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Nachtküche Mond

Für den "Mann im Mond" interessieren sich schon viele kleinste Kinder, etwas größere wissen, dass es auch den Mann auf dem Mond gab. Der erste setzte vor 40 Jahren seinen linken Fuß auf die Oberfläche des Mondes, Anlass für eine Reihe Neuerscheinungen zum Thema.

Ein Feature von Siggi Seuß | 25.07.2009
    "Fehler ignorieren. Weitermachen. Leichte Drift nach rechts. Okay. Okay. ... Houston, hier Tranquility Base. Eagle ist gelandet."

    Das sind Ausschnitte aus dem Funkkontakt der Mondfähre Eagle bei der ersten Landung von Menschen auf dem Mond, am 20. Juli 1969.

    "Die NASA hat ja eine Extrasonde zum Gedächtnis dieses Tags der ersten Mondlandung zum Mond geschickt, den Lunar Reconnaissance Orbiter, der vor kurzem die ersten Bilder zur Erde gefunkt hat. Und diese Bilder sollen dazu dienen, eine Rückkehr der Menschen zu Mond vorzubereiten."

    Und das ist Kurt Hopf, Schulleiter an einer Grundschule, der fast 30 Jahre lang die Volkssternwarte in Hof an der Saale geleitet hat und vor kurzem ein Sachbuch für ganz junge Astronomen und solche die es werden wollen, geschrieben hat. Wir stehen in der Sternwarte und wollen von ihm wissen, ob eins der vielen Teleskope in der Lage ist, zu erkennen, ob die amerikanische Flagge, die die ersten Astronauten auf der Mondoberfläche hinterlassen hat, noch ordentlich senkrecht steht.

    "Man nimmt einen kleinen Kasten in die Hand - etwa einem großen Handy ähnlich und tippt hier einfach ein, welches Objekt man sehen will und das Fernrohr positioniert automatisch dieses Objekt. Wir können den Platz eingeben. Das Teleskop würde automatisch hinfahren - sofern der Mond natürlich am Himmel steht. Wir können aber die Fahne und alles das, was dort zurückgelassen wurde, nicht sehen, denn das kann kein Teleskop von der Erde aus. Dafür sind die Dinge einfach zu klein."

    Mit dieser Tatsache müssen wir leben. Aber anlässlich des 40. Jahrestages der ersten bemannten Mondlandung fragen wir uns, wann wir das erste Mal auf dem Mond waren. Eigentlich schon mit Jules Verne und Tim und Struppi, zum Beispiel. Und dann wieder mit Neil Armstrong und Buzz Aldrin. - Natürlich saßen wir damals wie gebannt in der guten Stube vor dem Fernseher und guckten auf dieses grießelige Schwarzweiß-Bild, auf dem sich schemenhafte Gestalten bewegten. Wir guckten und staunten und glaubten, wir seien Zeugen ganz entscheidender Schritte der Menschheit. Selbst später juckten uns die skeptischen Stimmen nicht, die glauben machen wollten, die NASA habe das ganze Mondabenteuer in einem geheimen Studio gedreht. Denn dass die Mondmission menschenmöglich war, das ahnten wir Forscher und Abenteurer bereits nach der Lektüre von Jules Vernes "Die Reise zum Mond" und wussten es spätestens seit der Zeit, als wir mit den Comic-Helden Tim und Struppi, Käptn Haddock und Professor Bienlein unterwegs waren - in "Reiseziel Mond" und "Schritte auf dem Mond".
    "Hier Tim ... Ich habe den Raumanzug angezogen und stehe jetzt in der Luftschleuse. Eben wird die Luft abgesaugt. Kapitän Haddock überwacht das Manöver ... Ich warte auf seine Anweisungen ..."

    "Hier Haddock ... Luftdruck: Null. Die Sprossen sind herausgelassen. Ich öffne jetzt die Außentür."

