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Nachrichten-App "The Buzzard"
Keine Hilfe für eine gesunde Diskussion

Während viele Debatten zunehmend aggressiv geführt werden, wollen die Macher von "The Buzzard" deeskalieren – indem sie vielseitige Informationen und Positionen anbieten. Doch in ihrer Kolumne beklagt Samira El Ouassil, dass damit nur ein Markt der Meinungen und Aussagen präsentiert wird.

Von Samira El Ouassil | 28.05.2020
Ein Mann blickt auf sein Smartphone, auf dem die App "The Buzzard" geöffnet ist.
Mit der Nachrichten-App "The Buzzard" sollen unterschiedliche Positionen geliefert werden (dpa/ Britta Pedersen)
Die Absicht ist eine großartige, konstruktive, sinnvolle: diskursive Demarkationslinien in den Debatten überwinden und einen Austausch ermöglichen zwischen Menschen, die sich in offenbar unversöhnlichen Filterblasen bewegen - alles durch eine einfach bedienbare App namens "The Buzzard".
Letzten Dienstag ging diese Applikation nun nach einer öffentlichen Testphase an den Start. Geboten wird ein abendlicher Blick auf aktuelle Themen und ein tägliches Pro und Contra zu aktuellen Debatten.
Die Hoffnung der Macher: durch vielseitigere Informationen und Positionen langfristig ein gesünderes Debattenklima. Hierfür wird das eigene Nachrichten-Angebot aus zahlreichen eklektischen Quellen wie Online-Medien, Blogs oder Firmenseiten international kuratiert.
Antidemokratische Positionen gleichwertig behandelt
Daraus ergaben sich in der öffentlichen Testphase zwei Probleme: zum einen wurden unpopuläre Positionen zu Themen gleichwertig neben konsensfähigeren Meinungen präsentiert. Auf diese Weise befanden sich zum Beispiel plötzlich rechtspopulistische Ansichten unmittelbar neben Artikeln, die sich für Freiheit und Demokratie einsetzen. Damals schöpfte man also auch aus einem Fundus, bestehend aus antidemokratischen, propagandistischen oder konspirativen Quellen.
Portrait der zwei Gründer
"The Buzzard" bereitet aktuelle Diskussionen auf
Das Leipziger Medienstartup "thebuzzard.org" will Lesern einen Service bieten, die sich umfassend informieren und auch Gegenargumente hören wollen. Auf dem Debattenportal stellen die Gründer dafür Texte zu kontroversen Themen zusammen.
Konnten die beiden "The Buzzard"-Gründer Dario Nassal und Felix Friedrich zum offiziellen Start der App ihr Vorhaben umsetzen – trotz der öffentlich geäußerten Kritik am Konzept?
Ich habe mir die App also aufmerksam angeschaut. Vorab: sie kostet mindestens 5,00 Euro pro Monat, für Studierende und Arbeitssuchende 3,50 Euro. Dafür bekam ich ab 18.00 Uhr eine nachrichtliche Zusammenfassung, die täglich aus zwei relevanten Themen des Tages und einer Debatte besteht.
Sorgfältig kuratierte Link-Sammlungen
Man informierte mich über Bodo Ramelows politische Vorhaben sowie das Urteil des Bundesgerichtshofes zum VW-Abgasskandal. Die zwei Themen wurden für mich nochmal einzeln zusammengefasst und zu jedem erhielt ich einige Artikel aus verschiedenen Medien, das gesamte politische Spektrum abdeckend, jedoch keine fragwürdigen oder rechtspopulistischen Quellen, das wurde korrigiert. Dementsprechend können sich auch Rechtspopulisten nicht mehr mit der App schmücken.
Die sorgfältig kuratierte Link-Sammlungen und die Zusammenfassungen sind ehrlich praktisch, aber was ist mit dem Verkaufsargument der App, der versprochenen Aufdröselung der Debatten?
Diese war am Montag schwerpunktmäßig der Gleichberechtigung gewidmet, und die bei The Buzzard gestellte Debattenfrage des Tages war: Bietet die Krise eine Chance zur Emanzipation, obwohl es danach aussieht, dass die Pandemie die Gleichberechtigung bedroht?
Es werden drei Artikel präsentiert, die diese Frage bejahen und drei verneinende. Als Pro-Stücke haben wir einen Text aus dem "Glamour Magazin", der betont, dass die krisenbedingte ökonomische Diskriminierung nun unübersehbar sei, einen Beitrag auf der Debattenplattform Open Democracy, der an einen feministischen Umbau der Gesellschaft appelliert und die Kolumne von Margarete Stokowski, die bessere Löhne für Frauen fordert, da die Krise besonders deutlich mache, wie systemrelevant sie sind.
Unterschiedliche Positionen, die sich nicht ausschließen
Gegen die Position "Krise als Chance für die Frauen" wird uns eine Studie der Universität Mannheim vorgestellt, die belegt, dass Frauen wegen Covid-19 auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden, ein Beitrag in der "Wirtschaftswoche", der kritisiert, dass Frauen in alte Rollenbilder gedrängt werden, sowie mehr Care-Arbeit übernehmen müssen und ein Gastbeitrag in der "Frankfurter Rundschau", der beleuchtet, dass Frauen während der Pandemie mehr häusliche Gewalt erfahren.
Samira El Ouassil ist Kommunikationswissenschaftlerin, Schauspielerin und politische Ghostwriterin. 2009 war sie die Kanzlerkandidatin für DIE PARTEI. Seit September 2018 schreibt sie für das Medienkritikmagazin Übermedien die Kolumne "Wochenschau". Mit Gedächtniskünstlerin Christiane Stenger beantwortet sie außerdem im Audible-Podcast "Sag Niemals Nietzsche" Fragen der Philosophie.
Und hier zeigen sich vielleicht die Stärke und Schwäche der App: das sind keine gegenteiligen Positionen. Alle treffen zu. Frauen werden während der Pandemie benachteiligt – und es ist jetzt besonders notwendig dies zu ändern.
Die App suggeriert hier aber durch die Form ein Gegensatzpaar, wo es eigentlich darum gehen müsste, beides gleichzeitig anzuerkennen und von dort aus das Gespräch überhaupt erst beginnen zu lassen.
Dass häusliche Gewalt gegen Frauen gegen Persönlichkeits- und Freiheitsrechte verstößt, ist ja unbestritten. Insofern bietet sich das Thema auch hier nicht als gegensätzliche Debattenposition an, um damit auch über eine bessere Bezahlung von Frauen zu sprechen. Eher im Gegenteil.
Ein Markt der Meinungen und Aussagen
"The Buzzard" ordnet all diese Positionen nicht ein oder gewichtet sie. Stattdessen präsentiert er einen Markt der Meinungen und Aussagen und bereitet lediglich die täglichen Börsenkurse tabellarisch und gut lesbar auf. Das ist in seiner Knappheit und Übersichtlichkeit hilfreich, die komplexe Debattenkultur kann es allerdings nicht reparieren, da die App in ihrer Form vielleicht genau gegen das arbeitet, was für eine gesunde Diskussion notwendig ist.
Wir müssen lernen mehrere, manchmal sich widersprechende Aspekte gleichzeitig auszuhalten zu können, statt nur die eigene Position durch das ledigliche Kennen der anderen stärken zu wollen. Diese Arbeit kann und sollte die App auch nicht abnehmen.