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Nahost-Konflikt
"Ein Palästinenserstaat jetzt wäre ein Terrorstaat"

Der langjährige Botschafter Israels in den USA, Salman Shoval, traut der Trump-Regierung neue Impulse in der Nahost-Politik zu. Vorstellbar sei etwa mehr Selbstständigkeit für die Palästinenser, sagte er im Deutschlandfunk. Für eine Zwei-Staaten-Lösung sei es aber noch zu früh.

Salman Shoval im Gespräch mit Christine Heuer | 15.02.2017
    Pro-Palästina-Proteste in Westjordanland (17.2.2012).
    Pro-Palästina-Proteste in Westjordanland. (EPA)
    Ein palästinensicher Staat zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei unmöglich, "weil wir Chaos im Mittleren Osten haben", meinte Shoval mit Blick auf die Terrormiliz "Islamischer Staat" sowie die Lage im Irak und in Syrien. "Ein palästinensischer Staat heute wäre ein Terrorstaat", fügte er hinzu.
    Gleichzeitig sei auch ein Staat für zwei Völker, Israelis und Palästinenser, nicht denkbar, weil dies "weniger Demokratie, weniger Zionismus, weniger Jüdischkeit" bedeuten würde.
    Hoffnung auf Neuanfang
    Mehr Selbstständigkeit und Selbstverwaltung für die Palästinenser hält Shoval aber für möglich, auch mit Unterstützung der USA. Die Trump-Administration könne hier "vielleicht einen neuen Anfang" machen, zeigte sich der Mitbegründer der Likud-Partei hoffnungsvoll.
    Der neue US-Präsident Donald Trump empfängt heute Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu im Weißen Haus. Im Vorfeld hieß es aus Washington, eine Frieden im Nahen Osten sei auch ohne Zwei-Staaten-Lösung denkbar.
    Shoval verteidigte auch den Siedlungsbau Israels in den Palästinensergebiet, jedenfalls "in den Siedlungszentren und in der Umgebung von Jerusalem". Dies sei "auch eine Sicherheitsfrage".

