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Afrika-Politik
"Mehr Entwicklungshilfe beruhigt nur das Gewissen"

Fluchtursachen bekämpfen war ein Ziel des EU-Afrika-Gipfels in Malta. Die Präsidentin der Deutschen Afrikastiftung, Uschi Eid (Grüne), ist skeptisch, ob der Gipfel etwas erreicht habe. Nur Geld zu schicken, beruhige allenfalls das Gewissen. Fluchtursachen seien von Land zu Land unterschiedlich, sagte sie im Deutschlandfunk. Ihr Vorschlag: kleine Gipfel, ohne Bohei.

Uschi Eid im Gespräch mit Jochen Spengler | 12.11.2015
    Kanzlerin Merkel spricht mit einem afrikanischen Teilnehmer des EU-Afrika-Gipfels in Malta
    Kanzlerin Merkel hofft, durch mehr Hilfe für Afrika, Fluchtursachen zu bekämpfen. (dpa / picture alliance / Armando Babani)
    Jochen Spengler: In Sachen Flüchtlingspolitik weiß anscheinend die Linke nicht, was die Rechte tut, herrscht nicht einmal innerhalb der Unions-Minister in der Bundesregierung die notwendige Klarheit. Der Eindruck von Chaostagen in Berlin wurde heute weiter bekräftigt, denn die Bundesregierung gestand ein, sie wisse gar nicht genau, wie viele Hilfesuchende eigentlich in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht sind, dass nicht einmal die statistische Erfassung im Ansatz funktioniert. Mehr als 140.000 Hilfesuchende sind bis Ende September allein aus Afrika nach Europa gekommen, was angesichts der hohen Zahlen aus Syrien gelegentlich übersehen wird. Und so sehr man hoffen darf, dass eines Tages der Bürgerkrieg in Syrien beendet sein wird und dann irgendwann auch der Exodus von dort endet, so gewiss kann man sein, dass uns die Flucht aus Afrika noch lange beschäftigen wird. Nicht zuletzt deshalb der EU-Afrika-Gipfel auf Malta. Europa will, dass die Flüchtlingszahlen aus dem schwarzen Kontinent begrenzt werden und dass Afrika aus Afrika abgeschobene Flüchtlinge wieder zurücknimmt. Im Gegenzug will Europa Afrika helfen, die Fluchtursachen zu bekämpfen: mit viel Geld aus einem Treuhandfonds und einem Aktionsplan, der 17 Seiten umfasst.
    Uschi Eid ist nun am Telefon. Sie war bis 2005 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Sie gehört den Grünen an und sie ist zurzeit die Präsidentin der Deutschen Afrikastiftung. Aus Ihrer langjährigen Erfahrung heraus, Frau Eid, nützen solche Gipfel überhaupt irgendetwas?
    Uschi Eid: Ja, Herr Spengler, das frage ich mich natürlich auch. Was ich jetzt gelesen habe seit dieser Unterzeichnung, muss ich sagen, der wird wirklich keine große Wirkung haben. Er ist viel zu spät. Was allerdings gut ist, ist, dass es ein erster Schritt ist, der zeigt, dass die derzeitige Flüchtlingskrise nur gemeinsam mit afrikanischen Staaten angepackt werden kann. Und klar soll auch sein, dass die Verantwortung auch bei den afrikanischen Regierungen selbst liegt. Aber mit einer einmaligen Deklaration, wenn da nicht tatsächlich konkrete Schritte folgen und Maßnahmen folgen, nützt das gar nichts.
    Analyse zu den Fluchtursachen fehlt
    Spengler: Europa möchte ja, dass viele Afrikaner, die sich derzeit hier bei uns auf dem Kontinent aufhalten, wieder zurückgehen in ihre Heimatländer. Nun muss man wissen: Sie schicken ungefähr 30 Milliarden Euro Devisen jährlich in die Heimat. Das ist Geld, das dort dringend benötigt wird, und das ist mehr als alle Entwicklungshilfe Europas zusammen. Die beträgt etwa 20 Milliarden. Da haben doch die afrikanischen Staaten überhaupt gar kein Interesse daran, ihre Menschen zurückzunehmen?
