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Nahles: Wulff "schadet insgesamt der politischen Klasse"

Ein Bundespräsident, der chronisch das Problem habe, "die volle Wahrheit auf den Tisch zu packen", das gehe nicht, sagt SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Wulffs Verhalten trägt aus ihrer Sicht zur Politikverdrossenheit bei. Der Bundespräsident habe jetzt "keinen Schuss mehr frei".

Das Gespräch führte Friedbert Meurer | 05.01.2012
    Friedbert Meurer: Bundespräsident Christian Wulff hat gestern wahrscheinlich das wichtigste Interview seines Lebens überhaupt und seiner Amtszeit gegeben. Er gibt darin Fehler zu. Er sei halt auch nur ein Mensch, sagt Wulff. Und der Bundespräsident gewährte auch kurz Einblick in sein Seelenleben, als er zum Beispiel über die anzüglichen Kommentare im Internet gegen seine Frau spricht. Christian Wulff geht aber auch durchaus in die Offensive.

    O-Ton Christian Wulff: "Wenn man als Ministerpräsident keine Freunde mehr haben darf und wenn alle Politikerinnen und Politiker in Deutschland ab sofort nicht mehr bei Freunden übernachten dürfen, sondern, wenn sie bei den Freunden im Gästezimmer übernachten, nach einer Rechnung verlangen müssen, dann verändert sich die Republik zum Negativen. Davon bin ich fest überzeugt und deswegen stehe ich zu diesen sechs Urlauben."

    Meurer: Christian Wulff. Eine Passage in dem Interview gestern dürfte noch eine Rolle spielen, denn der Bundespräsident begründet, warum er Bild-Chefredakteur Kai Diekmann angerufen hat. Und dessen Stellvertreter Nikolaus Blome hat gestern sofort nach dem Interview hier bei uns im Deutschlandfunk gekontert.

    O-Ton Christian Wulff: "Vielleicht muss man die Situation auch menschlich verstehen, wenn man im Ausland ist, in vier Ländern in fünf Tagen, zehn Termine am Tag hat und erfährt, dass Dinge während dieser Zeit in Deutschland veröffentlicht werden sollen, wo man mit Unwahrheit in Verbindung gebracht wird, wo man also Vertrauensverlust erleidet. Und ich habe dann gebeten, um einen Tag zu verschieben die Veröffentlichung, damit man darüber reden kann, damit sie sachgemäß ausgefallen kann. Trotzdem: das ist keine Entschuldigung, das ist auch keine ausreichende Erklärung, aber vielleicht der Impuls, der dazu geführt hat. Das wiederum ist menschlich, aber man muss eben als Bundespräsident die Dinge so im Griff haben, dass einem das eben nicht passiert. Und trotzdem ist man Mensch und man macht Fehler."

    O-Ton Nikolaus Blome: "Den Satz von Herrn Bundespräsident Wulff, ich wollte die Berichterstattung nicht verhindern, das haben wir damals deutlich anders wahrgenommen. Es war ein Anruf, der ganz klar das Ziel hatte, diese Berichterstattung zu unterbinden. Und wenn Sie das jetzt als Drohung bezeichnen, das ist vielleicht eine Geschmacksfrage. Aber klar war das Ziel dieses Anrufes, die Absicht und das Motiv, diesen ersten Breaking-Bericht über die Finanzierung seines privaten Hauses zu unterbinden."

    Meurer: Nikolaus Blome zum Interview des Bundespräsidenten. Blome ist Leiter des Hauptstadtbüros der Bildzeitung in Berlin. – Am Telefon begrüße ich die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Guten Morgen, Frau Nahles.

    Andrea Nahles: Guten Morgen.

    Meurer: Wenn wir diese zwei Varianten gegenüberstellen – der Bundespräsident sagt, ich habe nicht die Berichterstattung verhindern wollen -, steht da jetzt Aussage gegen Aussage?

