Dienstag, 23. April 2024

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Ausstellung über Architekturstil Brutalismus
Radikale Formen

Der Baustil "Brutalismus" erlebt derzeit ein Revival: Im Netz und in den Museen ist die Architektur der 60er ein Renner. Und auch eine Ausstellung im Dortmund zeigt künstlerische Werke rund um das Bauen in Beton. Im Fokus stünden dabei auch die gesellschaftpolitischen Ideen, die in der Architektur ausprobiert wurden, sagte Kuratorin Inke Arns im DLF.

Kuratorin Inke Arns im Corsogespräch mit Adalbert Siniawski | 06.04.2017
    "Blocked Delivery II", Evol, 2017. Teil der Ausstellung "Gesellschaft zur Wertschätzung des Brutalismus / The Brutalism Appreciation Society" vom 08.04. - 24.09.2017 im HMKV im Dortmunder U
    „Blocked Delivery II“, Evol, 2017. Teil der Ausstellung „Gesellschaft zur Wertschätzung des Brutalismus / The Brutalism Appreciation Society“ vom 08.04. - 24.09.2017 im HMKV im Dortmunder U (Evol / VG Bild-Kunst, Bonn 2017)
    Adalbert Siniawski: Beton, Beton und noch einmal Beton: Wie sperrige Klötze sehen sie oft aus – Gebäude aus den 60ern. Siehe Bochumer Universität, siehe Kirchenbauten des Architekten Gottfried Böhm. Doch der zwischenzeitlich verschmähte und verschmutzte Baustil Brutalismus erlebt ein Revival: Zeitgenössische Planer wie Arnold Brandlhuber spielen mit dem Sichtbeton. Und im Internet versucht eine Fangemeinde, an die alten Schätze zu erinnern.
    The Brutalism Appreciation Society zum Beispiel, also: die Gesellschaft zur Wertschätzung des Brutalismus. Mit Facebook-Diskussionen und Bildern, die weltweit geteilt werden. Ab Samstag bis Ende September zeigt nun der Hartware Medienkunst Verein im Dortmunder U Skulpturen, Fotos, Videos, Klangkunst und Streetart unter gleichnamigen Titel. Kuratorin Inke Arns erzählt im Corsogespräch, was die Künstler aus den Klötzen machen und wie der Brutalismus-Hype zu erklären ist. Was interessiert Sie als Kuratorin an der Brutalism Appreciation Society?
    Inke Arns: Na, ich finde es schon faszinierend, dass die sich 2007 gegründet haben, die gibt es seit zehn Jahren und das fällt eben genau zusammen mit dem Zerbröseln des Brutalismus. Jetzt, wo die sogenannten Betonmonster aus den Städten verschwinden, weil eben das sehr radikale Architektur war, beginnen sich eben Leute im Internet zu finden - das sind inzwischen schon 50.000 Mitglieder, die diese Gruppe hat. Und ich finde das als Phänomen sehr interessant, dass die versuchen, so eine Art weltweites Mapping zu machen, indem sie sich Bilder zuschicken.
    Siniawski: Ihre Idee also die Facebook-Initiative beziehunsweise den Brutalismus auch im Ausstellungsraum zu konservieren?
    Arns: Naja, Anlass war wirklich diese Facebook-Gruppe. Es geht aber in der Ausstellung selber nicht um die Facebook-Gruppe, sondern es sind 21 künstlerische Beiträge, die sich enger oder weiter entfernt mit Brutalismus beschäftigen.
    "Brutalismus war nie nur ein Baustil"
    Siniawski: Zum Beispiel, wenn wir eins herausgreifen, das Werk von Tore Rinkveld alias Evol: mehrere Euro-Paletten, die akkurat auf dem Boden angeordnet sind, auf jeder Palette steht dann ein Miniaturplattenbau aus vielen kleinen Würfeln zusammengesetzt, die so bauklötzchenartig verschränkt sind. Ein Sinnbild für die modulare, schnelle und demokratische Bauweise damals?
    Arns: Brutalismus war ja nie nur ein Baustil, sondern - das glaube ich, vergessen vielleicht auch viele soziale Medien, wo das eben so eine Art zeitgeistiges Phänomen geworden ist - das waren ja auch utopische Wohnformen oder gesellschaftspolitische Wohnformen, die da ausprobiert worden sind.
    Siniawski: Wohnmaschinen ... raumschiffartig, zum Teil.