    "Ein feierlicher Augenblick: Langsam schwenkt die Tür herum ... Ooooooooooooh! ... Der Anblick ist überwältigend! ... Es ist ... Mir fehlen die Worte ... Es ist eine Landschaft wie aus einem Traum ... einem Alptraum! Wüst und leer, kein Baum, keine Blume, kein Vogel, kein Geräusch, keine Wolke ... über mir ein tintenschwarzer Himmel mit tausenden von Sternen."

    Es gibt noch eine andere Seite des Mondes - nein, nicht die dunkle - die sicher auch -, sondern die romantische, die märchenhafte. Da könnte man in der Kinderliteratur einen großen Bogen schlagen, von der sehr betulichen Mondfahrt Peterchens aus der Feder von Gerdt von Bassewitz bis zu den hintergründigen Bildgeschichten von Maurice Sendak, in denen der Mond eine ganz besondere Bedeutung hat, in "Wo die wilden Kerle wohnen", in "Higgelti Piggelti Pop!", in "Kenny?s Window" und ganz besonders in dem fantastisch traumwandlerischen "In der Nachtküche", in der ein nackter Junge durch eine skurrile Nachtlandschaft fliegt, oder besser: schwebt - sozusagen als Astronaut in der Unendlichkeit der Traumgalaxis.

    "Habt ihr schon von Micky gehört,
    wie er erwacht ist vom Lärm in der Nacht
    und schrie: RUHE DA UNTEN!
    durch die Dunkelheit flog und aus den Kleidern
    am Vollmond vorbeizog und an Papa und Mama
    hinein in den Schein der Nachtküche?"

    "Ein Symbol für Seelenruhe, friedliches Alleinsein. Der Mond, das ist auch Herzensgüte","

    erzählte uns Maurice Sendak in einem Interview vor ein paar Jahren.

    Natürlich beschäftigt sich auch die gegenwärtige Kinder- und Jugendliteratur mit dem Ereignis. Ein paar Sachbücher und ein paar Romane sind soeben bei uns erschienen, die um den Mond und die erste Mondlandung kreisen. - Grund und Zeit genug, die eigene nächste Reise zum Mond vorzubereiten. Dazu wäre zuerst einmal die Auffrischung der Kenntnisse über den Sternenhimmel bitter nötig.

    Hopf: ""Wir haben keine Kuppel über uns, sondern ein ganz normales Dach, wie man es in jedem Wohnzimmer hat. Und man wird sich als erstes fragen: "Wo schaut man denn da raus?" - Wenn man auf einen dieser schönen Knöpfe drückt, bei der Schalttafel, dann wird sich dieses Dach, das 20 Tonnen wiegt, in Bewegung setzen und die ganze Beobachtungsplattform von 60 Quadratmetern freigeben. Das heißt: Wir haben den gesamten Sternhimmel über unseren Köpfen."

    Bevor wir aber nach oben gucken, sollten wir einen amerikanischer Kinderbuchklassiker aus dem Jahr 1954 studiert haben, der nun erstmals bei uns erscheint: H.A. Reys "Der Große Bär im Sternenmeer - Sternbilder sehen und verstehen". (H.A. Rey wurde durch sein Bilderbuch "Coco der Affe" weltweit bekannt).

    Lieber zukünftiger Sternengucker!,

    begrüßt der Autor und Illustrator seine jungen Leser ...

    Nur wenige Menschen kennen sich so gut am Himmel aus, dass sie die Sterne auseinanderhalten und benennen können. Dagegen ist fast jeder von uns dazu in der Lage, eine Eiche von einer Birke oder einen Spatz von einem Buntspecht zu unterscheiden - und das, obwohl einem Buntspechte nicht gerade oft über den Weg laufen oder fliegen.

    Das ist ein Argument. Lassen wir uns also von Rey auf den folgenden Seiten spielerisch in die Wunderwelt der Sternenbilder einführen. Erst in die Theorie, mittels Sternenfenster, die er uns für jede Jahreszeit öffnet, mittels eingestreuter Sternbilder-Rätsel und mit ein paar Erzählungen zur Geschichte der Sternbilder. So lernen wir in kurzer Zeit bereits fünfzehn (von mehr als 50 Sternbilder) kennen, die an unserem Nachthimmel zu sehen sind.

