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Nah am Vorurteil

Die Soziologin Necla Kelek ist eine der bekanntesten Islamkritikerinnen in Deutschland. Sie war Mitglied der Deutschen Islamkonferenz und hat dort mit Vertretern des organisierten Islam gestritten. Jetzt hat sie ein Buch geschrieben, das ganz gezielt mit den deutschen Islamverbänden ins Gericht geht.

Von Dorothea Jung | 19.04.2010
    Koransure Rezitationsgesang

    "Gepriesen sei der, der bei Nacht seinen Diener von der heiligen Moschee zu der fernen Moschee hinführte, die wir gesegnet haben. Auf dass wir ihm unsere Zeichen offenbaren."
    Die "Himmelsreise" oder auch die "Nachtreise" ist die 17. Sure des Korans.

    "Die Himmelsreise ist entscheidend für die Argumentation, wenn wir über Islam sprechen und über die Auswirkungen im Alltag."
    Für Necla Kelek ist diese 17. Koransure das Sinnbild für den Wandel der frühislamischen Religion vom reinen Glauben zu einem Macht- und Gesellschaftsprojekt.

    "Mit der Himmelsreise verkündet der Prophet, dass er der Auserwählte ist von Gott von 77 Propheten - ganz wichtige wie Moses und Jesus - aber er ist der Einzige, der zu Allah gerufen wird. Und er holt im Grunde die Legitimation von Allah, dass von jetzt ab Allahs Gesetze die Gesetze sind, nach denen sich die Menschen richten müssen; und er gebeten wird, das den anderen Propheten auch zu sagen; aber sie nehmen es nicht an; und er setzt das dann mit dem Schwert durch."
    In der Sure von der Himmelsreise sieht die Autorin den entscheidenden Anstoß für die Entwicklung der Scharia - also für ein von Allah verordnetes Recht. Neben der Scharia habe ein Muslim aber auch noch der Hadithe zu folgen. Die Hadithe (im Deutschen spricht man auch von Hadithen) das sind Berichte über das Leben Mohammeds. Sie enthalten ein Regelwerk für ein islamgemäßes Leben nach dem Vorbild des Propheten, so Necla Kelek.

    "Das heißt: Sie leben das Leben Mohammeds nach, durch die Hadithe. Also: Nachahmung! Keine Neugier, kein Zweifel, und ich finde, in unserer Zeit, wo wir die Möglichkeit haben, mit unserem kritisch rationalem Verstand, wenn wir uns die Hadithe wenigstens kritisch angucken könnten, dann wären wir einen Schritt weiter."
    Dann könnte man die angeblich glaubensbestimmenden Anweisungen der Hadithen infrage stellen. Wie zum Beispiel das Kopftuchgebot, das Verbot von Alkohol und Schweinefleisch und die zahlreichen anderen Vorschriften für den muslimischen Alltag.

    "Und dann müssten wir uns den Koran noch ansehen, wie halt auch die Bibelstudien und -theologie auch mit kritisch-rationalem Blick. Und uns von den gewaltinspirierten Suren und dem autoritativen Teil der Texte auch befreien! - Dann könnte man angstfrei auch muslimisch sein und den Islam als Glaube leben."
    Doch nach Meinung der Autorin wird das von den Wächtern des Islam verhindert. Als solche bezeichnet Kelek die Repräsentanten der muslimischen Verbände in Deutschland. Die blockieren in ihren Augen ein liberales Koranverständnis. Deren Ziel sei es, eine fundamentalistische Interpretation des Islam in der deutschen Öffentlichkeit hoffähig zu machen.
    "Ich habe in der Islamkonferenz erfahren, dass die Islamverbände so organisiert sind, dass man mit ihnen keine Demokratie machen kann, dass sie auf ihr Recht pochen. Sie wollen einfach ihr Recht auf Körperschaft des öffentlichen Rechtes abholen. Und so wie sie sich das vorstellen, wie der Islam zu leben ist, wollen sie einfach leben. Und sie wollen dabei nicht gestört werden. Leider ist das eine sehr, sehr traditionelle Form, also fast aus dem 7. Jahrhundert; alle Verbände leider - außer dem alevitischen Verband - möchte ich sagen, dass es leider so ist."
    Bei ihrer Kritik an den Islamverbänden geht Necla Kelek nicht wissenschaftlich vor. Locker reiht sie autobiografische Details, persönliche Erlebnisse und private Gespräche zu einer unterhaltsamen Szenenfolge aneinander und fügt Passagen mit theoretischen Betrachtungen hinzu. Das liest sich dann sehr flott, weist aber keine schlüssige inhaltliche Struktur auf. Oft auch schreibt die Autorin verallgemeinernd - nicht selten nah am Vorurteil. Etwa in einem Kapitel über muslimische Zuwanderer, die in Deutschland nicht heimisch geworden sind. Deutschland bedeute ihnen gar nichts, weder seine Kultur noch seine Geschichte noch seine Landschaften, behauptet Necla Kelek. Zitat:

    Sie sind hier, weil ihnen dieses Land soziale und rechtliche Sicherheiten bietet, weil sie hier ein nahezu kostenloses Gesundheitssystem nutzen können, weil sie hier mit ihrer vielköpfigen Familie Anspruch auf eine materielle Grundversorgung haben, ihre Kinder Lehrmittelfreiheit in der Schule genießen, und die Religionsfreiheit ihnen ermöglicht, 'dem Islam zu gehorchen'.
    Empörend findet es die Autorin, dass manche Muslime die Gesellschaft, die ihnen ein solches Leben ermöglicht, dann obendrein auch noch verachten. Necla Kelek versichert jedoch, es gehe ihr nicht darum, alle Muslime gleichermaßen in Misskredit zu bringen.

    "Ich vergleiche Islam als System mit irgendeiner Diktatur. Und in jeder Diktatur gibt es freundliche Menschen aber auch andere, die diese Diktatur verteidigen. Ich möchte niemanden, keinen Moslem verletzen, aber solange sie sich nicht einfach nur dem Glauben widmen, möchte ich das System kritisieren."
    Wie aber ein von der Scharia oder vom starren Regelwerk der Hadithen befreiter, rein spiritueller muslimischer Glaube aussehen könnte, darüber erfährt man in Necla Keleks Buch nichts. Und so bleibt nach der Lektüre der "Himmelsreise" ein zwiespältiger Eindruck zurück. Auf der positiven Waagschale liegen Einblicke in die Welt der Muslime, die nur jemand mitteilen kann, der ihre Sprache und Kultur tatsächlich versteht. Beeindruckend ist auch Necla Keleks Sensibilität gegenüber demokratiefeindlichen Phänomenen in muslimischen Milieus. Oder wie couragiert sie die Entscheidungsfreiheit des Individuums gegen die Orthodoxie islamischer Alltagsvorschriften verteidigt.
    Auf der negativen Waagschale jedoch liegt die Neigung der Autorin, einzelne Beobachtungen zu verallgemeinern und offenbar davon auszugehen, dass Ideologie und Leben deckungsgleich sind. Auch gleitet Necla Keleks Tonart manchmal ins Gehässige ab. Da ist dann bisweilen der Zungenschlag einer Eiferin zu hören. Und der wird niemanden überzeugen - am wenigsten die Eiferer aus dem islamistischen Lager.

    Zu den positiven und negativen Aspekten der "Himmelsreise" war das unsere Rezensentin Dorothea Jung. Necla Kelek hat das Buch geschrieben, erschienen ist es bei Kiepenheuer und Witsch, mit 266 Seiten. Es kostet 18,95 Euro, ISBN: 978-3462041972.