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Finanzwelt
Wie Banker ticken

Gierig, risikofreudig und eigennützig: Das sind einige der gängigen Klischees über Mitarbeiter im Finanzsektor. Der Journalist Joris Luyendijk wollte herausfinden, wie viel Wahrheit in diesen Assoziationen steckt und hat sich auf die Spurensuche auf dem ihm unbekannten Terrain begeben.

Von Eva Bahner | 03.08.2015
    Finanzzentrum City of London mit 30 St Mary Axe Hochhaus (the Gherkin)
    Finanzzentrum City of London (Daniel Kalker, dpa picture-alliance)
    Über die Finanzkrise 2008 sind in den letzten Jahren viele Bücher geschrieben worden, ebenso wie Filme gedreht über gierige Banker. Ein gängiges Klischee, mit dem der niederländische Journalist Joris Luyendijk gleich in den ersten Kapiteln aufräumt. Stattdessen nimmt er die Leser mit auf seine Expedition in den Londoner Finanzdistrikt. Er entwirft ein buntes Mosaik an Bank-Angestellten, die in dieser Parallelwelt, in diesem – wie er es nennt - "Inselreich im Nebel" arbeiten:
    "Am 11. September arbeitete er als Händler bei einer Großbank in London. Als das erste Flugzeug in das World Trade Center flog, glaubten viele noch an einen tragischen Unfall. Er rief einen guten Freund in New York an. Der Luftraum war geschlossen worden, die Behörden gingen von einem Terroranschlag aus. Der Himmel war strahlend blau, und so schnell er konnte, begann er, Versicherungsaktien zu verkaufen, Aktien von Airlines und dergleichen. Er hatte noch nie zuvor so hart gearbeitet wie an diesem Tag – und auch noch nie so viel Geld für seine Bank verdient. Die Londoner Börse schloss, er erledigte seinen Papierkram und erst da dämmerte ihm, dass er ja Menschen in den Twin Towers kannte."
    Dieser "Wahn-Banker", der krankhaft seiner Arbeitssucht verfallen ist und jeglichen Sinn für die Realität verloren hat, gehört zusammen mit den sogenannten "Abgebrühten" sicherlich zu den extremen Banker- Typen, die Luyendijk getroffen hat. Menschen, die den Gesetzen der Londoner City blind folgen und die ihm erklärten:
    Prinzip Amoral statt Unmoral
    "Das Organisationsprinzip der Finanzwelt sei amoralisch, nicht unmoralisch. Amoralisch bedeutet, dass die Begriffe "gut" und "schlecht" in der Diskussion überhaupt keine Rolle spielen. Es geht nicht darum, ob ein Plan in moralischer Hinsicht statthaft ist, sondern ob er ein Risiko der Rufschädigung in sich birgt. Tatsächlich sei Gewinn heute das einzige Kriterium, das zähle, nicht die Art und Weise, wie man ihn erziele."
    Aber auch die von Luyendijk identifizierten sogenannten "Neutralen", die "Seifenblasen-Banker" oder auch die "Zähneknirscher", die Missstände einfach hinnehmen oder sogar bewusst wegschauen, selbst in der Innenrevision einer Bank, im Risikomanagement, befördern den besorgniserregenden Zustand der Ahnungslosigkeit in den großen Banken, der vor allem auch in den Chef-Etagen vorherrscht und eine attraktive Spielwiese bietet für junge Mathematik-Talente, wie Luyendijk im Gespräch erklärt:
    "Sie definieren Moral als das, was gesetzlich erlaubt ist. Gibt es also eine Innovation, für die es noch kein Gesetz gibt, erfinden sie immer mehr hybride Finanzprodukte. Und wenn ihr Vorgesetzter diese nicht versteht, umso besser. Sie verlassen die Finanzbranche mit Mitte 30, sie sind Finanzgenies, die keinen Wert legen auf Luxus. Für sie ist es einfach eine einmalige Chance, mit ihren Fähigkeiten mit 35 so viel Geld zu verdienen, dass sie danach machen können was sie wollen."