    Eid: Ja! Es ist ja schon interessant, dass in manchen Ländern Westafrikas diese Rücküberweisungen zum Teil fünf, acht Prozent, vier Prozent in Nigeria zum Beispiel ausmachen, und deswegen ist es ja verständlich, dass es von dort kein Interesse geben kann, diese Quelle versiegen zu lassen. Aber ich muss schon sagen, diese Frage über die Rücküberweisungen, aber auch die Frage der Erhöhung der Entwicklungshilfe sind meines Erachtens Nebenschauplätze. Der Kern der Ursachen, der Kern des Übels wurde ja gar nicht besprochen und deswegen bin ich auch ziemlich frustriert, muss ich sagen. Es gibt bisher keine fundierte Analyse, warum Menschen aus bestimmten einzelnen Ländern zu uns fliehen, und solange es diese Analyse nicht gibt, kann es auch keine Lösungen geben, die dann auch greifen. Es gibt ganz unterschiedliche Ursachen und wenn ich immer höre, man muss Fluchtursachen bekämpfen, ja das sagt man so leicht dahin. Aber welche sind denn die Ursachen? Die sind in Nigeria völlig anders als in Eritrea. Nigeria zum Beispiel, die Menschen, die vor Boko Haram fliehen, bleiben in Nigeria oder fliehen in die Nachbarstaaten. In Eritrea hat die internationale Staatengemeinschaft völlig versagt, nämlich Äthiopien dazu zu zwingen, die gemeinsame international festgelegte Grenze zu Eritrea anzuerkennen, damit der Präsident von Eritrea kein Argument mehr hat, seine jungen Menschen zu knebeln und zeitlich unbegrenzt ins Militär einzuziehen. Hier muss man genauer hinschauen, und das fehlt hier.
    Spengler: Heißt das, Frau Eid, dass man nicht so einen gigantischen Gipfel veranstalten sollte, sondern viele kleine Gipfel, zum Beispiel EU-Nigeria, EU-Äthiopien, EU-Kamerun etc.?
    Eid: Ja. Ich würde dafür plädieren, dass man mit den betroffenen Staaten und den Nachbarstaaten, die an bestimmten Konflikten ja mit verursächlich sind, dass man die an einen Tisch bringt, und es muss auch nicht mit einem großen Bohei stattfinden, sondern man kann ja zum Beispiel die eritreische Regierung vielleicht bewegen, wenn man es - ich sage mal so - auch hinter verschlossenen Türen macht. Das wäre, glaube ich, der richtigere Ansatz.
    Allerdings muss ich auch sagen, es gibt auch auf Seiten der Europäischen Union Versäumnisse. Wenn ich zum Beispiel weiß, dass Kriege – ob die nun mit Macheten durchgeführt werden oder mit Bomben, das ist ja nun auch egal. Entschuldigung, wenn ich das jetzt so gesagt habe, aber ich meine jetzt, wenn Menschen in Kriegen fliehen, dann werden wir immer sagen, wir müssen dafür sorgen, dass friedenserhaltende Maßnahmen durchgeführt werden und Kriege bekämpft werden müssen. Wenn aber nun bei der Afrikanischen Union der Friedensfonds, die sogenannte African Peace Facility bei der EU, mit dessen Geldern afrikanische Militäreinsätze zum Friedenserhalt unterstützt werden, wenn der ab 2017 pleite ist, dann frage ich mich, was das Ganze soll. Und er wird deswegen pleite sein, weil alle, auch die Parlamentarier mehrheitlich dagegen sind, Geld aus dem Entwicklungshilfetopf in diesen Friedenserhaltungstopf zu geben. Das ist absurd! Das heißt, hier sind auch Hausaufgaben zu machen, denn mit diesen friedenserhaltenden Mitteln wollen wir ja afrikanische Maßnahmen unterstützen und die stärken, dass sie in der Lage sind, zum Beispiel wie in Mali oder wie in der Zentralafrikanischen Republik dann auch selber einzugreifen, oder auch Boko Haram gemeinsam zu bekämpfen in Nordnigeria. Wenn das Geld aber nicht da ist, können wir lange sagen, wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen.
