Dienstag, 23. April 2024

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Nacht in der Wüste Gobi

Astronomie. - In Deutschland muss man heute schon Glück haben, um einen Blick auf die Sonnenfinsternis erhaschen. Fast über alle versperrten Wolken die Sicht. Allerdings war es hier ohnehin nur eine partielle Finsternis. In der Wüste Gobi wurde es dagegen heute knapp zwei Minuten lang richtig dämmrig. Der Wissenschaftsjournalist Dirk Lorenzen war Zeuge der Ereignisse und berichtet darüber im Gespräch mit Ralf Krauter.

01.08.2008
    Krauter: Herr Lorenzen, das war bei weitem nicht die erste totale Sonnenfinsternis, bei der Sie dabei waren. Was war in China anders als sonst?

    Lorenzen: Herr Krauter, hier in Jiu Yuan brauchte man das Glück heute nicht zu sehr. Die Wüste hat praktisch gehalten, was sie klimatisch versprochen hat. Es war perfekt klar, und da hat man hier am späten Nachmittag, Ortszeit, gesehen, wie der Mond sich langsam vor die Sonne geschoben hat. Das fing ja erst einmal ganz harmlos an, mit so einem kleinen bisschen, wie man es ja heute mit etwas Glück auch aus Deutschland hat sehen können. Aber dann mit der Zeit hat eben der Mond immer mehr von der Sonne praktisch abgedeckt, dann wird das Licht so fahl, aschgrau, das ist jedes Mal wieder überwältigend, das wirkt jedes Mal wieder anders. Und dann diese letzten Sekunden, bevor der Mond praktisch alles abdeckt, da ist es so, als drehte jemand mit dem Dimmer das Licht aus, und dann steht urplötzlich dieser pechschwarzen Mond am Himmel, umgeben von dieser strahlenden wunderbar fein strukturierten Sonnenkorona, das ist die Atmosphäre der Sonne, die dann auf einmal sichtbar wird, und auch die hellsten Sterne und Planeten erscheinen, es ist immer wieder überwältigend. So war's ja heute auch. Und ein besonderer Aspekt heute war vielleicht, die Sonnenfinsternisse sind, was die Beobachtung angeht, praktisch wieder in ihre Heimat zurückgekehrt, denn die älteste überlieferte Beobachtung einer Sonnenfinsternis, die kommt aus China und liegt gut 3200 Jahre zurück. Damals war der Mondschatten praktisch genau die Bahn entlanggezogen, die er auch heute hier passiert hat, also so ein bisschen ist der Schatten wieder zuhause.

    Krauter: Abseits von dem Spektakel und dem Schauer, der einem da über den Rücken läuft, wenn man so etwas miterlebt, wurde im Zuge der komplette Verdunkelung heute auch richtig harte Wissenschaft gemacht?

    Lorenzen: Die Wissenschaftler, die können sich nicht überwältigen lassen von diesen Gefühlen, die man dann selber hat, die sind dann wirklich stark beschäftigt. Und die haben sich auch entlang dieser sehr schmalen, aber einige Tausend Kilometer langen Finsterniszone verteilt. Es waren welche hier in China, welche in Nowosibirsk in Russland, und andere auch im Flugzeug über dem Nordpol. Es geht bei der Erforschung der Finsternis heute vor allem darum, dass man eben genau verstehen will, wie diese Korona, wie diese Sonnenatmosphäre genau funktioniert. Bei der gibt es dieses Paradoxon, dass sie gut 1.000.000 Grad, zum Teil noch heißer ist, aber dass die Sonnenoberfläche, die sie praktisch nur heizen kann, dass die vergleichsweise kühl ist, nämlich nur 6000 Grad. Und das ist so ein bisschen das Paradoxon, dass man kochendes, brodelndes Wasser auf einer kalten Herdplatte hat. Und bis heute ist nicht ganz verstanden, wie die Korona, die Sonnenatmosphäre, zu diesen enormen Temperaturen gelangen kann. Und um das zu verstehen, wollen Forscher besonders den Übergang eben von dieser Oberfläche zur Sonnenatmosphäre beobachten. Und das geht wirklich nur in der Natur, das geht wirklich nur bei einer ganz natürlichen, totalen Sonnenfinsternis, weil die anderen Teleskope, die man sonst benutzt, bei denen man sonst die Sonne abdecken kann, künstlich praktisch, das ist der Mond, den man dort künstlich hinein setzt, zum Abdecken der Sonnenscheine, einfach zu groß, da sieht man diesen entscheidenden Übergang nicht. Das heißt, die Forscher müssen wirklich dem Mondschatten hinterher reisen und müssen die entscheidenden Sekunden oder Minuten nutzen, um dann hochauflösende Aufnahmen zu machen, um auf denen zu sehen, wie eben die vergleichsweise kalte Sonnenoberfläche diese Atmosphäre auf enorme Temperaturen bringen. Zwischendurch allerdings gönnen die sich allerdings auch einmal ein Blick nach oben, vieles ist automatisiert, und es gibt auch die schöne Geschichte, einem Astronom ist einmal bei den Beobachtungen das Gerät kaputt gegangen, sehr schnell in der Totalität, das war das einzige Mal, dass er dann richtig auf das Ganze genießen konnte und nicht nur forschen musste. Also für die Forscher ist es nach wie vor ein großes Erlebnis, aber auch wissenschaftlich spielt den durchaus noch eine Rolle.