Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Nach Yücel-Freilassung
"Viele andere sind nach wie vor inhaftiert"

Der Bochumer Politikwissenschaftler Ismail Küpeli mahnt trotz aller Freude über die Freilassung Deniz Yücels, die Lage der Menschenrechte in der Türkei nicht aus dem Blick zu verlieren. Er befürchte, dass andere in der Türkei Inhaftierte vergessen werden könnten, sagte er im Dlf.

Ismail Küpeli im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 17.02.2018
    Ein Mann klebt ein Plakat mit der Aufschrift "#FreeThemAll" und "FreeTurkeyMedia" vor dem Start eines Autokorsos für den "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel an einen Pkw.
    Zu befürchten sei, dass die Hunderten Inhaftierten in der Türkei nach der Freilassung Deniz Yücels in Vergessenheit gerieten, sagte der Politikwissenschaftler Ismail Küpeli im Dlf (PA/dpa/Bodo Marks)
    Tobias Armbrüster: Wir haben es gehört, der Fall Deniz Yücel wird nach wie vor diskutiert, nicht nur bei uns in Deutschland und in der Türkei, auch auf der internationalen Bühne der Sicherheitskonferenz in München.
    Was heißt diese Freilassung nun für die türkische Außenpolitik und für das deutsch-türkische Verhältnis? Das können wir jetzt ausführlich besprechen mit Ismail Küpeli. Er ist Politikwissenschaftler und Türkeiexperte an der Ruhruniversität Bochum. Schönen guten Tag, Herr Küpeli!
    Ismail Küpeli: Guten Tag!
    Armbrüster: Herr Küpeli, können sich die deutsch-türkischen Beziehungen nach der Freilassung von Deniz Yücel jetzt wieder, sagen wir mal, normalisieren?
    Küpeli: Die Freilassung soll sicherlich dazu dienen, dass eine solche Normalisierung stattfindet, das ist sowohl Wunsch der Bundesregierung als auch der türkischen Regierung. Beide Seiten sind aufeinander angewiesen in vielen Fragen. Die Türkei braucht insbesondere die deutschen Investitionen. Insofern will man da zu einer Normalisierung kommen, und jetzt die Freilassung soll auch ganz öffentlichkeitswirksam dazu beitragen. Ob das gelingt, ist eine andere Frage.
    Armbrüster: Warum könnte das nicht gelingen?
    Küpeli: Weil noch viele Fragen, eigentlich prinzipielle Fragen, nach wie vor offen sind und nicht geklärt sind. Der Kollege Deniz Yücel ist freigelassen worden, sicherlich, aber viele andere auch deutsche Staatsbürger sind nach wie vor inhaftiert.
    Es gibt nach wie vor keine grundsätzliche Änderung bei der Frage der Demokratie und Menschenrechte in der Türkei. Insofern sind eigentlich grundlegende politische Fragen nach wie vor ungeklärt. Daran ändert die Freilassung jetzt relativ wenig. Aber, wie man jetzt auch an den Äußerungen von Gabriel und anderen Politikern gut erkennen kann, ist, dass man eben mit dieser Freilassung diese Normalisierung begleiten möchte. Aber die grundlegenden Fragen bleiben nach wie vor offen und sind nicht behandelt.
    "Diesen Kurswechsel zu erklären könnte schwierig sein"
    Armbrüster: Kann es sein, dass man sich hier auf türkischer Seite gedacht hat, der Name Deniz Yücel ist in Deutschland inzwischen so prominent und so groß, wenn wir den jetzt rauslassen, dann sieht das so aus, als hätten wir einen politischen Kursschwenk hingelegt, obwohl nach wie vor ja Hunderte andere Journalisten in Haft sind und auch zahlreiche deutsche?
    Küpeli: Das ist wahrscheinlich ein Teil der Rechnung. Zeitgleich mit der Freilassung von Deniz Yücel wurden sechs Kollegen zu lebenslanger Haft verurteilt in der Türkei. Das ist ja in dem Trubel natürlich untergegangen, und das ist wahrscheinlich auch die Rechnung der Türkei, dass man weitermachen kann und die deutsche Seite jetzt mit dieser Freilassung so weit zufrieden ist. Das könnte durchaus auch so ausgehen.
    Leider ist die deutschen Öffentlichkeit in Fragen der Türkei nicht immer mit einem langen Atem dabei. Insofern ist die Befürchtung, dass wir mittelfristig oder langfristig die Kollegen in der Türkei doch vergessen, doch relativ groß.