    Nahles: Da scheint auf jeden Fall Klärungsbedarf zu sein. Er hat ja nicht mir auf die Mailbox gesprochen. Ich möchte hinzufügen, Gott sei Dank. Aber das heißt, ich kann das jetzt auch nicht entscheiden, welche Variante jetzt die richtige ist. Nur ein Bundespräsident, der chronisch ein Problem hat, alles auf den Tisch zu packen, die volle Wahrheit auf den Tisch zu packen, das geht natürlich nicht.

    Meurer: Der Bundespräsident sagt in dem Interview, Leute, ich war im Stress, ich war auf dem Weg zum Emir in Katar, zehn Termine pro Tag, fünfmal hintereinander, ist das dann eine Stresssituation, bei der man doch sagen kann, da kann einem auch mal ein Wutausbruch durchflutschen?

    Nahles: Ja, das kann ich verstehen – menschlich. Es ist allerdings hier doch zu fragen, ob das dann auch noch begründet ist, wenn er dann nicht nur den Chefredakteur der Bildzeitung anruft, sondern auch noch Herrn Döpfner und möglicherweise Frau Springer. Das alles deutet darauf hin, dass es ja nicht nur ein emotionaler spontaner Wutausbruch war, sondern dass er wirklich da massiv Druck ausgeübt hat. Zum Zweiten muss ich auch sagen, er ist kein Politikanfänger. Sicher ist er zwei Jahre oder erst kürzere Zeit im Amt des Bundespräsidenten, aber er ist doch seit vielen Jahren in der Politik und wir sind alle immer wieder in Stresssituationen, wir müssen damit umgehen lernen. Jedenfalls erwarte ich das von einem Bundespräsidenten. Er hat nicht besonnen agiert, er war nicht souverän, und das ist nicht gut.

    Meurer: Ist Ihnen das, Frau Nahles, auch schon mal passiert? Haben Sie schon mal einen Chefredakteur, Intendanten angerufen, sich beschwert, gesagt, lasst das bleiben?

    Nahles: Nein!

    Meurer: Kein Anruf, sich beschwert?

    Nahles: Nein! Ich halte das nicht für klug. Es gab mal eine Situation, wo ich einen Medienanwalt eingeschaltet habe, weil ein Bericht einfach falsch war. Aber das ist ein Weg, der eben auch dem Bundespräsidenten zur Verfügung gestanden hätte, sich da professionell zu verhalten. Man hat auch schon mal im Nachhinein im lockeren Gespräch mit den Journalisten gesagt, na was hast du denn da wieder geschrieben, aber so in dem Stil, letztendlich ganz normales Geschäft. Das, was Christian Wulff hier gemacht hat, ist nicht mehr unter der Rubrik normales Geschäft zu verstehen. Dafür hat er sich ja auch gestern entschuldigt, das möchte ich auch ausdrücklich sagen, das hat er ja auch gemacht. Bei aller Selbstkritik hat er sich gleichzeitig aber auch als Opfer einer Medienkampagne dargestellt. Das passte für mich dann auch nicht richtig zusammen. Es ist eben die Frage, ist es jetzt wirklich ein Fehler von ihm gewesen, oder sind jetzt die Medien schuld. Da schien er mir nicht ganz klar zu sein gestern Abend.

    Meurer: Nach dem Interview jetzt, wie soll das weitergehen?

    Nahles: Also ich bin der Meinung, es darf jetzt nichts mehr nachkommen. Es muss auch diese Frage mit der Bildzeitung noch mal geklärt werden. Im übrigen hat Christian Wulff das Amt des Bundespräsidenten geschrumpft, das ist schlecht. Ich frage mich halt, wie er die moralische Autorität wieder aufbauen will. Er hat das ja angekündigt, eine Maßnahme angekündigt, nämlich Transparenz. Das ist sicherlich nur eine Möglichkeit, die er auch nutzen muss. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie er das schaffen will. Ich sehe das Amt wirklich nachhaltig beschädigt und ich kann nur sagen, dass wir einen Bundespräsidenten brauchen, der eben auch moralische Autorität hat. Das ist nämlich seine wichtigste Aufgabe. Und das sehe ich momentan nicht mehr.

