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Nahost: Internationale Diplomatie setzt auf ägyptische Vermittlung

"Die Bemühungen im Augenblick konzentrieren sich auf Kairo", sagt der EU-Sonderbeauftragte für den Nahostkonflikt, Andreas Reinicke, über die diplomatische Gesprächsoffensive seitens der EU. Es gehe jetzt darum, dass der gegenseitige Beschuss zwischen Israel und Hamas aufhört. Doch letztlich müsse eine endgültige Lösung zur Beilegung des Konflikts gefunden werden.

Andreas Reinicke im Gespräch mit Silvia Engels | 20.11.2012
    Silvia Engels: Die radikal-islamische Hamas hat auch in dieser Nacht vom Gaza-Streifen aus Raketen in Richtung Israel abgefeuert. Die israelische Luftwaffe bombardierte wiederum gezielt Ziele im Gaza-Streifen. Zwei Menschen starben dabei nach palästinensischen Angaben. Viele internationale Akteure mahnen beide Seiten zur Mäßigung, aber noch hat das nicht viel Wirkung erzielt. Was kann die Europäische Union tun? Am Telefon ist Andreas Reinicke, bis Anfang 2012 war er deutscher Botschafter in Syrien und seit Februar ist er der Sonderbeauftragte der EU für den Nahost-Konflikt. Er unterstützt also die Arbeit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton speziell in dieser Region. Guten Morgen, Herr Reinicke.

    Andreas Reinicke: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Wie sehen Sie denn die Chancen derzeit, eine Waffenruhe zwischen den Konfliktparteien zu erreichen?

    Reinicke: Die Bemühungen im Augenblick konzentrieren sich auf Kairo. Sowohl der Generalsekretär der Vereinten Nationen ist gestern dort eingetroffen und wird weiterreisen nach Israel und in die palästinensischen Gebiete. Aber vor allen Dingen befinden sich dort auch zu unterschiedlichen Phasen Unterhändler aus Israel, von der Hamas und auch vom Islamic Dschihad und der Partei von Palästinenserpräsident Abbas, um dort eine Lösung herbeizuführen.

    Engels: Ist es denn der EU auch gelungen, Drähte zu der aktuellen ägyptischen Regierung aufzubauen?

    Reinicke: Die EU hat hier, ich glaube, in diesem Kontext einmal mehr ihre Stärke bewiesen. Wir haben zwei verschiedene oder drei verschiedene Etappen, in denen die EU tätig geworden ist. Zu Beginn hat es eine sehr intensive Telefondiplomatie gegeben. Die Außenbeauftragte Catherine Ashton war vor Ort in Kairo, aus einem anderen Anlass, und sie hat natürlich sofort die Gelegenheit benutzt, um Kontakte aufzunehmen mit dem Präsidialamt von Mursi, mit dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, mit Netanjahu, mit dem sie mehrmals telefoniert hat, um hier einmal die ersten Kontakte zusammenzuführen.

    Aber auch die weiteren europäischen Staatsmänner haben diese Telefondiplomatie genutzt, sie haben untereinander telefoniert, um eine gemeinsame Botschaft an die Konfliktparteien heranzutragen.

    In einer zweiten Phase kam es dann zu einer Reisediplomatie. Catherine Ashton ist weitergereist nach Dschibuti zum Gipfel der Organisation Islamischer Staaten, wo sie sehr intensive Gespräche mit den dortigen Teilnehmern geführt hat. Die Situation ist ja heute eine andere, als sie es im Gazakrieg 2008 war, weil wir uns in einem anderen strategischen Umfeld befinden, und den Kontakt mit dieser Gruppe zu haben, war außerordentlich wichtig.

    Engels: Ja aber hat denn all dieses an Gesprächsdiplomatie, um Sie da kurz zu unterbrechen, etwas dazu beigetragen, dass Ägypten nun bereit ist, stärker auf die Hamas einzuwirken, einem Waffenstillstand zuzustimmen?

    Reinicke: Natürlich! Das ist genau das Ergebnis, was Sie im Augenblick sehen. Sie haben dann gesehen, dass der französische Außenminister Laurent Fabius in die Region gereist ist, vor dem Außenministerrat gestern, nach dem Außenministerrat ist der deutsche Außenminister gereist, um genau diese Position auf die Ägypter weiter fortzuführen, und Sie merken ja genau, dass Ägypten jetzt bereit ist, diese Rolle anzunehmen, und das sehen wir im Augenblick in Kairo.

    Engels: Auf der anderen Seite – Sie haben es angesprochen -, der französische Außenminister ist in der Region, der britische Außenminister hat am Wochenende Israel vor einer Bodenoffensive gewarnt, der deutsche Außenminister – wir haben es gerade gehört – argumentiert sehr israelfreundlich, was die Palästinenser-Vertreter wieder zurückweisen. Da ist doch wieder der Eindruck, in der EU kocht jeder sein eigenes Süppchen.