    Kooperation mit Afrika sollte grundsätzlich überprüft werden
    Spengler: Ist es nicht zweischneidig, Geld überhaupt an manche afrikanische Staaten zu überweisen, weil man den Eindruck hat, damit füllen sich doch nur die Machthaber ihre Taschen?
    Eid: Ja, da gebe ich Ihnen Recht. Zu meinen, mehr Entwicklungshilfe würde das Problem lösen, mehr vom selben, das ist ein Holzweg und damit beruhigt man allenfalls das eigene Gewissen. Wir müssen die ganze Kooperation auf den Prüfstand stellen. Wir müssen grundsätzlich prüfen, ob sie beschäftigungswirksam ist. Wir müssen zum Beispiel auch China mit ins Boot nehmen, denn China ist ein riesiger Investor in Afrika, bringt aber gleichzeitig chinesische Arbeiter mit. Es muss afrikanisches heimisches Personal ausgebildet werden. Und wenn jetzt, wie ich aus Ihrem Beitrag höre, gesagt wird, es müssen Arbeitsplätze kreiert werden, ja Moment mal: Man muss ja auch Rechtssicherheit für Investoren schaffen. Ja, man muss ein investitionsfreundliches Klima schaffen. Welcher deutsche Unternehmer investiert denn in einem Land, wenn er nicht weiß, dass er notfalls auch vor einem unabhängigen Gericht seine Rechte einklagen kann. Es müssen Ausbildungssysteme geschaffen werden, in denen Fachkräfte ausgebildet werden, die dann aber auch Arbeitsstellen finden. Hier ist eine ganze Menge zu tun, wo aber unsere Entwicklungshilfe – wir haben immer so einen Allmachtsanspruch an unsere Hilfe, das ist völlig falsch, und wir desorientieren eigentlich die ganze Debatte.
    Spengler: Wir müssen sehr viel genauer hingucken. Wir müssen sehr viel gezielter helfen, gezieltere Maßnahmen ergreifen. Eine Frage habe ich noch zum Schluss: Hier wird oft gesagt, ein Einwanderungsgesetz in Europa würde helfen. Es würde all jene von der Flucht nach Europa abhalten, die es auf legalem Weg bisher nicht schaffen. Wenn man jetzt so einen legalen Weg schaffen würde, dann würden ja doch nicht alle kommen können. Würde das wirklich diesem Ergebnis, diesem Ziel genügen?
    Gute Ausbildung in Europa gegen Brain-Drain in Afrika
    Eid: Wenn es um Afrika geht, da würde ich erst mal sagen, wir brauchen viel mehr, ich sage mal, Stipendien, und zwar nicht nur Stipendien, die jetzt nach Europa orientieren, sondern wir können auch für da Stipendien geben. Natürlich können Menschen kommen, die aus Afrika bei uns arbeiten wollen, wenn hier Arbeitskräfte gesucht werden, die von afrikanischen Fachkräften auch zur Verfügung gestellt werden. Warum eigentlich nicht! Aber das ist eigentlich nicht der Punkt. Ich bin eher dafür und meine ganzen afrikanischen Freunde sagen: Wir brauchen die Leute bei uns. Was passiert, wenn wir einen ganzen Brain-Drain haben, wenn die besten Leute abwandern? Dann werden wir immer so unterentwickelt bleiben und wir brauchen diese Leute bei uns. Deswegen sollten wir helfen, gute Leute auszubilden, nicht nur universitär, sondern auch Fachkräfte. Die Afrikaner und Afrikanerinnen, die hier sind, sollten gute Ausbildungen bekommen, dass, wenn sie denn nach Hause wollen, sie dann auch wirklich zuhause mithelfen können beim Aufbau ihres Landes.
    Spengler: Es wird nicht einfach, die Fluchtursachen aus Afrika zu bekämpfen. Das hat uns das Gespräch mit Uschi Eid klargemacht. Sie ist Präsidentin der Deutschen Afrikastiftung. Herzlichen Dank, Frau Eid.
    Eid: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.