Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Nachhaltige Produktion
Das Prinzip Cradle to Cradle

Mit dem Konzept Cradle to Cradle, Englisch für "von der Wiege zur Wiege", verfolgen Umweltschützer und Produktdesigner das Ziel, Materialien und Nährstoffe endlos zirkulieren zu lassen. Kein Rest soll zurückbleiben. Bereits bei der Produktentwicklung muss daher ganzheitlich und zukunftsorientiert gedacht werden.

Von Daniela Siebert | 22.02.2017
    Schaufensterpuppen stehen im Foyer des Textil-Unternehmens Beysun, aufgenommen am Montag (09.05.2011) in Berlin vor dem Firmensitz. Allein 40.000 Selbständige nichtdeutscher Herkunft sind in Berlin gemeldet, davon 6.500 aus der Türkei.
    "Die Chance der Zukunft ist es, wenn wir Produkte in Kreisläufen führen, dass wir mit Rohstoffen ganz anders umgehen", sagt Volker Steidel, geschäftsführender Gesellschafter bei einem deutschen Textilhersteller. Das gilt auch für Kleidung. (picture-alliance / Soeren Stache)
    Monika Griefahn trägt ein knielanges rotes Kleid. Mit Blumenmuster, großem Dekolleté. Das Kleid ist eine Rarität, denn es ist nach dem Prinzip Cradle to Cradle produziert. Griefahn:
    "Das hat eine Firma in Baden-Württemberg gemacht und eine Näherin auch vor Ort, es ist ein deutsches Produkt, aus einer Kollektion von Stoffen, wo wir mal so Probestoffe genutzt haben."
    Die Mitbegründerin von Greenpeace und ehemalige Umweltministerin in Niedersachsen ist heute unter anderem Vorsitzende der Vereins Cradle to Cradle, der sich der Aufgabe verschrieben hat, das gleichnamige Konzept bekannter zu machen:
    "Wir suchen gesunde Materialien, die gut für die Umwelt und gut für die Menschen sind. Und dann sollen sie auch noch möglichst in biologische oder technische Kreisläufe zurückgehen können, das heißt entweder zu Kompost werden oder eben wieder als gleichwertige Materialien für neue Produkte einsetzbar sein."
    Nachhaltige Design-Strategien
    Vorbild für das Konzept ist die Natur. Dort gibt es keine Abfälle, alles wird irgendwie weiter verwendet. Das Problem: Unsere herkömmliche Textilproduktion ist gänzlich anders gestrickt. Schon allein die über 20.000 Chemikalien, die in dieser Industrie weltweit verwendet würden, seien alles andere als harmlos - sagt Friederike von Wedel-Parlow. Die Professorin für nachhaltige Design-Strategien hat sich ebenfalls der Cradle to Cradle–Idee verschrieben. Auch in ihrem Beneficial Design Institute erarbeitet sie Lösungsmöglichkeiten, wie Kleidung dafür anders konzipiert werden kann:
    "Ich habe als Designer zwei Wege: Entweder arbeite ich mono-material. Das heißt, das gesamte Produkt kommt in einen Kreislauf, dann kann ich am Ende, schwupp!, das einfach in diesen Haufen werfen. Oder ich mache das so, dass man es einfach auseinander nehmen kann: 'Easy disassembling'."
    Zukunftsorientierte Produktentwicklung
    Die Herausforderung: Schon bei der Produktentwicklung muss dafür ganzheitlich und zukunftsorientiert gedacht werden. Etwa welcher Teil des Kleidungsstücks in einen biologischen Kreislauf oder in einen technischen Kreislauf weitergeführt werden kann. Wedel-Parlow mit einem Beispiel:
    "Also wir haben den biologischen Kreislauf. Der ist für alle Dinge, die wir verbrauchen. Wie Schuhsohlen, die reiben ab, die kommen in die Umwelt, die müssen einfach im biologischen Kreislauf funktionieren. Und im biologischen Kreislauf muss alles, was drin ist, von Nähten, Etiketten und so weiter so sein, dass man es nach einer langen Nutzung und vielleicht verschiedenen Nutzungszyklen zu Humus zurückverwandeln kann."
    Volker Steidel ist geschäftsführender Gesellschafter beim deutschen Textilhersteller Lauffenmühle. Der gehört zu den wenigen Anbietern, die schon die Rohstoffe für solche Kleidungsstücke herstellen, speziell im Segment Berufsbekleidung. Seine Firma musste beispielsweise neue Fasern für Nähgarn selbst entwickeln, weil es nichts auf der Welt gab, was die Kriterien erfüllte. Steidel hat viel Zeit, Nerven und Kapital in Cradle to Cradle investiert:
    "Ich sehe mehr Chancen da drin, speziell auch in der Kreislaufwirtschaft sehe ich wahnsinnige Möglichkeiten, weil heute enden ja die meisten Produkte als Abfall. Das heißt, wir deponieren sie oder wir verbrennen sie, das ist eine riesige Art von Verschwendung. Und die Chance der Zukunft ist es ja, wenn wir Produkte in Kreisläufen führen, dass wir mit Rohstoffen ganz anders umgehen."
    Für Durchschnittskonsumenten noch schwer zu bekommen
    Er wünscht sich mehr Nachfrage solcher Produkte durch private Konsumenten und durch staatliche Stellen. Ein weiteres Hindernis sei, dass Cradle to Cradle in Deutschland markengeschützt ist und damit keine öffentlichen Fördermittel bekommen darf. Doch auch die Verbraucher hätten viele Vorteile von dem Konzept betont Volker Steidel:
    "Weil wir Produkte produzieren, die für den Verbraucher optimal sind. Sie sind frei von allen möglichen Schadstoffen, die sie in normalen Textilien noch finden. Wir haben kein Formaldehyd mehr drin, in unserem Polymer kein Antimon mehr drin. All diese Produkte, die wir als kritisch ansehen, die heute aber noch nicht verboten sind, gibt es bei uns aber schon nicht mehr, sie sind komplett ausgeschlossen. Die ganze Farbstoffchemie ist optimiert. Das heißt, der Verbraucher kann das mit gutem Gewissen kaufen."
    Allerdings: Für normale Konsumenten sind Cradle to Cradle-Textilien noch schwer zu bekommen. Trigema bietet schon länger verschiedene Artikel dieser Art an. Die Firma Wolford stellte kürzlich der Fachwelt ihre Kollektion für Strümpfe und Unterwäsche vor, die erstmals viele Cradle-to-Cradle-Lösungen zusammenführt. In den Geschäften sind diese Produkte aber noch nicht angekommen.
    Monika Griefahn empfiehlt die Internetseite c2ccertified.org. Dort sind die Tipps gebündelt, wo man Cradle-to-Cradle Bekleidung und Stoffe findet.