    Such dir für das erste Mal eine möglichst klare und mondlose Nacht aus. Je heller nämlich der Mond am Himmel scheint, desto mehr Sterne "löscht" sein wunderschönes Licht aus.

    Hopf: "Natürlich ist der Mond das Beobachtungsobjekt Nr. 1 in jeder Sternwarte, also jeder will den Mond einfach mal durch ein großes Fernrohr sehen. Und da kann man niemals zu viel versprechen: Der Anblick haut einen wirklich um - an diesen großen Geräten."

    Wenn wir uns wieder gefasst haben, wissen wir: Grundkenntnisse in Sternenkunde sind notwendig, um in der Unendlichkeit des Weltraums die Orientierung nicht zu verlieren. Und H.A. Rey setzt mit seinem wunderschönen Sternen-Bilderbuch - von dem es auch eine Erwachsenen-Version gibt - ein paar Verkehrsschilder in den Nachthimmel, auf dass wir auf unserer Reise zum Mond wissen, wo wir uns gerade befinden - falls einmal die automatische Steuerung unserer Raumkapsel durch die Bodenstation ausfallen sollte.

    Wer sich nun am Sternenhimmel orientieren kann, aber so gut wie keine Ahnung vom Planetensystem und von der Raumfahrt hat, dem sei ein Sachbuch für acht- bis zehnjährige Forscher und Abenteurer empfohlen, das Kurt Hopf geschrieben hat. "So spannend ist die Welt im Weltraum". Es ist das Begleitbuch zur TV-Serie "Willi will?s wissen". Der Autor hat den Stoff pädagogisch und didaktisch klug aufbereitetet - also nicht mit Informationen überfüllt.

    Hopf: Sternhimmel, Astronomie - das ist genau das Thema, das Kinder immer interessiert hat und - wenn wir ehrlich sind - uns genauso wie die jetzige Generation. Ohne ein Initiationserlebnis gelingt der Einstieg in dieses interessante Gebiet niemanden. Bei mir selber war?s tatsächlich auch der Mond. Ich kann mich erinnern - so als Fünf-, Sechsjähriger, wenn ich bei Großmutter hier am Stadtrand von Hof immer war und dann ging in den Sommerferien der Vollmond auf, groß und rot über dem nächsten Hügel, der für mich ja das Ende der Welt war, überm Horizont - dann hat mich das fasziniert.

    Die Erklärungen - zu denen der Autor auch Experten, wie einen Raumfahrtingenieur und einen Astronomen - zu Rate zieht, führen zwar nicht in die unendlichen Tiefen des Wissens, aber sie machen auf jeden Fall neugierig auf mehr. (Leider fehlt am Ende ein Glossar, das die anderen hier vorgestellten Sachbücher besitzen.)

    Wäre der Mond nicht der Begleiter unserer Erde, so würde sie wahrscheinlich alle paar Millionen Jahre einen "Purzelbaum" schlagen. Oder die Erde würde ähnlich dem Uranus wie ein Fass um die Sonne rollen. Denn der Mond stabilisiert die Bewegung "seiner" Erde im Sonnensystem.

    Bodenstation: Fehler ignorieren. Weitermachen. Leichte Drift nach rechts. Okay. Okay. Setzen Sie den Sinkflug fort! Sinkflug fortsetzen!

    Fortgeschrittene Weltraumabenteurer, die als erklärtes Reiseziel den Mond ins Auge fassen, die sollten sich nach der Auffrischung der Grundkenntnisse allerdings einem anderen Sachbuch zuwenden - ein Muss für jene, die die Raumfahrt ernst - vielleicht auch zu ernst nehmen: Alan Dyers Dokumentation "Mission Mond", mit einer 52-minütigen Bonus-DVD, auf der Original-Filmmaterial der NASA die Geschichte der Mondlandung lebendig werden lässt. (Die O-Töne von der Apollo 11-Mission, die wir hier hören, stammen von dieser DVD).

