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Nachruf
Der israelische Publizist Uri Avnery ist tot

Uri Avneri, dessen Familie 1933 aus Deutschland nach Palästina floh, kritisierte schon früh die grundsätzlich antiarabische Haltung des Staates Israel. Als Friedensaktivist kämpfte er für eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts. In der Nacht zum Montag starb der Träger des Alternativen Nobelpreises in Tel Aviv.

Von Jochanan Shelliem | 20.08.2018
    Wechselhafte Zeiten hatte Helmut Ostermann erlebt, geboren im September 1923, dessen jüdische Familie bei Hitlers Machtantritt beschloss, Haus und Unternehmen zu verkaufen. 1933 wanderte die angesehene Familie aus, einen Monat später kam sie in Palästina an.
    "Ich gehöre zu einer Generation in diesem Lande, die alle Beziehungen zu dem, was vor unserer Einwanderung passiert ist, abbrechen wollte, ganz bewusst. Wir wollten etwas Neues sein, wir wollten etwas Neues schaffen, praktisch eine neue Nation bilden und alle von uns, beinah alle von uns haben einen Tag nach dem 18. Geburtstag, als das legal möglich war, unsere Namen offiziell gewechselt – in hebräische Namen."
    Mit dem Rücken zur arabischen Welt
    Im britisch besetzten Palästina herrschte seit 1929 ein heimlicher Drei-Fronten-Krieg zwischen Briten, Juden und Arabern. Uri Avnery wurde nicht Mitglied der von den Briten unterstützen jüdischen Jugendmiliz Palmach, sondern der radikaleren Irgun. Menachem Begin führt die Untergrundarmee.
    "Wir waren offiziell eine Terrororganisation, das heißt die Zugehörigkeit führte zu langen Strafen, und auf den Besitz von Waffen stand das Todesurteil. Ich war Mitglied dieser Organisation für vier Jahre, dann bin ich ausgetreten - was einzigartig war, denn aus einer solchen Organisation tritt man nicht aus -, weil ich mit der antiarabischen Politik nicht mehr einverstanden war."
    Während des Unabhängigkeitskrieges wurde Uri Avnery schwer verletzt. Im Krankenhaus schrieb er ein Buch, bringt seine Kritik an der Gründungsregierung des Staates zu Papier.
    "Ich habe die Politik von David Ben Gurion vollkommen abgelehnt. Ich finde es auch heute noch, dass es unheilvoll für den Staat Israel war. Nämlich Politik des Krieges gegen die Araber, die totale Ablehnung alles Arabischen. Diese Einstellung, dass wir mit dem Gesicht zu Europa stehen und mit dem Rücken zur arabischen Welt. Ich wollte das umdrehen."
    Avnerys Kriegstagebuch wurde ein Erfolg, und aus dem jungen Rechtsanwaltsgehilfen und Reporter wurde ein Verleger, der seinen Ansichten ein größeres Plateau verschaffen konnte.
    "Ich will diesen Staat umgestalten"
    "Eigentlich hätte ich schon damals eine Partei gründen sollen, aber ich bin zu der Überzeugung gekommen, damals, dass es nicht praktisch ist, dass es unmöglich ist, und darum hab ich beschlossen, eine Zeitung zu gründen, die diese Politik propagiert."
    Es war die Zeitschrift "Diese Welt - Haolam hase", die Uri Avnery mit den Tantiemen seines Bestsellers kaufen konnte. 40 Jahre lang war er ihr Chefredakteur. Die Zeitschrift wurde sein Sprachrohr, die Basis von Gush Shalom, des israelischen Friedensblocks. Das Magazin führte ihn schließlich als Ein-Mann-Partei in die Knesseth - das israelische Parlament. Und seine Freundschaft mit palästinensischen Honoratioren prädestinierte den israelischen Oppositionspolitiker als Emissär für heimliche Kontaktversuche mit dem Feind. Kontakte mit der PLO standen damals unter Strafe.
    "Sie waren ein kriminelles Delikt. Ein Verbrechen."
    Uri Avnery aber traf sich mit Yassir Arafat.
    "Der einzige, der davon wusste, war der Ministerpräsident Jitzchak Rabin."
    Auf der Straße und im Internet kämpfte Uri Avnery, der sich zehn Jahre lang im israelischen Parlament für seinen Traum von der Integration des Judenstaates im arabischen Nahen Osten eingesetzt hat. 2001 erhielt der angesehene Bürgerrechtler den Alternativen Nobelpreis. Was gab dem alten Kämpen Kraft?
    "Ich fühle mich verantwortlich. Ich gehöre zu der Generation, die diesen Staat gegründet hat und dieser Staat ist gegründet worden auf dem Schlachtfeld und nicht in der Stadtbibliothek von Tel Aviv. Ich glaube, wir befinden uns auf einem schlechten Weg, ich fühle mich verantwortlich für die Zukunft dieses Staates. Ich will diesen Staat umgestalten und ich will, dass dieser Staat von allen seinen Nachbarn akzeptiert wird."