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Arbeitsrecht
"Viele Frauen sind in der Teilzeitfalle hängen geblieben"

Ein gesetzliches Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit - wie es Andrea Nahles (SPD) vorgeschlagen hat - solle vielen Frauen helfen, die in der sogenannten Teilzeitfalle feststeckten, sagte Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund im DLF. Das würde nicht zu mehr Bürokratie in den Unternehmen führen.

Annelie Buntenbach im Gespräch mit Sandra Schulz | 29.03.2017
    Annelie Buntenbach, Mitglied des DGB-Bundesvorstands, spricht in Hamburg auf einer Kundgebung.
    Über ein Drittel der Teilzeitbeschäftigten sagt, dass sie gerne länger arbeiten würden, so Annelie Buntenbach, Mitglied des DGB-Bundesvorstands. (picture-alliance / dpa / Markus Scholz)
    Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat sich dafür ausgesprochen, die Rückkehr in Vollzeit nach einer Teilzeitbeschäftigung gesetzlich zu verankern.
    Viele Frauen steckten in der Teilzeitfalle, sagte DGB-Vorstandsmitglied Buntenbach im Deutschlandfunk. Der Wunsch, in Vollzeit zurückzukehren, müsse ernst genommen werden. Wenn Betriebe dies gar nicht leisten könnten, werde das neue Gesetz laut Buntenbach niemanden zwingen.
    Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will das Recht auf zeitlich befristete Teilzeitarbeit für Betriebe ab 15 Mitarbeitern durchsetzen. Die Union kritisiert unter anderem, dass ein solcher Anspruch dem Mittelstand schaden würde. Allerdings hatten beide Seiten das Vorhaben im Koalitionsvertrag vereinbart. Die Pläne der Arbeitsministerin sollen am Mittwochabend Thema im Koalitionausschuss.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Allerspätestens nach der Wahl im Saarland, nach dem Aufgalopp ins Wahljahr 2017, da verschwimmen jetzt die Grenzen zwischen Sachpolitik und Wahlkampf. Die Zeit rennt, auch für Projekte, die die Große Koalition eigentlich schon vor dreieinhalb Jahren im Koalitionsvertrag verabredet hat. Dazu gehört auch der Plan, wonach Arbeitnehmer in Teilzeit es künftig leichter haben sollen, auf eine volle Stelle zurückzukehren, oder gleich auch nur befristet in Teilzeit zu gehen. Arbeitsministerin Nahles hat dazu Anfang des Jahres einen Gesetzentwurf vorgelegt.
    Kritik kam von den Arbeitgebern, auch der Union waren die Belastungen für die Unternehmen zu hoch, und es passierte erst mal gar nichts. Darum will die SPD das Thema heute im Koalitionsausschuss vorantreiben. Es dürfte eine der letzten Chancen überhaupt sein in dieser Legislaturperiode, und darüber können wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich Annelie Buntenbach, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Schönen guten Morgen.
    Annelie Buntenbach: Guten Morgen, Frau Schulz.
    "Viele Frauen sind genau in dieser Teilzeitfalle hängen geblieben"
    Schulz: Sie haben die Pläne von Andrea Nahles ja unterstützt. Warum immer neue Bürokratie für die Unternehmen?
    Buntenbach: Hier geht es nicht um neue Bürokratie für die Unternehmen, sondern worum es geht ist, dass viele, die in Teilzeit gehen, dann darin feststecken bleiben. Das heißt, es gibt ja immer mal familiäre Situationen oder andere Gründe, warum man seine Arbeitszeit reduzieren möchte. Aber wenn man dann nachher da feststeckt, weil man aus dieser Teilzeitfalle gar nicht erst wieder rauskommt, überlegt man sich das natürlich dreimal. Viele Frauen sind genau in dieser Teilzeitfalle hängen geblieben und deshalb möchten wir, dass die bessere Möglichkeiten haben, in Zukunft dann auch wieder in größeres Arbeitsvolumen, also Vollzeit oder vollzeitnah zu kommen, weil ihre Situation sich dann geändert hat und damit auch ihre Arbeitszeitwünsche ja andere geworden sind.
    Schulz: Aber kann man das so klein reden mit den Belastungen, die auf die Unternehmen zukommen? Wenn wir zum Beispiel einen Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin haben, die geht auf 70 Prozent und sagt, na ja, aber in einem Jahr, da komme ich dann wieder. Wenn das ein qualifizierter Job ist, dann braucht das Unternehmen, der Arbeitgeber einen qualifizierten Mitarbeiter, befristet auf ein Jahr für 30 Prozent. Wo oder wie sollen solche Kräfte zu finden sein?
    Buntenbach: Es ist ja heute schon so, dass Teilzeitarbeit sehr verbreitet ist, gerade auch in kleineren Betrieben, und in der Regel es auch zum Beispiel Teilzeitkräfte gibt im Betrieb, oder andere Fachkräfte, die hier vielleicht auch aufstocken wollen. Und wenn es gar nicht geht, dann wird ja auch das neue Gesetz keinen Arbeitgeber dazu zwingen, das dann trotzdem umzusetzen, sondern hier ist klar, der Wunsch der Frau oder des Mannes, der hier wieder zurückkommen möchte in Vollzeit, muss wirklich ernst genommen werden.