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: In Israel bin ich verbunden mit Salman Shoval. Er ist Mitbegründer des Likud, er war lange Botschafter Israels in den USA und er berät immer noch hin und wieder die israelische Regierung in außenpolitischen Angelegenheiten. Guten Morgen, Herr Shoval.
    "Schwere Wahl zwischen dem Unmöglichen und dem Unerwünschten"
    Salman Shoval: Guten Morgen!
    Heuer: Kurz vor dem Gespräch von Donald Trump und Benjamin Netanjahu in Washington hören wir heute nacht, dass die US-Regierung ein Ende der Zwei-Staaten-Lösung nicht mehr ausschließt. Ist das ein Riesen-Erfolg für Israel, wenn es so kommt?
    Shoval: Nicht unbedingt. Das heißt natürlich, wie die Meinung hier in Israel ist, denn Israel hat eigentlich, ich würde sagen, hat eine Wahl, eine schwere Wahl zwischen dem Unmöglichen und dem Unerwünschten. Das Unmögliche ist ein palästinensischer Staat jetzt, und ich betone das Wort "jetzt", weil wir ein Chaos im Mittleren Osten haben. Wir haben die ISIS, wir haben die verschiedenen Terroristenorganisationen, wir haben Iran, wir haben Syrien und so weiter. Ein palästinensischer Staat heute würde heißen ein Terrorstaat, 20 Minuten, von wo ich jetzt in Tel Aviv sitze, oder fünf Minuten von Jerusalem.
    Aber ich sage auch zwischen dem Unmöglichen und dem Unerwünschten, denn ein Staat für zwei Völker, für das palästinensische Volk und das jüdische Volk, würde in der Länge heißen weniger Demokratie, weniger Zionismus, weniger Jüdischkeit, und das ist natürlich auch etwas nicht von den meisten Israelis, würde ich sagen, Erwünschtes. Deshalb glaube ich, die Linie, die Premierminister Netanjahu in Washington jetzt fördern wird, wird sein, als Endresultat entweder ein palästinensischer Staat, oder irgendeine andere Form von palästinensischer Selbstregierung. Es gibt da verschiedene Formen. Aber augenblicklich können wir das nicht machen, jedenfalls nicht, bis sich die Situation im Mittleren Osten etwas gelegt und geklärt hat. Deshalb würde ich sagen, es ist nicht vollkommen zu sagen, die Lösung ja oder die andere Lösung nein; nein, es ist noch nicht die Zeit dafür.
    "Der Status quo ist nicht unbedingt gut"
    Heuer: Aber das heißt, es soll alles so bleiben, wie es jetzt ist und wie es auch schon lange ist?
    Shoval: Bitte?
    Heuer: Das würde ja heißen, es soll alles so bleiben, wie es ist und wie es ja schon lange ist?
    Shoval: Ja, aber nicht unbedingt ein Status quo, denn es könnten verschiedene Mittel unternommen werden von Israel mit der Hilfe der Amerikaner. Das ist der große Vorteil. Es ist eine neue Administration in Washington, die eigentlich keine richtige Nahost-Politik hat, jedenfalls noch nicht formuliert hat, und vielleicht einen neuen Anfang machen kann, nicht unbedingt die heutige Situation zu lassen wie sie ist oder doch den Palästinensern mehr Selbstfunktionen zu geben, nicht nur wirtschaftlich, vielleicht auch politisch und juristisch und so weiter und irgendwelchen Progress zu machen. Denn der Status quo ist nicht unbedingt gut, weder für die Palästinenser, noch für die Israelis.
    "Ja, ihr baut, aber nur in den großen Siedlungszentren"
    Heuer: Es gibt starke Kräfte in Israel, die den Siedlungsbau vorantreiben wollen. Auch in diesem Punkt hat Donald Trump ja anfangs signalisiert, ja, das könne er sich ganz gut vorstellen. Wären Sie dafür?
    Shoval: Schauen Sie, es gibt, wie Sie selbst sagen, in Israel, auch in der Koalition, auch in der Partei Rechtselemente, die natürlich nicht von irgendeinem Kompromiss sprechen wollen. Aber es ist bestimmt auch ein Teil der öffentlichen Meinung und die wollen eine Siedlungspolitik, die nicht die offizielle Siedlungspolitik der israelischen Regierung ist. Sie wollen überall bauen, aber wie wir jetzt auch unlängst von Washington gehört haben, Washington ist heute wahrscheinlich bereit, im Gegenteil zu der Obama-Regierung, der Obama-Administration wieder zu der Formel zurückzugehen, die in der Zeit des Präsidenten George W. Bush war, also ja, ihr baut, aber nur in den großen Siedlungszentren, in den großen Siedlungsblocks und in der Umgebung von Jerusalem, was wirklich eine Sicherheitsfrage ist.
    Die hat nichts mit der heutigen Regierung zu tun, das waren alle israelischen Regierungen. Es war ihnen klar, wir müssen bauen rund um Jerusalem, um zu vermeiden, dass wir wieder in eine Situation kommen können, wie es in '67 war, wie es in '48 war, dass Jerusalem von dem Land abgeschnitten werden kann. Das sind Sicherheitsfragen und dort ist, würde ich sagen, Grund für Kompromiss und für Verständnis mit den Amerikanern, und ich glaube, dass Premierminister Netanjahu, der pragmatisch denkt, diese Formel vielleicht anerkennen wird. Aber wir werden natürlich sehen, wie sich das abspielt. Und wie immer in einer Demokratie, auch in Deutschland: Die Innenpolitik spielt eine große Rolle, auch mit Hinsicht auf die Außenpolitik.
    Heuer: Da wollte ich drauf zu sprechen kommen. Netanjahu steht da ja auch ziemlich unter Druck von den Rechtsreligiösen in Israel.
    Shoval: Nicht nur Religiösen. Das ist nicht nur eine Religionsfrage. Denn innerhalb des Likuds gibt es mehr extrem rechte Elemente. Das hat nichts mit Religion zu tun, das hat mit verschiedenen anderen nationalen und politischen, ideologischen und so weiter Dingen zu tun. Aber ja, ich glaube, Netanjahu kann besser als ein Zentrist …
    Heuer: … bestehen und Politik machen.
    Shoval: Ja.
    Mehr Verantwortung für die Palästinenser
    Heuer: Als Zentrist - Sie haben gesagt, Kompromisse müssen geschlossen werden, Sie haben gesagt, es muss Zugeständnisse an die Palästinenser geben. Wissen Sie, Herr Shoval, zu welchen Zugeständnissen die israelische Regierung an die Palästinenser im Moment bereit wäre?
    Shoval: Da gibt es verschiedene Ideen. Ich kann da nicht in Einzelheiten eingehen, weil ich die einfach nicht weiß.
    Heuer: Aber sagen Sie mal einen Punkt.
    Shoval: Man könnte den Palästinensern größere Funktionen wirklich der Selbstadministration geben in den Gebieten, wo sie sowieso die Mehrheit sind und sowieso die verschiedenen zivilen Funktionen jedenfalls theoretisch haben, vielleicht auch mehr mit Sicherheit und so weiter, um den Palästinensern wirklich nicht nur das Gefühl zu geben, aber auch den Grund zu geben zu sagen, ja, wir verstehen, dass wir uns mit Israel besprechen und unterhalten müssen, was wir in den letzten acht Jahren nicht gemacht haben, um mit Israel zu einem Kompromiss zu kommen und nicht irgendwie nur an die UNO zu gehen und versuchen, verschiedene Resolutionen da zu bekommen, die natürlich am Ende sowieso nicht funktionieren.
    Irans Politik im Mittleren Osten sei "aggressiv und terroristisch"
    Heuer: Herr Shoval, wir haben leider nicht mehr viel Zeit. Ich höre aus allem, was Sie sagen, dass Sie eigentlich für einen Ausgleich, für Kompromisse, für eine Balance heute Morgen hier bei uns plädieren. Gilt das auch für den Iran und das Atomabkommen mit dem Iran, oder sollte das aus Ihrer Sicht tatsächlich beendet werden? Denn auch in dieser Hinsicht gab es ja Signale, eindeutige Signale, sowohl aus Israel als auch aus den USA.
    Shoval: Wie auch aus Washington, ja. Ich glaube nicht. Schauen Sie, wir sehen auch weiterhin dieses Abkommen als sehr schlechtes Abkommen und gefährlich. Aber das ist nicht heute die aktuelle konkrete Frage. Die aktuelle konkrete Frage ist, dass Iran außer der Atomfrage eine aggressive, terroristische Politik im ganzen Mittleren Osten führt und fördert, die uns gefährdet, die gefährlich ist für unsere Nachbarn, für unsere arabischen Nachbarn, und ich glaube, von dem Standpunkt aus kann man darauf hoffen, dass die Trump-Regierung mehr konsequent ist, trotzdem natürlich die Trump-Regierung ihre eigenen Probleme mit Russland hat oder ihre eigenen Vorzüge mit Russland hat. Aber Iran wird zweifellos ein wichtiger Punkt in den Gesprächen Netanjahus und Trumps sein.
    Heuer: Salman Shoval, Likud-Mitbegründer, ehemaliger Botschafter Israels in den USA war das im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Herr Shoval, ich bedanke mich sehr herzlich, dass Sie sich die Zeit genommen haben.
    Shoval: Ich bedanke mich. Alles Gute. Danke!
    Heuer: Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.