"Diversity United"-Ausstellung im Flughafen Tempelhof

Vereinte Vielfalt

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"Antarctic Village" ohne Grenzen als Teil der Ausstellung "Diversity United" im Tempelhofer Flughafen in Berlin.
Lucy und Jorge Ortas "Antarctic Village. No borders", zu sehen in der Ausstellung "Diversity United". © Stiftung für Kunst und Kultur, Bonn / Silke Briel
Von Simone Reber · 08.06.2021
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Der ehemalige Flughafen Berlin-Tempelhof wird zur temporären Kunsthalle: Rund 90 Künstlerinnen und Künstler aus 34 Ländern werden in der Ausstellung „Diversity United“ gezeigt. Sie stehen für die Vielfalt der zeitgenössischen europäischen Kunstszene.
Eine samtig schwarze Schicht von Holzkohle liegt auf der filigranen Schmiedearbeit in Form von zwei Schmetterlingsflügeln. Daneben eine schwere Kette mit geöffnetem Schloss. Der Künstler Petrit Halilaj aus dem Kosovo hat den Hochzeitsschmuck seiner Mutter um das Hundertfache vergrößert und mit den verkohlten Resten seines kriegszerstörten Elternhauses bestäubt.
Die Arbeit, sagt Petrit Halilaj, sei ein Dank an seine Mutter, weil sie vor der Flucht 1999 neben ihrem Schmuck auch die frühen Zeichnungen ihres Sohnes vergraben hatte: "Als wir nach dem Krieg zurückkamen, war das Haus niedergebrannt. Wir haben praktisch nichts mehr gefunden. Aber meine Mutter erinnerte sich an die Verstecke, sie besitzt diesen Schmuck bis heute. Und ich war völlig überrascht, weil sie auch einige Zeichnungen von mir gerettet hat."
Petrit Halilaj war dreizehn Jahre alt, als er mit seiner Familie vor dem Kosovo-Krieg fliehen musste. In dem monumentalen Hangar des Tempelhofer Flughafens macht seine Installation sichtbar, wie lebendig die Erinnerungen an die jüngsten Konflikte in Europa noch sind.
"Aber", sagt der Künstler, "mich zieht die Idee an, eine traurige Geschichte in etwas anderes zu verwandeln. Und indem ich den Schmuck hierherbringe, schwächt das die dunklen Erfahrungen der Vergangenheit und stärkt die Zukunft."

Erst kam Corona dazwischen, dann Putin

Ursprünglich war als Startpunkt für diese Ausstellung die Tretjakow Galerie in Moskau geplant, dann als weitere Stationen Berlin und Paris. Erst kam Corona dazwischen, dann Putin: Zu den Kooperationspartnern gehört auch der Petersburger Dialog, ein Forum zur Stärkung der Zivilgesellschaft, aber wohl auch der wirtschaftlichen Kontakte. Jetzt hat Russland drei deutsche NGOs verboten, zwei davon gehören dem Petersburger Dialog an.
"Und wir können uns daher nicht vorstellen, die Ausstellung zu eröffnen, wo wir verboten sind", sagt Walter Smerling, der Vorsitzende des Vereins Stiftung Kunst und Kultur Bonn. "Wir sind Teil des Petersburger Dialogs und da müssen wir jetzt erneut diskutieren. Ich hoffe auf die Wirkungsmacht der Kunst, die helfen soll, einzulenken vonseiten der Russen, die Verbote aufzuheben. Denn Diversity United bedeutet auch Freiheit der Kunst und offenen Dialog."
Auch der Standort Paris steht inzwischen nicht mehr fest. Der Katalog nennt jetzt nur noch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Schirmherrn. Allerdings wirkt die Konstruktion der Public-private-Partnership auch heikel. Zum wenig heterogenen Projektbeirat gehören erfahrene Netzwerker aus Industrie und Kommunikationsbranche. Hauptsponsor ist der Unternehmer Lars Windhorst.
Die herausragende Kunst aber bleibt von Zweifeln und Drohgebärden unberührt. Ekaterina Muromtseva hat in lebensgroßen roten Aquarellen Menschen abgebildet, die in den Straßen von Moskau mit einem Schild nach ihren verschwundenen Angehörigen suchen.

Europa ist nicht der Nabel der Welt

Die Künstlergruppe Slavs&Tartars reagiert mit Sarkasmus auf die Schleifen der Geschichte: "Es ist von höchster Wichtigkeit, dass wir unsere Fehler wiederholen, um künftigen Generationen das Ausmaß unserer Dummheit vor Augen zu führen." Das steht in Neonbuchstaben auf einer Wand, zwischen den Zeilen die arabische Übersetzung.
Defätismus ist ein Bestandteil des osteuropäischen Humors, sagt ein Sprecher des Kollektivs: "Dieser Defätismus ist wichtig als eine Form von Skepsis gegenüber großen Projekten – egal ob Kommunismus, Islamismus oder neo-liberaler Kapitalismus."
Am "Passport Office" des Künstlerpaares Lucy und Jorge Orta kann man die Grenzen von Europa überwinden. Hier gibt es Ausweise für alle. Über dem Schalter hängen Campingtöpfe und Rettungswesten: "Die Idee von dem Pass besteht darin, Bürgerinnen und Bürger hinter bestimmten gemeinsamen Werten zu vereinen. Das ist eine Gemeinschaft ohne Grenzen mit Menschen von überall auf der Welt."
Die Aktion erinnert daran, dass Europa nicht der Nabel der Welt ist. Die Probleme der Zukunft lassen sich nur grenzübergreifend lösen.

Die Ausstellung Diversity United im Flughafen Tempelhof, Hangar 2 und 3
Bis 19. September 2021

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