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Nackte, Sterne und Pixel

Thomas Ruff ist ohne Zweifel einer der international anerkanntesten deutschen Fotokünstler. Wer die großformatigen Fotografien im Original gesehen hat, kann die Wirkung seiner besonderen Technik der Bildbearbeitung wirklich bewundern. Das Sprengel-Museum in Hannover zeigt nun Fotografien des in Düsseldorf lebenden Ruff.

Von Carsten Probst | 23.01.2007
    Was hat die nüchterne, auf minimalistische Reduktion bedachte Fotografie von Thomas Ruff mit den farbenschweren Experimenten des abstrakten Expressionismus zu tun? Auf den ersten Blick mitunter schon erstaunlich viel. Ruffs wie immer großformatige Serie der "Substrate" aus dem Jahr 2003 beispielsweise sind am Computer errechnete, "psychedelische" Farbkompositionen, die auf Comiczeichnungen basieren. Die ineinanderfließenden, zugleich aber immer klar abgegrenzten Formen lassen sich überraschenderweise durchaus mit den abstrakten Kompositionen von Ernst Wilhelm Nay aus den fünfziger Jahren vergleichen. Deren emotionaler Gehalt ist zwar ungleich größer, Ruffs Fotografien wirken dagegen auf eine bestimmte Weise fast abgeklärt und distanziert. Aber dieses Spiel mit der De-Konstruktion von Emotionen ist andererseits ja auch Thomas Ruffs Spezialität. Auch die Serie der "Nudes", die zwischen 2001 und 2005 entstanden ist, hat augenfällige Entsprechungen in einigen Werken der jüngsten Kunstgeschichte nach 1945.

    Bei den "Nudes" hat Ruff Bilder von Pornoseiten aus dem Internet mit einem komplizierten Verfahren der Pixelverschiebung in ein Riesenformat gebracht, so dass die nackten Körper in ihren aufreizenden Posen stark verschwommen und dadurch seltsam zeitlos erscheinen. Sie finden eine sehr sinnfällige Entsprechung in Francis Bacons dramatischer "Study for a Portrait of P.L." von 1964, wobei auch hier wieder Ruffs "kalte" Methode der Fotografie dem intensiven Gestus der baconschen Malerei gegenübersteht, als wären sie einander komplementäre Elemente.

    Besonders deutlich wird seine Bildstrategie der Ernüchterung an Ruffs Maschinen-Fotografien, in denen er alte Abbildungen von Industrieapparaturen und Werkzeugen der dreißiger und vierziger Jahre isoliert und farblich manipuliert hat, so dass sie wie in Kunststoff gegossen und konserviert wirken. Keine Spur also mehr von Blut, Schweiß und Tränen der Arbeiter und der Produktion. Jegliches Pathos von Utopie und Fortschritt, jede Versonnenheit auch des Nostalgischen wird buchstäblich im Keim erstickt und stattdessen die Bilder als ausgediente Projektionsflächen moderner Erlösungsphantasien hingestellt. Die Maschinen und die Nackten, die Aufnahmen vom Sternenhimmel, auch die Portraits von Thomas Ruff, die das Gesicht nicht mehr als Ort einer lesbaren Wahrheit oder Persönlichkeit zeigen, sie alle markieren gleichsam Fehlstellen einer Bildbedeutung, die es heute so nicht mehr gibt, wenngleich man sie noch gut erinnert.
    Das macht die Konfrontation dieser Fotografien mit der Kunst der fünfziger bis achtziger Jahre, die durchaus noch mit Bedeutungen gerungen hat, interessant. Es ist wie die Unterhaltung zwischen zwei grundverschiedenen Generationen mit zwei grundverschiedenen Auffassungen von Kunst und ihrer kulturellen Bedeutung. Eine in kaltem Grün kolorierte Detailaufnahme von Sägespänen aus Ruffs "Maschinen"-Serie trifft so auf die gekräuselten, lichten, körperhaften Linien von Willem de Koonings abstraktem Gemälde von 1983, patinierte Werkbänke und Stahlschränke auf einen verpackten Bürostuhl aus dem Frühwerk von Christo.

    Gerhard Richters "Abendlandschaft mit Figur" von 1970 reproduziert bereits ähnlich wie Ruff die Pathosformel einer romantischen Landschaftsansicht mit einer leichter Unschärfe und ist damit den computergenerierten Pseudolandschaften des Fotografen möglicherweise am nächsten. Auch Anselm Kiefers "Grab des unbekannten Malers" von 1982, das lediglich einen anonymen, erdfarbenen Betonblock inmitten einer Ackerlandschaft zeigt, hat durchaus Entsprechungen mit der leisen Ironie von Thomas Ruffs immer betont "unspektakulären" Architekturansichten.

    So ist dieses groß angelegte Projekt des Sprengelmuseums mehr als nur ein bloßer Abgleich zwischen einem zeitgenössischen Künstler und seinen zum Teil berühmten Wahlverwandtschaften früherer Epochen. Sie markiert eine Zäsur im Kunstverständnis, die sich in den neunziger Jahren ergeben hat, mit dem Ende des Kalten Krieges und der Ausbreitung des Internets. Thomas Ruff ist einer der ersten jener damals jungen Generation, die den Verlust des Authentischen in der Kunst dokumentierten. Auf seltsame Weise wirkt aber auch diese Haltung heute schon wieder historisch. Auch das zeigt die Eingliederung von Ruffs Arbeiten in den großen und ehrenwerten Kanon des Sprengelmuseums.