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Nahost-Konflikt
"Es geht vor allem um die Haltung Ägyptens"

Ein Ende der Gewalt zwischen Israel und den Palästinensern sei möglich, sagte der israelische Historiker Moshe Zimmermann im DLF. Eine entscheidende Rolle dabei nehme Ägypten ein. Und dessen Haltung habe sich geändert.

Moshe Zimmermann im Gespräch mit Sandra Schulz | 21.07.2014
    Moshe Zimmermann im Gespräch.
    Moshe Zimmermann, israelischer Historiker (dpa / Martin Schutt)
    Früher sei Ägypten immer auf Seite der Hamas gewesen, so Zimmermann. Dies sei inzwischen anders, die neue Führung in Kairo lehne die radikal-islamische Organisation ab. Aktuell gebe eine "Konkurrenz der Vermittler", sagte der Historiker an der Hebräischen Universität Jerusalem mit Blick auf die Bemühungen von UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon und US-Außenminister John Kerry. Doch Ägypten könne "mehr unternehmen als jede andere Macht".
    "Was man anstreben soll, ist aber nicht nur eine Waffenruhe", so Zimmermann weiter. Wichtiger sei eine Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen Israels Regierung und palästinensischer Autonomiebehörde: "Der Teufelskreis kann durchbrochen werden, wenn sich beiden Seiten mehr bemühen, die Friedensgespräche fortzusetzen."

