Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Nadine Gordimer zum 90.
Die weiße Afrikanerin

Seit mehr als 60 Jahren schreibt Nadine Gordimer über die Probleme ihrer Heimat Südafrika. Das Werk der Schriftstellerin, die 1991 den Literaturnobelpreis erhielt, ist geprägt von der Apartheid und dem konfliktreichen Zusammenleben der schwarzen und weißen Bevölkerung. Nun feiert sie ihren 90. Geburtstag.

Von Eva Pfister | 20.11.2013
    "Ich bin eine weiße Afrikanerin. Englisch ist meine Sprache, davon bin ich seit meiner Kindheit kulturell geprägt. Aber es wird mir immer klar, wenn ich nach Europa komme oder nach Amerika: Meine einzige Heimat ist Südafrika."
    Nadine Gordimer wehrt sich gegen Etiketten. Sie will keine Anti-Apartheid-Autorin sein, aber als Schriftstellerin, die dem Rätsel des Lebens auf der Spur ist, wie sie sagt, kann sie die Probleme ihrer Heimat nicht ausblenden. Als Kind weißer Einwanderer – die Mutter stammte aus England, der jüdische Vater war vor Pogromen aus dem russischen Zarenreich geflohen - wurde Nadine Gordimer am 20. November 1923 im Bergbaustädtchen Springs nahe Johannesburg geboren. In ihrer Jugend erlebte sie den alltäglichen Rassismus hautnah mit.
    "Ich habe gesehen, wie die Männer durch eine Art dicken Maschendrahtzaun im Laden auf die Dinge deuten mussten, die sie haben wollten. Daraufhin nahm der Verkäufer die Decke oder das Radio, was auch immer es sein sollte, aus dem Regal. Anfassen war nicht erlaubt. Auch Kleider durften nicht anprobiert werden. Sie mussten ihr Geld unter dem Maschendraht durchschieben, dann erst erhielten sie ihren Einkauf."
    Das behütete Kind begann früh zu schreiben und veröffentlichte schon mit 14 Jahren eine Kurzgeschichte. In ihrem ersten Roman "Entzauberung", der 1953 erschien, schildert Nadine Gordimer, wie ein Mädchen aus der weißen Mittelschicht die Welt der Schwarzen kennenlernt und sich der Probleme ihres Landes bewusst wird. Seither publizierte Gordimer 15 Romane, mehr als 200 Erzählungen sowie ungezählte Aufsätze und Reden.
    Sie kämpfte aktiv gegen die Apartheid, war Mitglied des verbotenen African National Congress und setzte sich für die Freilassung von Nelson Mandela ein. In ihrer Literatur vermied die Autorin stets die direkte Propaganda; sie beschreibt vielmehr die schwierige Identitätsfindung und die Beziehungsprobleme der Menschen, denn sie hat erkannt, dass das System der Apartheid sowohl die weißen als auch die schwarzen Südafrikaner deformiert hat. 1991 wurde Nadine Gordimer der Literaturnobelpreis zugesprochen. Ihr Werk, so heißt es in der Begründung, "gibt tiefe Einblicke in die historischen Prozesse und hilft mit, diese zu gestalten."
    Drei Jahre später stürzte das Apartheid-Regime und Nelson Mandela wurde Präsident der südafrikanischen Republik. Euphorisch verfolgte Nadine Gordimer die neuen Verhältnisse.
    "In jedem Lebensaspekt, ob im Krankhaus oder im Kino, sieht man Schwarz und Weiß beieinander. Und das ist eine enorme Veränderung. Wenn Sie am Sonntag in den Park gehen, sehen Sie gemischte Pärchen, schwarz und weiß, die sich küssen. Dafür wären sie früher ins Gefängnis gekommen."
    Aber Nadine Gordimer übersieht auch die Probleme des neuen Südafrikas nicht, zumal sie selbst durch einen Raubüberfall in ihrem Haus in Johannesburg von der wachsenden Kriminalität direkt betroffen war. Tief enttäuscht war sie, als 2009 der wegen Korruption und Vergewaltigung angeklagte Jacob Zuma zum Präsidenten gewählt wurde, und sie mit ansehen musste, wie viele Schwarze an Macht und Reichtum interessiert waren.
    "Wir nennen es das Mercedes-Benz-Syndrom: Eine Freiheitskämpferin, die jahrelang unter sehr harten Bedingungen gelebt hat, findet, dass ihr nun ein Mercedes-Benz zusteht!"
    In ihrem letzen Roman "Keine Zeit wie diese" thematisiert Nadine Gordimer ohne Beschönigung diese Probleme, und doch drückt sie auch darin ihre Solidarität aus mit jenen, die das Land voranbringen wollen und weiter gegen die Benachteiligung der schwarzen Mehrheitsbevölkerung ankämpfen. In einem Interview zu ihrem 85. Geburtstag 2008 bat sie die Welt um Geduld:
    "Die Rassendiskriminierung begann 1652, als Jan van Riebeeck von der niederländischen Ostindienkompanie am Kap landete – und wie kann man von uns erwarten, dass wir in nur 14 Jahren die Unterschiede komplett abgeschafft haben. Gebt uns eine Chance. Verdammt uns nicht nach 14 Jahren! Das ist die Basis für meinen trotzigen Optimismus."