    Dieses Buch erzählt, wie der ewige Traum von der Reise zum Mond im 20. Jahrhundert schließlich wahr wurde. Es erzählt vom heldenhaften, ruhmreichen Aufbruch zum Mond - die Geschichte der Apollo-Missionen.

    In der Tat: Es berichtet - reich bebildert und vielfältig informierend - über die Mondmythen, über Geschichte und Beschaffenheit des Mondes, über den Wettlauf ins All, über den Berufsalltag von Astronauten, ausführlich über das Apollo-Raumfahrtprogramm, speziell über Apollo 11 und Apollo 13.

    Gemessen an heutigen Standards erscheint das Apollo-Kontrollsystem wie aus einer anderen Zeit - die Bordcomputer hatten weniger Rechenleistung als moderne Handys.

    Die Fotos und Illustrationen sind beeindruckend, die Texte verständlich. Aber da gibt es - wie auch im zeitgleich erscheinenden Bildband "Mond" in der Gerstenberg-Reihe "Sehen-Staunen-Wissen" -, da gibt es trotz der sachlichen Information auch diesen ganz besonderen Ton, den man mit den Wörtchen "heldenhaft" und "ruhmreich" umschreiben könnte und der die Widersprüche und politischen Verknüpfungen im Hintergrund der ehrgeizigen Projekte völlig im Dunkeln lässt.

    Hopf: "Ein gewisses Pathos ist natürlich in der Weltraumfahrt, sprich: in der Astronautik immer. Das haben wir nicht zuletzt auch den Amerikanern zu verdanken, die dann immer mit diesem Pathos auch erneute Beschlüsse des Kongresses - wenn es um die Millionen ging - bewirkt haben. Da muss man das Volk hinter sich haben - auch emotional."

    Wenn in solchen glanzvollen Sachbüchern überhaupt eine dunkle Seite erwähnt wird, dann ist das die des Mondes, die der Beinahe-Katastrophe von Apollo 13 (die wiederum durch heldenhaften Einsatz verhindert wurde) oder der klebrig-graue Mondstaub, der sich im Inneren der Mondfähre nach der ersten Exkursion festgesetzt hatte. - Nein, diese Bücher informieren, sie zeigen gestochen scharfe Bilder und verständliche Grafiken - aber es fehlt ihnen der Ton der Reflexion, ein Sinn für Skepsis, geschweige denn für Fantasie, die über die Faszination des Machbaren hinausgeht. Und deshalb sehnen wir uns nun nach etwas mehr Fiktion und etwas weniger Science - so wie in den guten alten Tagen von "Per Anhalter durch die Galaxis". Zwei Romane britischer Jugendbuchautoren über eine geheime Mondmission kommen da gerade recht: P.B. Kerrs "Geheimmission Mond" und Francis Cottrell Boyces "Galaktisch".

    Am Abend schaute ich mir fast eine Stunde lang den Mond an,

    erinnert sich der damals knapp 13-jährige Scotty in Kerrs Roman nach einem schier unglaublichen Abenteuer, das er - in Begleitung von zwei Schimpansen - noch vor dem Start des Raumschiffs Apollo 11 im Jahr 1969 durch-, man kann schon sagen: überlebte. Noch schwärmt er leicht romantisch:

    In früheren Zeit haben die Menschen ihn besungen, Gedichte über ihn geschrieben und ihn sogar als Gottheit verehrt.

    Aber dann kommt ihm John F. Kennedys visionäre Rede in den Sinn:

    "Ich finde, diese Nation sollte sich zum Ziel setzen - und zwar bevor das Jahrzehnt sich dem Ende zuneigt -, einen Mann auf den Mond zu bringen und für seine sichere Heimkehr zu sorgen."

    Und die Fantasie des jugendlichen Helden in "Geheimmission Mond" weicht dem unbändigen Wunsch:

    Ich möchte auch Astronaut werden, wenn ich erwachsen bin.