    Das Gespräch in voller Länge:
    Sandra Schulz: Seit dem 8. Juli läuft die israelische Militäroffensive in Nahost, seit Donnerstag Nacht die Bodenoffensive. Militante Palästinenser nehmen weiter israelische Städte unter Beschuss, immer wieder dringen Hamas-Kämpfer durch Tunnel auf israelisches Gebiet vor. Solche Meldungen hat es auch heute Morgen wieder gegeben. 13 Soldaten und zwei Zivilisten sind bisher auf israelischer Seite ums Leben gekommen, nach palästinensischen Angaben starben mehr als 400 Menschen seit Ausbruch der Kämpfe, und nichts, aber auch gar nichts deutet auf eine Waffenruhe oder Verhandlungen darüber hin. Am Telefon ist Moshe Zimmermann, er ist Historiker an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Guten Morgen.
    Moshe Zimmermann: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Warum kommt es in Nahost immer, wie es kommen muss?
    Zimmermann: Weil das Problem nicht gelöst wurde. Es gibt ja einen langen Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, und auf beiden Seiten gibt es diejenigen, die versuchen, einen Friedensvertrag zu verneinen. Auf der einen Seite ist es die Hamas-Gruppe unterhalb der Palästinenser und auf der anderen Seite sind es die rechtsorientierten Israelis, und wenn es nicht zu einer Lösung kommt, kommt es immer wieder zu Explosionen, wie jetzt in diesen letzten Wochen.
    Schulz: Die Meldungen, die uns jetzt wieder erreichen über die Lage in Gaza, im Gazastreifen: Hunderte Menschen sind gestorben, auch viele Zivilisten, die medizinische Versorgung ist kollabiert. Wie wirken diese Meldungen auf Sie?
    Israelische Soldaten an der Grenze zum Gaza-Streifen. 
    Israelische Soldaten beschießen den Gaza-Streifen. (MENAHEM KAHANA / AFP)
    Zimmermann: Meine persönliche Haltung ist selbstverständlich die, die auch typisch ist für einen gewöhnlichen Europäer, aber das besagt ja nichts. Die Israelis haben eine ganz andere Perspektive. Israelis wie ich auch leben jetzt in den letzten Wochen unter Beschuss und sie verlangen von der Regierung ein Ende dieser Attacken von Raketen aus Gaza auf israelisches Gebiet, und das kann man im Moment nur erreichen, wenn man mit der Waffe gegen die Palästinenser, also hier gegen die Hamas vorgeht. Deswegen geht es immer weiter. Die Hauptfrage, wie man zu einer Lösung des Problems kommt, zur Lösung des Konflikts, wurde beiseite geschoben. Vor zwei Monaten gab es am Ende der Friedensverhandlungen kein Resultat und in dieser Pattsituation entstand der Druck vonseiten der Hamas, etwas zu unternehmen, und in dem Moment, wo der Druck entsteht, gibt es auch einen Gegendruck, und so entwickelt sich so ein Teufelskreis immer wieder, immer wieder im Nahen Osten.
    "Teufelskreis kann durchbrochen werden"
    Schulz: Dieser Teufelskreis kann nie durchbrochen werden?
    Zimmermann: Er kann durchbrochen werden, wenn sich mehr bemühen um den Frieden zwischen Israelis und Palästinenser. Man muss ja berücksichtigen: Die Palästinenser sind gespalten. Im Gazastreifen sind die Hamas-Leute, die haben Israel nicht anerkannt, wollen Israel nicht anerkennen, wollen den Kampf gegen Israel. Aber in der Westbank, also im Westjordanland, gibt es eine andere Regierung. Das ist die Regierung von Präsident Abbas, die sind bereit für Friedensgespräche, wie sie ja auch gezeigt haben. Man muss sich also mehr darum bemühen, zwischen Israel und der Autonomiebehörde die Friedensgespräche voranzubringen. Das ist das Entscheidende. Sonst sind wir immer wieder zurück beim Alten, nämlich bei einer Attacke von der einen Seite und dann diese sehr harte Antwort von der anderen Seite, also von der israelischen Seite.
    Schulz: Und das nahe Ziel ist jetzt natürlich erst mal, auf eine Waffenruhe im aktuellen Konflikt hinzuarbeiten. Wer könnte die vermitteln, UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, der US-Außenminister Kerry, der auch unterwegs ist nach Nahost?
    Zimmermann: Es geht vor allem um die Haltung Ägyptens. Da hat sich schon etwas revolutioniert. Früher war Ägypten immer automatisch auf der Seite der Hamas. Das ist nicht mehr der Fall. Hamas ist ein Feind in den Augen der neuen ägyptischen Regierung und Ägypten ist jetzt in der Schlüsselposition, darüber zu entscheiden, ob es in Richtung Waffenruhe geht. Das heißt, eine Kooperation zwischen Amerika, also USA, Ägypten und anderen Staaten in der Region und dann Israel, nur das kann dazu führen, dass es zu einer Waffenruhe kommt. Aber wieder: Eine Waffenruhe ist nur eine Illusion oder eine kurze Unterbrechung. Was man anstreben soll ist nicht nur die Waffenruhe - das ist selbstverständlich von der humanen Perspektive sehr wichtig -, aber wichtiger ist, die Kernfrage anzugehen, das heißt Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern, das heißt zwischen Israel und der palästinensischen Autonomiebehörde.
    "Es gibt eine Konkurrenz der Vermittler"
    Schulz: Das heißt, Sie sehen es aber gar nicht so, was jetzt immer wieder gesagt wird, dass Ägypten aus seiner Vermittlerrolle rausgefallen sei durch die politischen Veränderungen dort im Land?
    Zimmermann: Es gibt eine Konkurrenz der Vermittler. Es gibt die Türkei einerseits, die auf der Seite der Hamas steht, und es gibt Ägypten, die gegen Hamas stehen. Aber Ägypten ist die Großmacht in der arabischen Welt und die kann mehr unternehmen als jede andere Macht. Und es gibt selbstverständlich neben Ägypten auch Jordanien und andere Staaten, die sich darum bemühen könnten oder darum schon bemühen. Das heißt, da braucht man eine größere Kooperation und da kann auch Ban Ki Moon selbstverständlich seine Rolle spielen. Wie gesagt wird es nach einigen Tagen zu einer Waffenruhe kommen. Das ist eine klare Sache. Es ist sehr schlimm, dass diese Waffenruhe nur erst dann entsteht, wenn so viele Leute getötet wurden. Diese Tragödie müsste man selbstverständlich zu einem Ende führen, nur wenn echte Friedensverhandlungen stattfinden.
    "Erdogan ist kein Freund Israels"
    Schulz: Sie haben die Türkei jetzt gerade erwähnt, und gerade von da kommt ein Zitat, auf das ich Sie auch gerne noch ansprechen wollte. Der türkische Regierungschef Erdogan sagt - da zitiere ich die Übersetzung jetzt wörtlich -, „der terroristische Staat Israel hat mit seinen Gräueltaten in Gaza Hitler übertroffen." Was sagen Sie zu solchen Einwürfen?
    Zimmermann: Okay! Erdogan ist kein Freund Israels. Als Historiker weiß ich genau Bescheid, wo der Unterschied ist des israelischen Militärs und Hitlers Regime. Das ist eine klare Sache. Nur muss man fragen, wieso Erdogan solche scharfen Analogien macht. Er weiß Bescheid, dass er die Hamas unterstützen will, er ist gegen Ägypten, das ist auch eine wichtige Sache, er versucht, für seine Haltung Unterstützung zu finden in der muslimischen Bevölkerung seines Landes, und deswegen greift er zu diesen Analogien. Das besagt aber nicht sehr viel über die Art und Weise, wie Israel mit den Palästinensern umgeht. Hier geht es um eine sehr spezifische Tragödie. Auf der einen Seite achten die Hamas-Leute nicht auf Menschenleben. Je mehr Leute sterben, desto stärker wird der Druck auf Israel sein aus der Sicht der Hamas. Und von der israelischen Seite gibt es eine nationalistische Regierung, die auch weniger darauf achtet, wie es bei den Palästinensern geht, und viel mehr darauf achtet, wie man zu dem Druck auf der israelischen Bevölkerung irgendwie eine Antwort findet.
    Schulz: Der israelische Historiker Moshe Zimmermann heute hier in den „Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Vielen Dank Ihnen.
    Zimmermann: Ich bedanke mich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.