    Die andere Frage ist natürlich jetzt, und das stellt sich in der türkischen Öffentlichkeit sehr stark dar, wie Erdogan diese Freilassung gegenüber der eigenen Anhängerschaft erklären kann. Er hat ja Deniz Yücel ganz persönlich auch zur Zielscheibe gemacht, und diesen Kurswechsel zu erklären, wird schwierig sein.
    Armbrüster: Könnte man ihm das als Schwäche auslegen?
    Küpeli: Das könnte man sicherlich als Schwäche auslegen. Wenn man sagt, das ist ein ganz gefährlicher Spion, das ist ein Agent Deutschlands, das ist jemand, der hier unsere Ordnung zerstören will, und dann lässt man ihn doch einfach frei. Das ist natürlich erklärungswürdig. Wie er das schafft, da bin ich durchaus gespannt.
    Armbrüster: Herr Küpeli, jetzt sind diese Vorwürfe – Spionage, das ist ja ein Vorwurf, den macht die türkische Seite eigentlich fast allen diesen inhaftierten Journalisten. Spionage oder Zusammenarbeit mit Terroristen. Lässt sich das eigentlich tatsächlich hier von deutscher Seite aus einfach so kategorisch ausschließen, dass das alles nicht stimmt, dass das alles keine Putschunterstützer sind, keine Terroristen? Kann man diese Anklagen tatsächlich so ganz einfach infrage stellen?
    Küpeli: Bei den Kollegen, bei den Journalisten durchaus. Sowohl jetzt bei dem Fall Deniz Yücel, da sind ja eigentlich die Vorwürfe die gleichen, die beziehen sich auf zwei Texte, die für die Zeitung "Die Welt" geschrieben wurden. Das wird als Indiz für Terrorismus wahrgenommen, was natürlich überhaupt nicht haltbar ist. Und auch bei den Verurteilungen gestern geht es um journalistische Arbeiten. Es geht um Kolumnen, es geht um Meinungsäußerungen, aber keineswegs um Unterstützung eines Putschversuchs oder Propaganda für eine Terrororganisation. Das ist wirklich hanebüchen, das muss man sich relativ eindeutig klar machen.
    Bei den Verfahren gegen Militärs muss man noch mal genauer hinschauen. Wenn wir jetzt uns konzentrieren auf die Verfahren gegen Journalisten, dann ist eigentlich da recht eindeutig zu sagen, dass die Vorwürfe nicht stimmen, zumindest nicht, wenn man Terrorismus so definiert, wie wir es in Deutschland tun. In der Türkei fällt darunter natürlich sehr viel, wo wir uns doch fragen würden, ob das legitim ist.
    "Ich glaube, dass die deutsche Seite auch durchaus schon geliefert hat"
    Armbrüster: Nach dieser Freilassung, gibt es denn jetzt Erwartungen von türkischer Seite an die deutsche Regierung? Muss die deutsche Regierung da jetzt etwas liefern aus türkischer Sicht?
    Küpeli: Ich glaube, dass die deutsche Seite auch durchaus schon geliefert hat. Wenn wir jetzt die Äußerungen von Ministerpräsident Yildirim nach dem Besuch in Berlin noch mal anschauen, bei dem er sagte, dass das Verbot von kurdischen Demonstrationen in Deutschland ein positiver Beitrag war in dieser ganzen Entwicklung, dann ist sicher davon auszugehen, man kennt die türkischen Interessen, man weiß, was die Türkei schon seit Längerem fordert und ist sicherlich auch schon darauf eingegangen.
    "Ein relativ sicherer Teil dieses Deals ist das Verbot von vermeintlichen PKK-nahen Demonstrationen"
    Armbrüster: Das heißt, womit rechnen Sie da, was wird passieren? Werden wir da zum Beispiel militärische Unterstützung sehen oder die lang geforderte Nachrüstung der Leopard-2-Panzer?
    Küpeli: Die Rüstungsgeschäfte, der sogenannte Panzer-Deal, könnte ein Teil sein. Ein relativ sicherer Teil dieses Deals ist das Verbot von vermeintlichen PKK-nahen Demonstrationen in Deutschland. Das wird in näherer Zukunft so weitergehen. Zwei Demonstrationen in Köln sind bereits verboten, und die türkische Seite wird natürlich erwarten, dass das so weiter gehandhabt wird. Das ist natürlich etwas, wo wir uns fragen müssen, ob das legitim ist und ob wir die Einschränkung der Bürgerrechte als Teil eines solchen Deals fassen können. Ich wäre da eigentlich sehr dagegen.
    Armbrüster: Einschätzungen waren das von Ismail Küpeli, Politikwissenschaftler und Türkei-Experte an der Ruhruniversität Bochum. Vielen Dank, Herr Küpeli, für Ihre Informationen und Einschätzungen.
    Küpeli: Gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.