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Nahost-Experte: Frachtmaschinen und Schiffe weitgehend ungesichert

Paketbomben, wie sie jetzt in Frachtflugzeugen gefunden wurden, sind ein neues Muster des Terrors. Nahost-Experte Michael Lüders sieht darin eine besorgniserregende Entwicklung: Das Scheitern des mutmaßlichen Terroranschlags habe man nicht der Wachsamkeit der US-Behörden zu verdanken, sondern dem Tipp der Saudis.

Michael Lüders im Gespräch mit Sandra Schulz | 30.10.2010
    Sandra Schulz: … in den kommenden Minuten im Gespräch mit dem Publizisten und Nahost-Fachmann Michael Lüders, er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!

    Michael Lüders: Schönen guten Morgen, Frau Schulz!

    Schulz: Herr Lüders, explosives Material in Frachtmaschinen – welchen Reim machen Sie sich darauf?

    Lüders: Die Informationen sind noch etwas widersprüchlich. Amerikanische Nachrichtensender berichten, dass es sich um fertige Bomben gehandelt hätte, adressiert an zwei Synagogen in Chicago, andere Berichte sprechen davon, dass dieses Bausätze gewesen seien, die erst in den USA angeblich hätten zusammengebastelt werden sollen. Das sind widersprüchliche Informationen.

    Man muss sich auch die Frage stellen, ob die Urheber dieser Pakete ernsthaft geglaubt hätten, dass jüdische Institutionen in den USA ein Paket aus dem Jemen ausgerechnet, dass sie nicht erwartet haben, öffnen würden. Es gibt die Überlegung, dass dieses möglicherweise nur ein Testlauf war, um zu sehen, ob amerikanische Behörden wachsam waren, und die Sicherheitskräfte nicht nur in den USA haben die Sorge, dass möglicherweise noch andere Pakete unterwegs sind und dieses nur ein Ablenkungsmanöver war.

    Schulz: Und das wäre dann auch ein neues Muster, denn Paketbomben, das wäre neu?

    Lüders: Paketbomben wären in der Tat neu, und das besorgniserregende an dieser Entwicklung ist, dass die mutmaßlichen Terroristen nun immer wieder sich als geschickt erweisen, um die Sicherheitsbehörden zu überlisten. Wir haben verschärfte Sicherheitsmaßnahmen an den Flughäfen weltweit, aber die Frachtmaschinen und auch die Transportwege über Schiffe sind weitgehend ungesichert.

    Und es ist auch in diesem Fall nicht der Wachsamkeit der amerikanischen Behörden, die ja sehr gut ausgestattet sind in Fragen der Terrorbekämpfung, zu verdanken, dass dieser Terroranschlag gescheitert ist, sondern es waren die Saudis, von denen der entscheidende Tipp kam. Erst nachdem der saudische Nachrichtendienst die Amerikaner benachrichtigt hatte, wurden die Amerikaner und auch die Briten aktiv, und sie haben dann diese beiden Pakete abgefangen.

    Schulz: Unterm Strich waren die Amerikaner aber rechtzeitig gewarnt. Ist es trotzdem eine Panne, weil der Hinweis aus Saudi-Arabien kommen musste?

    Lüders: Es wäre wahrscheinlich gar nicht anders gegangen, weil die Saudis über ein hervorragendes Nachrichtennetzwerk, über gut ausgebildete Agenten im Jemen verfügen. Das gilt nicht für die Amerikaner und auch nicht für andere westliche Staaten. Saudi-Arabien ist seit Jahren besorgt über die innenpolitische Entwicklung im Jemen. Der Jemen erlebt einen rapiden Staatszerfall, der Jemen ist das neue Hauptquartier von El Kadia nach Afghanistan und Pakistan, weil der Staat nicht in der Lage ist, das Land unter Kontrolle zu halten.

    Und die Saudis haben längst die Hoffnung aufgegeben, dass die jemenitische Regierung hier effizient den Terror bekämpfen könnte. Stattdessen entsenden sie eigene Agenten. Es leben auch Zehntausende Jemeniten in Saudi-Arabien. Kurzum: Die Saudis sind bestens informiert, und sie teilen natürlich gerne ihr Wissen mit den Amerikanern, weil Saudi-Arabien ja nun seinerseits sehr in der Kritik steht: Die Attentäter des 11. September 2001 kamen ja überwiegend aus Saudi-Arabien.

    Schulz: Wenn wir jetzt auf den Jemen schauen, es klingt genauso an, wie Sie es gerade schildern: Der jemenitische Präsident zeigt sich eher erstaunt, so melden es die Nachrichtenagenturen. Ist es denn vollkommen illusorisch, mit dem Jemen im Kampf gegen den Terror zusammenzuarbeiten?

    Lüders: Die jemenitischen Behörden arbeiten sehr eng mit den amerikanischen und anderen westlichen Behörden zusammen. Die jemenitische Regierung ist ja selbst immer wieder das Ziel terroristischer Anschläge von El Kaida geworden. Aber Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel hat dennoch seinen Sitz im Jemen unterhalten können. Der Staatszerfall ist das eine, und das andere sind ungelöste innenpolitische Probleme in diesem Land auf dem Süden der arabischen Halbinsel. Im Norden gibt es eine Aufstandsbewegung schiitischer Rebellen im Grenzgebiet direkt zu Saudi-Arabien, und im Süden gibt es eine Unabhängigkeitsbewegung.

    Der Jemen ist ja erst seit 1994 wieder ein vereintes Land, der Jemen war geteilt wie einst auch Deutschland, aber die Wiedervereinigung dort ist ganz anders verlaufen. Der Norden hat quasi den Süden okkupiert, alle südjemenitischen Führungspersönlichkeiten und alle führenden Wirtschaftsleute wurden aus ihren Posten entfernt, und die Clane aus dem Norden haben sich im Süden eingerichtet. Daraus ist eine große Unzufriedenheit entstanden, eine Widerstands- und Terrorbewegung gegen die Präsenz des Nordens im Süden, und diese Faktoren spielen alle miteinander zusammen. Hinzu kommt auch, dass Somalia gerade einen Steinwurf entfernt liegt, über die Pforte der Tränen, auf der anderen Seite, in Afrika. Zehntausende von somalischen Flüchtlingen haben sich in Jemen niedergelassen, und von Somalia infiltrieren sehr viele Terroristen den Jemen.
    Schulz: Der Publizist Michael Lüders heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank für diese ersten Einschätzungen!