe hier schon ein Potenzial für Gewalt, die ´die hards`, also die Kernwählerschaft von Trump ist nicht in der Lage, eine Niederlage zuzugeben, zu akzeptieren. Die Leute sind müde, exhausted, würde man auf Englisch sagen, von vier Jahren einem sehr polarisierenden Präsidenten, wir sind verzweifelt, man weiß nicht so ganz genau, wie es weitergeht mit der Volkswirtschaft, mit der Gesundheitskrise, mit den angespannten Verhältnis der Amerikaner unterschiedlicher Herkunft."

"Es ist Zeit, eine Waffe zu kaufen"

"Wenn afroamerikanische Gemeinden sich gegen weiße Rassisten auflehnen, dann könnte das ein Problem sein für uns. Und so haben mein Mann und ich uns angeguckt und gesagt: Ja, es ist Zeit."
Zeit, eine Waffe zu kaufen. Für Kat Traylor, Referentin bei der demokratischen Partei in Colorado, war das bis vor Kurzem undenkbar, wie sie dem Sender NPR erklärt. Sie ist nicht die Einzige aus der afroamerikanischen Community, die sich bedroht fühlt. Laut des Meinungsforschungsinstituts Gallup besitzen 19 Prozent der afroamerikanischen Bevölkerung eine Waffe. Als Hauptgrund geben sie an, sich bedroht zu fühlen. Der zweite Grund: Sie glauben nicht, dass der Staat sie schützen kann. Mit ihrer Smith & Wesson übt Kat Traylor jetzt regelmäßig auf einer Indoor-Range.
"Wir als Familie mussten uns entscheiden: Wie wollen wir sterben? Das ist traurig, das so zu sagen. Wollen wir sterben, ohne vorbereitet zu sein? Oder wollen wir versuchen, uns zu verteidigen? So müssen wir das sehen."
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