    Reinicke: Nein, dem muss ich widersprechen, denn wir haben gerade gestern ja den Außenministerrat gehabt. Ich habe Ihnen das geschildert, um einfach mal zu sehen und darzustellen, wie die Systematik auch innerhalb der EU funktioniert. Nach dieser Vielzahl von Kontakten haben sich die Außenminister gestern zusammengesetzt und eine sehr intensive Diskussion zum Thema Gaza geführt, indem sie genau ihre Positionen abgestimmt haben. Sie haben ihre Erfahrungen ausgetauscht, sodass wir jetzt auf dieser gemeinsamen Erfahrungsbasis weitermachen können mit den unterschiedlichen Kontakten – und zwar nicht nur Catherine Ashton, sondern alle Europäer, die sich dort engagieren wollen.

    Engels: Dann versuchen wir es mal konkret. Bei der Frage um einen Waffenstillstand geht es ja auch sehr stark um die Frage, wie eine solche Waffenruhe abgesichert werden könnte für beide Seiten, damit sie auch wirklich eingehalten wird. Kann denn die EU hier möglicherweise auch konkret mit Beobachtern eine Rolle spielen?

    Reinicke: Ich glaube, diese Frage ist verfrüht. Es gibt eine Vielzahl von Diskussionen. Das ist auch nicht das, was im Augenblick diskutiert wird zwischen Israelis und Ägypten.

    Engels: Welches Thema ist denn da noch vorrangig?

    Reinicke: Die Diskussionen, die jetzt im Augenblick geführt werden, sind, dass es zunächst erst mal um die Einstellung der Raketenbeschüsse aus Gaza geht und die Israelis im Gegenzug ihre weiteren Eingriffe einstellen sollen. Die Hamas ist interessiert daran, eine Öffnung der Grenzen nach Ägypten zu haben, und hat dieses auch sehr deutlich kommuniziert. also hier ist auch Ägypten ihrerseits wieder gefragt. Aber es geht nicht um irgendeine Absicherung des Waffenstillstandes durch Dritte.

    Engels: Auf der anderen Seite ist es ja schwierig für Ägypten in dieser Position, mit der Hamas in irgendeiner Form da jetzt Unterstützung aufzukündigen. Glauben Sie, dass es denn bald zu Durchbrüchen kommt?

    Reinicke: Es geht auch nicht darum, die Unterstützung aufzukündigen, sondern natürlich gibt es enge Kontakte zwischen den Muslim-Brüdern in Ägypten und Hamas. Aber wir haben jetzt in den letzten 24 Stunden ja diese intensiven Kontakte gesehen, und deswegen ist ja auch Ban Ki-Moon dort hingefahren, nach Kairo, um die entsprechenden Gespräche zu unterstützen. Deswegen ist auch Fabius da gewesen, deswegen fährt auch der Bundesaußenminister dorthin, um gerade hier diese Gespräche im einzelnen vorzubereiten. Ich will Ihnen das jetzt nicht im Detail erzählen, weil Sie verstehen, dass das natürlich auch vertrauliche Gespräche sind, die man jetzt hier nicht in der Öffentlichkeit darstellt.

    Engels: Drehen wir es einmal anders herum. Ist denn dieser Gesprächsprozess so weit gediehen, dass die Bodenoffensive der Israelis, die ja lange als Drohung im Raum stand, kein Thema mehr ist?

    Reinicke: Das hoffen wir und das ist auch das Ziel dieser Bemühungen. Ich glaube, das Ziel dieser Bemühungen ist tatsächlich, eine Eskalation dieses Konfliktes zu vermeiden. Und wir haben zumindest immer noch die Hoffnung und auch, ich hoffe, die wachsende Überzeugung, dass wir dieses Ziel erreichen können. Aber das ist natürlich genau Gegenstand der gegenwärtigen Gespräche.

    Engels: Wenn wir den Konflikt in den größeren Kontext einordnen, erleben wir in den letzten Jahren immer mal wieder stärkere oder schwächere Spannungen zwischen Israel und den Palästinensern, aber keine Bewegung in irgendeiner Art eines Friedensprozesses. Ist diese Idee kombiniert mit der Zwei-Staaten-Lösung mittlerweile gescheitert?

    Reinicke: Nein, aber Sie haben natürlich genau auf den richtigen Punkt hingewiesen. Es kann ja nicht sein, dass wir alle drei, vier Jahre einen entsprechenden Konflikt um Gaza herum haben, sondern die Situation zeigt einmal mehr, dass wir eine langfristige Lösung für Gaza, aber auch eine langfristige Lösung für den gesamten Nahen Osten, für den Konflikt dort benötigen. Das ist auch einer der Punkte, auf den die Außenminister gestern noch einmal eindringlich hingewiesen haben und auch die Außenbeauftragte. Jetzt in dieser Zeit geht es darum, zunächst mal eine Eskalation zu vermeiden, aber sehr schnell wird sich die Frage stellen, wie geht es weiter, und dann wird die Frage wieder auf den Tisch kommen, wie kommen wir zu einer endgültigen Lösung dieses Konfliktes.

    Engels: Andreas Reinicke, EU-Sonderbeauftragter für den Nahost-Friedensprozess. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen.

    Reinicke: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.