    Arns: Wohnmaschinen. Genau, absolut. Die natürlich nicht immer funktioniert haben, das wissen wir auch alle. Und Evol ist eben einer der Künstler, der kommt aus der sogenannten Street-Art-Bewegung. Diese sozialistischen Plattenbauten, die der uns hier in die Austellung gestellt hat, das sieht so aus als hätte man die bestellt und nicht abgeholt: Auf Paletten, Baumaterial eigentlich, das er mit Schablonen besprüht hat und es sieht wirklich täuschend echt aus. Man hat das Gefühl, man geht wie so ein Riese durch eine Plattenbausiedlung.
    Siniawski: Häufig ist es genau umgekehrt: Man geht als kleiner Mensch durch die riesigen Häuser. Also, er dreht das um.
    Arns: In der Tat, ja.
    "Ist schon eine wilde Ausstellung"
    Siniawski: Was sagen denn die Arbeiten sonst noch über den Brutalismus aus?
    Arns: Die Arbeiten nehmen zum Beispiel den Brutalismus als Ausgangspunkt für Fiktionen. Es wird zum Beispiel von einem Künstler eine neue Hauptstadt eines neuen Kontinents entworfen im Stile des Brutalismus oder ein Künstler aus Berlin, der Philip Topolovac, der hat in Prag Lüftungsschächte von der U-Bahn, die ihm aufgefallen sind, die hat er fotografiert. Das sind so riesige Betonstrukturen mitten in der Stadt und dann hat er angefangen sich vorzustellen: Wie sieht denn das unterirdisch aus? Wie geht denn das da weiter? Und da sind dann auch so raumschiffartige Strukturen entstanden oder U-bootartige Strukturen. Ist schon eine wilde Ausstellung.
    Siniawski: Zu sehen in der Ausstellung "Gesellschaft zur Wertschätzung des Brutalismus". Aber wenn wir nochmal auf diese Netzkampagne kommen bei Facebook, da kann ja jeder Mitglied sein, nicht nur Architekten. Und einige der Bilder, wenn ich das richtig verstanden habe, sieht man auch in der Schau. Nicht alles, was dort gepostet wird, ist diesem Baustil zuzuschreiben, oder?
    Arns: In der Tat ist es so: Also die Gruppe ist ja in den letzten anderthalb Jahren wahnsinnig angewachsen. Die hatte vor anderthalb Jahren "nur" 25.000 Mitglieder und heute hat die schon 50.000 Mitglieder und proportional zum Anwachsen dieser Mitgliedschaft wird das teilweise so ein bisschen verwässert. Viele Leute posten einfach Architektur, die ihnen gefällt, was aber nicht unbedingt zum Brutalismus hinzuzurechnen ist.
    "Der aktuelle Hype hat wenig mit inhaltlicher Auseinandersetzung zu tun"
    Siniawski: Und man muss kritisch sagen, 50.000 Mitglieder, das ist weltweit gesehen auch nur eine ganz kleine Gruppe. Also wie groß ist der wirklich, dieser popkulturelle Hype?
    Arns: Der ist schon sichtbar. Ich glaube aber, dass dieser aktuelle Hype doch eigentlich wenig mit einer intensiven inhaltlichen Auseinandersetzung zu tun hat mit diesem Baustil, sondern es entspricht eher diesem Gefühl, da ist was, was sich intensiv mit Material identifiziert oder was nach schwerem Material aussieht. Das ist eben so eine Art Gegensatz vielleicht zur digitalen, ephemeren Welt, in der wir so leben.
    Siniawski: Was sich in dieser digitalen, ephemeren Welt aber gut verbreiten lässt, weil einfach starke Bilder dabei rauskommen.
    Arns: Ganz korrekt. Genau.
    Siniawski: Ist es vielleicht auch noch so ein bisschen Nostalgie?
    Arns: Ja, ich weiß nicht, ob es Nostalgie ist. Es ist sicher auch ein Element von Nostalgie da mit drin, es ist aber vor allen Dingen die Frage, was zählen wir heute zu unserem kulturellen Erbe. Sind es nur die Stadtschlösser, die wieder aufgebaut werden oder zählt nicht viel mehr zum kulturellen Erbe? Zählen nicht auch diese radikalen, architektonischen Formen, die sich da mal Leute getraut haben zu bauen, dazu? Und ich denke, dass einige dieser Gruppen schon Anstoß dazu geben, sich doch intensiver damit zu beschäftigen.
    Siniawski: Inke Arns, Kuratorin der Ausstellung "Gesellschaft zur Wertschätzung des Brutalismus" oder Englisch "The Brutalism Appreciation Society". Danke für das Gespräch.
    Arns: Dankeschön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.