    Keine Sorge, so lange müssen wir und der frühreife Knabe nicht warten. Dank eines eisernen Willens, dank eines Vaters, der bei der Air Force für den Vietnamkrieg Jagdflieger ausbildet, dank des fliegerischen Talents des Jungen, dank ungezählter Zufälle in der disharmonischen Familiengeschichte - kurz gesagt: Dank der blühenden Fantasie des Autors gelangt Scotty ins Blickfeld von Wernher von Braun, dem Leiter des Apollo-Programms. Und wird - man glaubt es nicht - Astronaut im streng geheimen Mondlandungsprojekt Caliban 11, das eine Abteilung der NASA vor dem Start von Apollo 11 plant. Als Testlauf für Apollo 11. Scotty soll im Kommandomodul um den Trabanten kreisen, während die beiden Affen auf den Mond geschickt werden. Natürlich schleicht sich der Jungastronaut ins Landemodul und überlässt dafür einem Affen die Umrundungen. Und bei Scottys ersten Schritten auf dem Mond erreicht ihn dann sogar noch eine spirituelle Botschaft. Was will man mehr? - So weit so unglaubwürdig - aber spannend. Erfreulich ist, dass Kerr die Mühen des Astronautentrainings präzise beschreibt und auch die dunklen Seiten der Raumfahrt nicht ausspart, die in Sachbüchern für Jugendliche keine Erwähnung finden.

    Ich wollte nur nach Hause und mich gründlich ausschlafen, ohne ständig diesen grauenhaften Gestank von Erbrochenem und Durchfall in der Nase zu haben.

    Aber trotz spannender Dramaturgie, ungewöhnlicher Einblicke und gelegentlich witziger Passagen hat die Geschichte einen Haken, den wir bereits bei den Sachbüchern bemerkten: Ihre Figuren nehmen sich zu ernst. Der Ton ist übermäßig patriotisch, heldenmütig und manchmal sogar schwülstig. Da klopft, zum Beispiel, Präsident Johnson an die Haustür der Familie, beschwört die Vaterlandsliebe des Jungen - und man hat beim Lesen nicht den Eindruck, es handle sich um eine ironische Fußnote der Geschichte.

    "Amerika braucht die Mondlandung", verkündete der Präsident. "Die Nation braucht ein Erfolgserlebnis, damit sie den Glauben an sich selbst nicht verliert. Gerade jetzt, wo wir gegen die Kommunisten Krieg führen."
    "Ich möchte es machen", rief ich und sah Dad scharf an, damit er mir nicht in die Parade fuhr. "Ich tue es für mein Land."


    Nach so vielem Vaterlandsernst und Vaterstolz (Scottys Vater betont mindestens in jedem zweiten Kapitel, wie stolz er auf seinen Jungen ist), nach so viel Ernst und Stolz brauchen wir am Ende eine spannende Entspannung, die die Perspektiven von Vätern und Söhnen zurechtrückt, dem Heldentum die Spitze nimmt und die Tiefen des Weltalls auch einmal aus einem ironischen Blickwinkel betrachtet.

    Die heldenhaften Söhne von damals und die eine oder andere intergalaktisch begeisterungsfähige Tochter sind aus dem Haus und die Väter sitzen in den Dachkammern an ihren Super-Teleskopen und gucken auf die Tagseite des Mondes. Vielleicht ist unter ihnen auch der Schriftsteller Frank Cottrell Boyce (Millionen, Meisterwerk). Wenn die Männer über das Meer der Stürme streifen, kriegen sie eine leichte Gänsehaut und wenn sie zur Fra-Maura-Region kommen (wo Apollo 13 eigentlich landen sollte), dann bleibt ihnen fast das Herz stehen. Denn dort finden sich in riesigen Lettern die Worte "Hallo, Dad!" mit Steinen in den Mondstaub geschrieben. Stopp!

    Kurt Hopf von der Hofer Sternwarte klärt uns auf, dass die mondbegeisterten Väter dieser Welt sich erst einmal in eine Erdumlaufbahn außerhalb der Atmosphäre begeben müssen, um mit dem Teleskop mannsgroße Buchstaben auf dem Mond erkennen zu können.

