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Nächste Generation der deutsch-französischen Partnerschaft

Kern des Elysée-Vertrages ist die regelmäßige Begegnung von Deutschen und Franzosen. Darauf basiert auch die Arbeit des Deutsch-Französischen Jugendwerks. Es organisiert einen Austausch zwischen dem Pariser Vorort Clichy-sous-Bois und dem Berliner Bezirk Neukölln.

Von Rainer Volk | 22.01.2013
    Neukölln hat U-Bahn-Anschluss, nach Clichy-sous-Bois fährt nur ein Bus. Das heißt: Für die 30.000 Einwohner ist die Metropole Paris weit weg.

    Clichy war im Jahr 2005 Schauplatz von Jugend-Unruhen. Nicolas Sarkozy, damals Minister, drohte, er werde mit dem Kärcher kommen. Heute sind die schlimmsten Wohnsilos abgerissen, andere saniert. Aber die Tristesse ist groß, auch in dem schlichten Raum, in dem die Hilfsorganisation ARIFA den Sozialdienst "Femmes-Relais", frei übersetzt: "Staffel-Frauen", betreibt:

    Die Sozialarbeiterin Fatima Bakdadi hofft, der Austausch mit Neukölln bringe ihr vielleicht etwas für die Arbeit mit Migrantinnen aus Nordafrika:

    "Bei uns geht es um Dinge wie Wohnungssuche, Behördenverkehr, Bürgerrechte, gültige Papiere bekommen. Auch um die Gesundheit, weil illegale Einwanderer oft Angst haben, zum Arzt zu gehen. Beim Austausch mit den Berlinerinnen kann ich vielleicht über meine Fälle reden und fragen, was sie tun würden, welche Mittel sie haben, um den Menschen zu helfen. Meine Möglichkeiten kenne ich – ihre würde ich gerne kennen lernen. Ich finde es gut, dass ich durch meine Arbeit von so einer Fahrt profitieren kann."

    Ein erstes Beschnuppern zwischen den Teilnehmern des Programms gab es bereits. Beide Seiten stellten dabei fest: Berliner Problem-Kiez und Pariser Vorort-Slum sind zwei Welten. Sahidé Aslanbuga, die in Clichy Türkinnen betreut, erinnert sich an Berlin:

    "Die Person, die uns zu unserem Treffen dort brachte, meinte: Wir gingen durch das schmutzigste Eck von Neukölln. Und meinte das Laub auf den Straßen. Ich erwiderte: Das nennen Sie schmutzig? Sie müssen mal nach Clichy kommen. Und als sie kamen, waren sie erstaunt: Bei uns ist die Armut viel spürbarer. Und was die Jugendliche angeht, die wir betreuen: Die aus Neukölln haben mehr Selbstvertrauen, beteiligen sich an interaktiven Debatten und so."

    Kesiban Aydin, Koordinatorin des Berliner Migrantinnen-Projekts bestätigt die Unterschiede zwischen den Neuköllner Verhältnissen und denen in Clichy:

    "Als wir das dann gesehen haben , diese verschimmelten Häuser, die schon alle abgesperrt waren, dass das wirklich Baracken sind Und wie klein alles ist und wie einfach das alles ist, da dachten wir: Wow! Wir sind hier in Nord-Neukölln. Aber selbst die kleinste Kita ist besser ausgestattet."

    Dass versucht wird, die deutsch-französische Partnerschaft auch für junge Migranten interessant zu machen, ist politischer Wille. Borris Diederichs, Referent des Deutsch-Französischen Jugendwerks für Integration und Chancengleichheit sagt: Junge Einwanderer in Frankreich fühlten sich zwar schneller als Franzosen als dies in ähnlichen Fällen bei uns der Fall sei:

    "Trotzdem gibt es noch Alltagsrassismus, oder es gibt Diskriminierung, wo sie sich dann nicht vollständig als Matthieu oder Danielle fühlen, sondern als Abdul oder Ahmed- und dann noch einen arabischen Nachnamen haben, wo’s dann doch schon Unterschiede gibt. Aber gerade durch die Erfahrung mit dem anderen Land also mal nach Deutschland reisen oder nach Frankreich reisen – und dort als Deutscher oder als Franzose wahrgenommen zu werden - das arbeitet schon an der jeweiligen Identitäts-Konstruktion."

    Über ihre persönlichen Kontakte erzählen die Neuköllnerinnen nur Positives. Schwieriger scheint es zu sein, wenn politische Konzepte ins Spiel kommen und gesellschaftliche Ideen. Irène Servant, in Berlin lebende Französin und Dolmetscherin bei den Treffen der Sozialarbeiterinnen berichtet:

    "Es gab ein Gespräch im Rathaus in Clichy-sous-Bois und da kam eine Frage von der Neuköllner Seite: Können Sie vielleicht ein Beispiel von einem Projekt, einem Integrationsprojekt nennen, das erfolgreich war? Und das habe ich auf Französisch übersetzt und da kam die völlige Verwirrung auf französischer Seite, weil das Wort Integration nicht gut angehört wird. In Frankreich sollte man soziale Eingliederung oder Chancengleichheit."

    Die nächste Gelegenheit, das Vokabular abzugleichen kommt im Februar, dann besucht eine Delegation aus Clichy das Stadtteilmütter-Programm in Neukölln.