Albtraum im Tanzsaal

Schwere Vorwürfe gegen Wiener Ballettakademie

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Das Foto zeigt ein paar helle Ballettschuhe, die etwas zerdrückt auf dem Boden eines Ballettsaals liegen.
An vielen Ballettschulen werden die jungen Tänzer hart gedrillt. In Wien kam es laut Wochenzeitung "Falter" jedoch zu seelischen wie körperlichen Misshandlungen. © imago/ Mareike Knoke
Von Andrea Beer · 10.04.2019
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Viele Kinder träumen vom Ballett. Doch an der Ballettakademie der Wiener Staatsoper wurde aus dem Traum vom schwerelosen Tanz auf der Opernbühne der Horror: Seelische wie körperliche Misshandlungen standen dort offenbar auf der Tagesordnung.
Der Traum vom Tanzen – er ist an der renommierten Ballettakademie der Wiener Staatsoper für einige Mädchen und Jungen zum Albtraum geworden. Von einer Lehrerin wurden sie seelisch und körperlich misshandelt und verbal gedemütigt. Sie wurden systematisch verunsichert und schikaniert und zum Hungern gezwungen.
Auch diese ehemalige Schülerin der Ballettakademie litt unter solch drastischen Methoden der Lehrerin Bella R. Sie erzählt anonym:
"Die Schüler wurden geschlagen, gekratzt bis zum Bluten, an den Haaren gezogen. Ein Mädchen ist mal mit einem Haarbüschel rausgekommen aus dem Unterricht. Ich selber wurde am Knöchel getreten von der Lehrerin, während ich auf den Spitzenschuhen stand."

Schülerinnen erzählen von ihren Qualen

Die Wiener Wochenzeitung "Falter" hat die Vorwürfe aufgedeckt. Chefredakteur Florian Klenk:
"Seit 2011 wissen die Verantwortlichen über diese Zustände Bescheid. Diese Lehrerin, die hauptverantwortlich war, wurde schon einmal gefeuert, sie ist wiedereingestellt worden, und diesen Missstand, den muss die Staatsoper ganz schnell in Ordnung bringen."
Weitere Schülerinnen erzählen im "Falter" ebenfalls anonym von ihren Qualen. Sie hätten nicht aufgewärmt tanzen müssen und sich Verletzungen durch Überlastung zugezogen. Mindestens ein Schüler der Ballettakademie soll einem sexualisierten Übergriff durch einen vor ihm onanierenden Lehrer ausgesetzt gewesen sein. Dieser Lehrer wurde inzwischen freigestellt, die Untersuchungen laufen
Die Kanadierin Sharon Booth hat bis 2017 an der Tanzschule unterrichtet. Den Schülern dort werde ein problematisches Körperbild vermittelt, erzählt sie:
"Sie wurden angewiesen, nur sehr wenig zu essen. Eine Kiwi und ein bisschen Wasser oder ein Stück Brot pro Tag sind genug."

Abgemagert auf 37 Kilo

Daraus folgende Ess-Störungen zeigten ihre unheilvolle Wirkung: Schülerinnen und Schüler, die das Ballett liebten, wurden zu angsterfüllten Kindern gemacht, so Sharon Booth. Eine junge Japanerin habe nur noch 37 Kilogramm gewogen, bei einer Größe von 1,72 Meter.
"In meiner Klasse habe ich sie auf Gymnastikmatten gesetzt. Sie war so knochig, dass sie sogar beim Sitzen Schmerzen hatte. Auch auf Nachfrage hat sie keine Hilfe bekommen, die Lehrer wollten abwarten. Als sie zu krank war, um zu tanzen, haben sie sie nach Japan zurückgeschickt, um dort eine Therapie zu machen."
Sie habe die Missstände an die geschäftsführende Direktorin der Ballettakademie, Simone Noja, gemeldet, berichtet eine Schülerin namens Anne-Marie. Das habe aber nichts gebracht. Simone Noja erklärte im "Falter", sie habe stets auf Kritik reagiert. Sie habe sich um Essstörungen von Kindern gekümmert und die Eltern kontaktiert.
Nojas Vertrag läuft noch bis 2020 und Operndirektor Dominique Meyer stellte sich im ORF hinter sie. Die Lehrerin Bella R. sei vor zwei Jahren das erste Mal mündlich verwarnt worden, so Meyer:
"In der Hoffnung, dass sie ihr Benehmen verbessert. Dann haben wir eine zweite Verwarnung gemacht, schriftlich diesmal. Und jetzt vor ein paar Monaten haben wir erfahren, dass es wieder nicht geht, und dann haben wir sie einfach gekündigt."

Vorwürfe sind seit Jahren bekannt

Die Vorwürfe gegen die Lehrerin Bella stehen allerdings schon länger als zwei Jahre im Raum. Darauf angesprochen, sagte Meyer: "Die Frage ist in meinem Kopf ständig und ich mache mir selber Vorwürfe, ich hätte das vielleicht viel schneller machen müssen."
Seit Januar läuft eine Beschwerde der Kinder- und Jugendstaatsanwaltschaft mit einer langen Liste an Mängeln. Die Oper arbeite seit Dezember letzten Jahres mit dieser sehr gut zusammen, sagte Meyer dazu: "Wir wollen eine komplette Aufklärung von der ganzen Situation haben." Gemeinsam erarbeite man ein Kinderschutzkonzept, an dem auch Kinderschutzorganisationen wie die "Möwe" beteiligt seien.
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