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Nähmaschinenmusik
Kann man Musik eigentlich auch nähen?

Zwei junge Künstlerinnen haben sich in die Tradition der Maschinenmusik gestellt: Sie spielen auf elektronisch verstärkten Nähmaschinen. Das ist politisch, abwechslungsreich – und die Kunstwerke lassen sich danach anziehen.

Von Jenni Zylka | 15.12.2017
    Ein Nähmaschine mit Tisch von Quelle aus dem Jahr 1966.
    Ein Nähmaschine mit Tisch aus dem Jahr 1966. (picture alliance / dpa / Daniel Karmann)
    Dieser Sound stammt von Nähmaschinen. Produziert von den beiden Künstlerinnen und Designerinnen Steffi Müller und Lisa Simpson, die sich "A Duet of Amplified Sewing Machines" nennen. Sie spielen ihre Musik, oder besser ihren Sound auf handelsüblichen, elektronisch verstärkten Maschinen.Was sie auf der Bühne nähen, können sie sogar anziehen- es entsteht eine Partitur mit hör- und tragbare Kunst. Steffi Müller erklärt.
    "Da hatte ich dann damals, und jetzt auch immer noch Lust, mit der Nähmaschine rauszugehen, viel in den öffentlichen Raum oder bewusst ein Gerät auf die Bühne zu stellen, das du eigentlich mit dem Häuslichen oder mit der Fabrik in Verbindung setzt, und das ja ganz oft als etwas Weibliches konnotiert ist, als etwas Harmloses, Liebliches, wo du halt ausbessern kannst, verschönern kannst und so, oder Mode damit machst. Und da hat’s mich gereizt, den Lärm rauszuholen."
    Nähmaschinenduett als lange Tradition
    Ja, Lärm steckt garantiert mit drin. Aber vor allem eine große Vielfalt: Mit selbstgelöteten Kontaktmikrofonen suchen, finden und kitzeln die Musikerinnen bei ihren Performances an den unterschiedlichsten Stellen der Maschine Klänge heraus.
    "Die Maschinen haben ja verschiedene Sounds. Also zum Beispiel der Unterfaden von der Nähmaschine, also wenn du den ziehst - das klingt ganz fein, und dann gibt’s wieder Sounds wie die Kurbel zum Beispiel von der Nähmaschine, oder der Fuß, die haben etwas sehr Rhythmisches."
    "Am besten klingt meine Industriemaschine die noch in Brasilien ist! Und die so richtig Power, so. Es ist cool wenn wir auf Reisen sind, wir fragen immer ob so Nähmaschine wo wir gehen gibt’s, weil wir sind auch interessiert, wie klingt die andere, die klingen alle anders, die ich in Berlin nutze kenn ich schon am besten natürlich.
    Sagt Lisa Simpson, die ihre Liebe zum Nähen und gleichzeitigen Musizieren in ihrer früheren Heimat Brasilien entdeckte. Das Nähmaschinenduett, das übrigens aus logistischen Gründen meist auf gemeinsames Proben verzichten muss, steht dabei in einer langen Tradition: Seit der Industrialisierung kreieren Komponisten Musik mithilfe von Maschinen, oder imitieren den Industrialsound mit Orchester. Von Helden der Moderne wie George Antheil und Edgar Varese über den mit Störgeräuschen experimentierenden Stockhausen, von John Cage bis hin zum jungen Frank Zappa, der 1963 das Fernsehpublikum schockierte, als er live auf einem Fahrrad spielte. Die Münchner Musikwissenschaftlerin Dr. Anna Schürmer betont den Zusammenhang zwischen Näh- und anderer Maschinenmusik und bildender Kunst.
    "Ich würde die in so Dada, Fluxus, Aktionskunst einordnen, weil da ist das natürlich, genau darum ging es, und dann ist man immer wieder und sofort bei John Cage. Der natürlich den Zufall, die Aleatorik in die Musik eingeführt hat, eben um genau diesem westlichen Musikverständnis, dass alles in Noten, in Partituren festgehalten wird, alles genau auskomponiert wird, und sozusagen der Status des Kunstwerk über seine absolute Form definiert wird, da haben diese frühen aktionistischen Avantgarden dagegen rebelliert."
    Losgelöst vom weiblichen Kontext
    Dass Nähmaschinen traditionell von Frauen bedient wurden, die sich damit einen Platz in der Arbeitswelt ergatterten, das gibt dem ungewöhnlichen Sound aus dem Haushaltsgerät zudem eine Ahnung von Selbstermächtigung. Gleich den feministische Künstlerinnen der 60er und 70er Jahre wie Yayoi Kusama, Judy Chicago oder auch Yoko Ono, die bewusst weiblich assoziierte Handarbeitskünste dekonstruierten, ist auch beim Nähmaschinenduett ein Genderbewusstsein fühlbar. Anna Schürmer:
    "Das ist natürlich eine Umwidmung von diesen Sachen. Eine Nähmaschine wird automatisch weiblich konnotiert, und das dann aus dem Kontext rauszunehmen und in einen neuen Kontext zu stellen, damit stellt man natürlich wiederum die ursprüngliche Funktion oft aus oder auch ex negativo aus."
    Von wegen langes Fädchen faules Mädchen – auch der Sound von Scherenschnitten, das beweist das Duett in diesem Soundschnipsel, kann zu Rhythmus werden. Nächsten Sonntag erscheint eine limitierte Kassette mit der Aufnahme eines Livekonzerts, die Cover sind selbstverständlich selbst genäht. Und wer jetzt Lust bekommen hat, aber keine Nähmaschine besitzt, dem sei noch ein Stück von Leroy Anderson ans Herz gelegt, der 1950 eine weitere Maschine zu Wort kommen ließ.