    Hopf: "Unser Luftmeer ist ja ähnlich unruhig wie eine Wasseroberfläche. Und wenn Sie mal versucht haben, zum Beispiel eine alte Zeitung, die im Schwimmbad unten liegt, zu lesen, dann wird Ihnen das auch aus einem Meter Entfernung nicht gelingen, weil einfach das Bild unscharf ist durch die Bewegung des Wassers. Und genauso verhält sich die Luft und deswegen können auch Spitzenteleskope nicht höher auflösen."

    Trotzdem: Um zu erfahren, wie die Grußbotschaft "Hallo, Dad!" auf die Mondoberfläche kommt, müssen alte und junge Abenteurer schon Boyces neuen Roman, "Galaktisch", lesen. - Der Schriftsteller hat ein ganz besonderes Märchen in die Welt gesetzt, im Grunde ist es ein Buch über den Artenreichtum von Vätern und Söhnen und über die Vielfalt der Schwerkraft. Boyce nimmt dazu ziemlich glaubwürdige Personen aus einer ziemlich realen Welt, die auf ziemlich unglaubliche Bahnen geraten. Vielleicht ereignet sich das Ganze auch erst in ein paar Tagen Richtung Zukunft. Egal, ob es heute oder morgen angesiedelt ist: dieses Meisterwerk aus spannender Handlung und ironischen Metaphern lässt die Freunde intergalaktischer Kommunikation genauso im einem verkommenen Liverpooler Vorort zu Hause sein wie auf einer Umlaufbahn um den Mond, in einer Playstation-Fantasy genauso wie im wirklich heißen Sand der Wüste Gobi. Alles nur eine Frage des Levels und der Fähigkeit, die Fantasie zwischen Schwerkraft und Schwerelosigkeit schwingen zu lassen. Das ist gar nicht so einfach, denn die Schwerkraft ist eine gar individuelle Geschichte.

    Vielleicht hat jeder Mensch seine eigene Schwerkraft, die einen weit weggehen lässt, manchmal sogar sehr weit, die aber dafür sorgt, dass man am Ende immer wieder zurückkehrt. Anscheinend ist die Schwerkraft auf der Erde doch nicht immer gleich. Manchmal schwebt man wie eine Feder. Manchmal ist man zu schwer, um sich überhaupt noch rühren zu können. Manchmal kann ein einziger Junge mehr wiegen als das gesamte Universum.

    Boyces Held hat wahrlich Probleme mit seiner ureigenen Schwerkraft. Es ist der für seine zwölf Jahre viel zu groß geratene Liam, den Fremde oft schon mal als Erwachsenen durchgehen lassen. So auch ein chinesisches Megaunternehmen, das über seine multifunktionalen Superhandys vier Kinder und vier Väter für "das größte Abenteuer der Weltgeschichte" sucht. Liam ist einer der Auserwählten - als vermeintlicher Vater. Der Knabe mit dem sprießenden Flaumbart tut sich natürlich nicht nur gegenüber seiner drei Monate jüngeren "Tochter" Florida außerordentlich schwer, den Erwachsenenstatus zu behaupten. Jedenfalls landen die beiden als Test-Taikonauten im chinesischen Raumschiff und fliegen mit drei weiteren Kindertaikonauten Richtung Mond.

    Mum, Dad, falls ihr gerade zuhört,

    spricht Liam vorsorglich in sein Handy.

    Wisst ihr noch, wie ich gesagt habe, dass ich mit der Schule ins Freiluftjugendzentrum im südlichen Seengebiet fahren würde?
    Um ehrlich zu sein: Ich bin nicht direkt im Seengebiet.
    Um ehrlich zu sein: Ich bin eher im Weltraum.
    Ich sitze in dieser Rakete, der Unbegrenzten Möglichkeit. Über dreihunderttausend Kilometer oberhalb der Erdatmosphäre. Es geht mir gut ... eigentlich.
    Ich weiß, dass ich ein paar Dinge erklären sollte. Das tue ich hiermit.


