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Nach Wahlen in Portugal
Komplizierte Regierungsbildung

Portugal stehen politisch komplizierte Zeiten bevor, obwohl die Mitte-Rechts-Koalition von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho die Parlamentswahl gewonnen hat. Denn wenn er weiter regieren will, braucht Passos Coelho die Unterstützung der oppositionellen Sozialisten. Die müssen sich aber erst einmal sortieren, da sie mit 32,4 Prozent schlechter abgeschnitten haben als erwartet.

Von Tilo Wagner | 06.10.2015
    Das Café Don Rato liegt direkt neben dem Sitz der sozialistischen Partei Portugals. Der Besitzer Joaquim Silva zählt eine Reihe von ehemaligen Premierministern und Staatspräsidenten auf, die immer wieder bei ihm eine Bica trinken – den Lissabonner Espresso. Sehr nachdenklich wirkten die Sozialisten nach der Wahlniederlage vom Sonntag, sagt Silva, und ein bisschen nervös.
    "Die Portugiesen haben Angst, dass die Troika irgendwann wieder zurückkommt – und deshalb haben sie die konservative Regierung wiedergewählt. Jetzt liegt es aber an den Sozialisten, ob sie die Minderheitsregierung unterstützen oder nicht. Das große Feilschen fängt nun an. Vielleicht lassen die Sozialisten die Konservativen erst mal gewähren – aber Stabilität bringt das nicht. Die Unterschiede sind einfach zu groß."
    Joaquim Silva nimmt die Sozialisten beim Wort. Vor allem bei der Forderung, dass die Mehrwertsteuer in der Gastronomie wieder runtergesetzt werden muss.
    Darauf ging der Spitzenkandidat der Sozialisten António Costa in der Wahlnacht jedoch nicht ein. Stattdessen präsentierte Costa die Bedingungen der Sozialisten für eine Tolerierung der Mitte-rechts-Koalition als Minderheitsregierung: Er forderte ein Ende der Sparpolitik, eine Stärkung des Sozialstaates, Investition in Bildung, Wissenschaft und Kultur und schließlich eine nachhaltige Wachstumspolitik im Rahmen der Europäischen Union und unter Achtung der internationalen Kompromisse. Mit der Forderung die Verpflichtungen der internationalen Gläubiger nicht infrage zu stellen, grenzen sich die Sozialisten bewusst von den Kommunisten und dem Linksblock ab, die sich nicht eindeutig zu den Zielen des Euro-Stabilitätspaktes bekannt haben. Und einer gemeinsamen Blockadepolitik aller linken Parteien, die im neu gewählten Parlament eine Mehrheit haben, erteilte António Costa eine klare Absage.
    Wahlniederlage der Sozialisten könnte einen Linksruck nach sich ziehen
    "Die Mehrheit der Portugiesen hat den Wandel gewählt, doch es ist dabei noch keine Regierungsmehrheit herausgekommen. Wir werden eine negative Mehrheit nicht unterstützen, die nur Hindernisse schafft, ohne gleichzeitig eine glaubwürdige politische Alternative zu entwerfen."
    Wie lange António Costa jedoch noch den Sozialisten diesen gemäßigten Kurs vorgeben kann, hängt vor allem von seiner Partei ab. Denn eigentlich hat Costa sein Wahlziel verfehlt. Er hat sein Versprechen nicht halten können, die Sozialisten wieder in die Regierung zu führen. Die Zukunft von Costa sei deshalb ungewiss, sagt die Politologin Marina Costa Lobo:
    "Es gibt bereits jetzt eine Menge von kritischen Stimmen in der sozialistischen Partei, die einen neuen Kongress wollen. Die Tradition sagt, dass fast alle Parteivorsitzenden, die eine Wahl verloren haben, eigentlich zurücktreten. Costa hat eine sehr bittere und unerwartete Niederlage erlitten. Er galt als die große Hoffnung seiner Partei, er wurde in Lissabon mit großer Mehrheit zum Bürgermeister gewählt und war im ganzen Land beliebt. Es ist nicht klar, ob er sich von diesem Schlag erholen wird. Ich glaube, seine Tage sind gezählt."
    In der Partei positionieren sich bereits die ersten möglichen Nachfolger. Ähnlich wie in der Labour Party in England könnte die Wahlniederlage der portugiesischen Sozialisten auch einen Linksruck nach sich ziehen, sagt Marina Costa Lobo:
    "Den Sozialisten steht ein interner Richtungskampf um die Identität der Partei bevor. Entweder die sozialistische Partei unterstützt die konservative Minderheitsregierung oder lässt sie zumindest gewähren, indem sie sich enthält, und folgt damit ihrer Tradition einer europäisch orientierten Partei, die die Rahmenbedingungen der EU und des Euro-Raums anerkennt. Oder sie radikalisiert sich und nähert sich den europakritischen Positionen des Linksblocks an. In beiden Fällen, sind die Risiken für die Sozialisten unvorhersehbar."
    Eine erste richtungsweisende Entscheidung, welche Rolle die Sozialisten in Zukunft in Portugal spielen werden, könnte schon am heutigen Dienstag fallen, wenn die Führungsspitze der Partei den Fahrplan für die nächsten Wochen und Monate festlegen will.