    Hier liegt dann die Beweislast dafür, dass es nicht gehen würde, beim Arbeitgeber. Ich glaube, hier geht sehr viel, hier wird ja auch schon sehr viel möglich gemacht, auch bei Elternzeit oder den Rechten, die es heute schon gibt. Hier geht es darum, diese Möglichkeit auszuweiten, weil dann auch Fachkräfte ja wieder zur Verfügung stehen, die vorher vielleicht mit weniger Stunden gearbeitet haben. Auch das ist ja ein Vorteil, den die Arbeitgeber haben.
    "Ein Viertel sagt, dass sie nur deshalb in Teilzeit sind, weil sie keine Beschäftigung in Vollzeit gefunden haben"
    Schulz: Sie haben jetzt gerade gesprochen von der Teilzeitfalle. Es war ja nun über Jahre so, dass die Teilzeit ausgebaut wurde, dass das politisch gewünscht war. Jetzt sind die Teilzeitbeschäftigungen ganz erheblich angewachsen und das ist jetzt auch wieder nicht recht. Warum?
    Buntenbach: Das ist deshalb nicht recht, weil wenn man die Beschäftigten fragt, ob sie denn in dieser Form arbeiten möchten, oder ob sie lieber länger arbeiten würden, dann sagt über ein Drittel bei den Teilzeitbeschäftigten, dass sie gerne länger arbeiten würden, und ein Viertel sagt, dass sie nur deshalb in Teilzeit sind, weil sie keine Beschäftigung in Vollzeit gefunden haben.
    Schulz: Da bin ich jetzt ganz erstaunt über die Zahlen, die Sie zitieren. Ich habe nämlich Zahlen gefunden vom Statistischen Bundesamt aus dem vergangenen Jahr, und da sind knapp 90 Prozent der Frauen absolut zufrieden mit ihrem Arbeitspensum. Sollen da die Leute jetzt wieder weiter erzogen werden?
    Buntenbach: Nein, da geht es nicht um Erziehung, sondern das, was ich jetzt zitiert habe an Zahlen, das sind die Angaben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit, die im Jahr 2016 einen Arbeitszeitreport vorgelegt hat, wo sie genau gefragt hat, wie sieht es denn aus, wie zufrieden sind Sie denn mit Ihrer Arbeitszeit, würden Sie gerne reduzieren, oder möchten Sie gerne länger arbeiten, und da war das dann das Ergebnis. Es gibt natürlich eine ganze Reihe von unterschiedlichen Befragungen, aber viele, die uns vorliegen, sagen, dass hier die Menschen nicht glücklich sind mit ihrer Arbeitszeit und das gerne verändern würden. Besonders auffällig ist, dass viele, die in Teilzeit gegangen sind, dann da keine Möglichkeit haben, wieder hochzukommen.
    Schulz: Umgekehrt ist es natürlich auch so, dass die Teilzeit oft ein Jobmotor ist, dass Frauen inzwischen, die vorher vielleicht gar keinen Job gehabt hätten, an der Erwerbsarbeit teilnehmen, auch durch Teilzeitjobs. Wird da die Teilzeit nicht schlecht geredet, so wie wir sie haben?
    Buntenbach: Nein, das wird sie nicht, sondern was wir brauchen ist ja genau eine Flexibilität, die es auch möglich macht, Teilzeit überhaupt wahrzunehmen, das heißt, auch aus Vollzeit mal in Teilzeit zu gehen. Dass es so wenig Männer gibt, die im Moment Teilzeit arbeiten, das hat ja auch den Grund, dass die vielleicht gerne eine Weile oder auch über eine begrenzte Zeit ihre familiären Pflichten durchaus ernster nehmen würden und sich auch um die Kinder zum Beispiel kümmern würden, oder auch Angehörige pflegen, aber dann nicht sicher sein können, ob sie dann nachher in Vollzeit wieder zurückkommen, das heißt die Entscheidung für eine partnerschaftliche Teilung der Arbeit schon gar nicht erst fällt. Deshalb geht es nicht darum, Teilzeit schlecht zu reden, sondern es geht darum, mehr Flexibilität zu schaffen, damit man sich für Teilzeit entscheiden kann, aber dann auch wieder für Vollzeit. Dieses Recht, diese Entscheidungsmöglichkeit, das ist die, die wir brauchen.
    Buntenbach: Hoffe, dass das Gesetzgebungsverfahren jetzt wirklich auf den Weg kommt
    Schulz: Und was ist Ihre Erwartung? Kriegt die Große Koalition das jetzt noch unter Dach und Fach in dieser Legislaturperiode, vor der Wahl?
    Buntenbach: Das ist ganz dringend nötig und ich hoffe sehr, dass da nicht nur heute Abend beim Koalitionsgipfel eine entsprechende Einigung herauskommt, sondern dass das Gesetzgebungsverfahren jetzt wirklich auf den Weg kommt. Die Zeit läuft ja weg und es ist wirklich, wenn man sich den Arbeitsmarkt anschaut, dringend nötig, dass wir hier mehr Flexibilität haben, aber damit auch mehr Rechtsansprüche für die Beschäftigten.
    Schulz: DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank für das Interview.
    Buntenbach: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.