    Auf dieses Spektrum von Weltensprüngen muss man erst einmal kommen! Und dann - trotz größter anzunehmender Unwahrscheinlichkeiten - daraus eine Geschichte zu basteln, die logisch, spannend, erheiternd, realitätsnah und very sophisticated daherkommt, das können nur wenige. Frank Cottrell Boyce gehört dazu, selbst wenn er gelegentlich am Teleskop in der Dachkammer stehen und mit Wehmut auf die Fra-Maura-Region blicken sollte. Aber was heißt hier schon Wehmut? Die Zukunft hat, wie wir wissen, schon längst begonnen.

    Hopf: "Wir werden ja schon in den kommenden - ich schätze: spätestens fünf bis zehn Jahren als Privatleute Orbitalflüge machen können, für 20.000 Dollar, zum Beispiel - man kann jetzt bereits buchen. Es gibt weltweit vier Firmen, die hier die Technologie bereits bauen."

    Wer hierzu Näheres erfahren will, dem sei zum Schluss das "Handbuch des Weltraumtourismus" von Martin Kohn empfohlen, zwar kein ausgesprochenes Jugendbuch, aber ein sehr verständlicher Reiseführer für angehende Astronauten. Vor allem werden die Schattenseiten des Geschäftes nicht vergessen. Ansonsten gilt: Mit den hier vorgestellten Büchern im Handgepäck rücken uns der Mond und die Sterne ein gehöriges Stück näher.

    Bodenstation: Leichte Drift nach rechts. Okay. Okay. ... Houston, hier Tranquility Base. Eagle ist gelandet.


    Literatur:

    Hergé: Tim und Struppi
    Reiseziel Mond
    Schritte auf dem Mond
    Carlsen Comics, Hamburg
    jeweils 9,90 Euro
    ab 12

    Maurice Sendak: In der Nachtküche
    Deutsch von Hans Manz
    Diogenes Verlag, Zürich 2001
    14,90 Euro
    ab 6

    H.A. Rey: Der Große Bär im Sternenmeer - Sternbilder sehen und verstehen
    Deutsche Erstausgabe
    Übersetzt von Ebi Naumann
    Oetinger Verlag, Hamburg 2009
    12,90 Euro
    ab 8

    H.A. Rey: Zwilling, Stier und Großer Bär - Sternbilder erkennen auf den ersten Blick
    Deutsche Erstausgabe
    Übersetzt von Ebi Naumann
    Arche Literatur Verlag, Hamburg 2009
    28 Euro

    Kurt Hopf: So spannend ist die Welt im Weltraum
    Reihe "Willi will?s wissen"
    Baumhaus Verlag, Frankfurt/M. 2009
    9,80 Euro
    ab 8

    Alan Dyer: Mission Mond
    (mit Bonus-DVD)
    Deutsch von Regina Schneider
    Oetinger Verlag, Hamburg 2009
    19,90 Euro
    ab 12

    Jacqueline Mitton: Mond - Faszinierendes Wissen rund um den Erdtrabanten
    Aus dem Englischen von Margot Wilhelmi
    Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2009
    12,90 Euro
    ab 12

    P.B. Kerr: Geheimmission Mond
    Aus dem Englischen von Peter Knecht
    Oetinger Verlag, Hamburg 2009
    12,90 Euro
    ab 12

    Frank Cottrell Boyce: Galaktisch
    Aus dem Englischen von Salah Naoura
    Carlsen Verlag, Hamburg 2009
    14,90 Euro
    ab 12

    Martin Kohn: Handbuch Weltraumtourismus - Der unverzichtbare Reiseführer für angehende Astronauten
    Ehrenwirth Verlag, Bergisch Gladbach 2009
    14,95 Euro
    ab 14

    Nicht besprochen:

    Thomas Bührke: Lift Off - Die Geschichte der Raumfahrt
    Bloomsbury Jugendbuch, Berlin 2009
    16,90 Euro
    ab 14