    "Hire and Fire"-Mentalität
    "Unter Bankern. Eine Spezies wird besichtigt" beschreibt eine Arbeitswelt, in der Loyalität zum Unternehmen eher schadet als nützt, in der selten 20-jährige Dienst-Jubiläen gefeiert werden, eine Arbeitswelt, die geprägt ist von der "Hire-and-Fire"-Mentalität, die ein Klima der Angst schafft. In ihrer Bank hießen die Kündigungen "Bekanntmachungen", erzählt eine Enddreißigerin in dem Buch, die als Assistentin zwischen zehn und 15 Stunden am Tag arbeitet:
    "Immer wenn ein Telefon klingelt, schauen sich alle an. Ist es ein Kunde? Oder die Personalabteilung? Wenn jemand sofort aufsteht und seine persönlichen Gegenstände einpackt, weiß man Bescheid: Es war die Personalabteilung. Hin und wieder wird applaudiert, wenn jemand sehr beliebt war."
    Da in keinem anderen Metier ein einzelner Mensch einen so großen finanziellen Schaden anrichten kann wie in der Finanzbranche, schaut Luyendijk durch die Anthropologen-Brille, um das System und seine Schwächen zu begreifen:
    "Wenn man innerhalb von fünf Minuten rausfliegen kann, kann man auch höchstens fünf Meter weit denken. Das war der Kern der Geschichten über ein System mit null Kündigungsschutz. Nicht nur die Loyalität geht flöten, sondern auch die Kontinuität. Ganz schnell herrscht dann das Gesetz – oder besser: die Gesetzlosigkeit - des Dschungels."
    Vor diesem Hintergrund erscheinen die Geschichten der redewilligen Banker, die sich nur auf Zusicherung höchster Anonymität auf ein Gespräch mit dem Journalisten eingelassen haben, umso wertvoller. Denn die Londoner City unterliegt einem strengen Schweigekodex:
    "Es fällt auf, wie eingeschüchtert die Menschen waren. Die Hälfte hat die Verabredungen wieder abgesagt, weil sie kalte Füße bekommen hat. Wenn du anfängst für eine große Bank in London zu arbeiten, sagen sie dir am ersten Tag: Alles, was du über unsere Bank sagst, kann gegen uns verwendet werden. Wir werden dich kriegen, wenn du mit der Presse sprichst."
    Jenseits von Gut und Böse
    Luyendijk beschreibt die Finanzwelt nicht als Ort, der von Menschen bevölkert ist, die Schaden anrichten wollen, sondern von Konformisten, die sich die Frage nach Gut und Börse nicht stellen, ebenso wenig wie die Frage nach den Ursachen für Fehlentwicklungen, die 2008 in eine gefährliche Finanzkrise mündeten:
    "Das wirklich Alarmierende ist ja nicht, dass es zu einem Crash gekommen ist, sondern gerade die Tatsache, dass niemand im Sektor die Risiken erkannt hat. Je mehr Leute mir versicherten, wie ahnungslos sie gewesen sind, desto mehr fühlte ich mich wie jemand, der im Bus eingeschlafen ist und im Nachhinein erfährt, dass der Busfahrer nur mit Glück einem Abgrund ausweichen konnte, mit dem er nicht gerechnet hat."
    Bewusst laienhaft begibt sich der ehemalige niederländische Nahost-Korrespondent auf Spurensuche auf unbekanntem Terrain. Eine Strategie, die aufgeht, die den Charme des Buches ausmacht und einen unverstellten Blick hinter die Kulissen zulässt. Humorvoll, unterhaltsam und anekdotenreich lässt Luyendijk den Leser teilhaben an seinen persönlichen Eindrücken, die er während seiner Feldforschung sammelt. Die Ergebnisauswertung bleibt er jedoch schuldig, stattdessen lässt er den Leser meist in seiner Fassungslosigkeit alleine. Auch die Handlungsanweisungen des Autors an die Politik bleiben vage. Die Frage, wie die Gefahr, die von dieser Parallelwelt mit ihren eigenen Gesetzen ausgeht, eingedämmt werden kann, bleibt weitgehend unbeantwortet. "Unter Bankern" ist kein Fachbuch und dennoch äußerst wertvoll, zeigt Luyendijks Binnenperspektive doch allzu deutlich, wie dringend ein echter "Kulturwandel" in der Bankenszene ist, und wie schwierig dieser – trotz aller Versprechungen - umzusetzen sein wird.
    Joris Luyendijk: "Unter Bankern. Eine Spezies wird besichtigt"
    Aus dem Niederländischen von Anne Middelhoek. Tropen Verlag, 267 S., 19,95 Euro
    ISBN: 978-3-60850-338-8