    Meurer: Ihr Parteivorsitzender Sigmar Gabriel hat vor Weihnachten gesagt, ich zitiere mal, niemand kann sich wünschen, dass innerhalb von zwei Jahren der zweite Bundespräsident zurücktritt, damit würde das Vertrauen in die demokratischen Institutionen schwer beschädigt. Warum erklären Sie trotzdem jetzt die politische Schonfrist für Christian Wulff für beendet?

    Nahles: Nun, es ist ja seither Einiges passiert. Zum Beispiel die Ereignisse um diese Telefonanrufe waren ja vor Weihnachten gar nicht bekannt. Es ging ja erst mal nur um Geld, das er sich von einem väterlichen Freund, wie er es nennt, geliehen hat. Dann kam dieser vergünstigte Kredit heraus. Dann kommen jetzt diese Anrufe. Also es kommt ja immer wieder was nach und insgesamt hat man den Eindruck, der Mann hat es nicht im Griff, und irgendwann stellt sich dann die Frage, kann er es denn dann auch wirklich. Ich sage mal, er hat andererseits sich entschuldigt, jetzt mehrfach; er hat aber auch keinen Schuss mehr frei und von daher ist aus unserer Sicht niemand daran interessiert, leichtfertig mit den Ämtern an der Spitze unseres Staates umzugehen. Das halte ich auch für nicht zielführend. Aber diese Ämter haben auch eine eigene Würde, und wenn die nachhaltig verletzt wird durch die Amtsinhaber, dann stellen sich halt neue Fragen.

    Meurer: Die Bevölkerung ist in der Frage, ob Wulff zurücktreten soll, Frau Nahles, gespalten. Das zeigen Umfragen von Forsa oder auch gestern Abend von Infratest. Was entgegnen Sie denjenigen Bürgern, die sagen, zeigt mir doch mal den Politiker, der hundertprozentig sauber ist?

    Nahles: Da kann ich Ihnen eine ganze Adresskartei mal zukommen lassen, weil ich finde, dieser Generalverdacht gegenüber der Politik, das ist genau das, was mich daran ärgert, dass er eben auch den Eindruck erweckt, na ja, machen wir doch alle. Nein! Es ist nicht üblich, dass man sich jedes Jahr von irgendwelchen Unternehmerfreunden einladen lässt und dann auf deren Kosten Urlaub macht. Mit Verlaub: Ich habe das noch nicht gemacht und zig andere Politiker, also überhaupt die Mehrheit, die ich kenne, machen so was auch nicht, und zwar, weil es eben Fragen aufwirft, Gefälligkeiten auslöst und jedenfalls nicht in Ordnung ist.

    Meurer: Aber Johannes Rau hat's gemacht. Er hat auch private Flüge von der WestLB bezahlt bekommen. Ist das ganz anders?

    Nahles: Es gibt immer Grenzfälle und es ist niemand fehlerfrei. Da hat Herr Wulff übrigens auch recht. Aber es ist hier ja eine Serie von Fehlverhalten, die darauf deuten lässt, dass er sein Amtsverständnis als Ministerpräsident schon nicht im Griff hatte und nicht sauber sortiert für sich hatte und das eben als Bundespräsident fortgeführt hat. Er hat sich auch als Bundespräsident dann wieder einladen lassen. Also da, muss ich ganz ehrlich sagen, ist für mich doch eine Grenze erreicht, und es schadet insgesamt der politischen Klasse. Es bestätigt wieder Vorurteile, die die meisten Politiker, die ich kenne, nicht im Mindesten rechtfertigen, dieses Misstrauen, und das ist schade, weil es eben doch wieder zu Politikverdrossenheit beiträgt. Eigentlich erwarte ich vom Bundespräsidenten, dass er gegen Politikverdrossenheit steht, dass er für unsere Demokratie und ihre Institutionen und auch Akteure in diesem Land wirbt, positiv wirbt, und das ist eben jetzt hier nicht der Fall.

    Meurer: Die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles bei uns im Deutschlandfunk heute Morgen im Interview. Frau Nahles, danke und auf Wiederhören.

    Nahles: Vielen Dank. Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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