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Nahost-Konflikt
Medium für Integration und Toleranz

Israel hat seine Bodenoffensive gegen die radikalislamische Hamas im Gazastreifen ausgeweitet. Doch das interessiert beim jüdischen Fußball-Club AS Menora in Straßburg niemanden. Der Verein versucht, Integration durch Sport zu leben.

Von Änne Seidel und Markus Dichmann | 20.07.2014
    Der Rasenplatz des AS Menora, nicht weit von der Straßburger Innenstadt, die Sonne ist schon fast untergegangen. Im Flutlicht pfeift Erik Hanns seine Spieler zum Training zusammen. Der Elsässer mit kurzem, blondem Haar, breiten Schultern und dicken Oberarmen ist Coach der Truppe. Als allererstes hält der Trainer eine Standpauke.
    Einer der Spieler solle sich gefälligst einen Pullover überziehen – ohne würde er sich erkälten. Damit ihm warm wird, soll der Spieler gleich noch eine Strafrunde drehen. Ein bunter Haufen scharrt sich um den Trainer. Franzosen neben Algeriern und Marokkanern, ein junger Lehrer aus England neben einem blutjungen Afrikaner, der erst vor wenigen Monaten als Flüchtling nach Frankreich gekommen ist. Welche Sprache hier gesprochen wird?
    "Französisch – Punkt! So bin ich sicher: Wir haben eine Regel. In meinem Umkleideraum soll es so sein. Eine Regel, nicht fünf."
    Aber nicht nur sprachlich soll man sich hier verstehen, sondern auch religiös.
    "Alle wissen, dass dieser Verein ein jüdischer Verein ist – das ist unabänderlich: Am Sabbat wird nicht gespielt, im Club-Haus gibt es nur koscheres Essen. Und trotzdem: Muslime, Afrikaner, alle kommen und spielen in unseren Trikots. Obwohl da eine Menora, ein jüdischer Kerzenständer drauf ist. Die Leute wissen das alles – und sie spielen trotzdem hier."
    Simon Dahan ist seit über 30 Jahren Club-Präsident. Er gehört zur großen Einwanderungswelle nordafrikanischer Juden, die ab den 1960er Jahren nach Frankreich kamen. Zur gleichen Zeit wurde der AS Menora gegründet und zog schnell viele der eingewanderten Juden an. Es fühlte sich an wie ein Stück Heimat, erinnert sich Dahan, der damals noch ein kleiner Junge war. Nach und nach kamen aber auch diejenigen nordafrikanischen Einwanderer dazu, die nicht jüdischen Glaubens waren. Der AS Menora wurde zu einem multikulturellen und multireligiösen Club.
    Auch Christophe kommt mehrmals die Woche zum AS Menora. Er ist praktizierender Muslim und spielt seit ein paar Jahren als Torwart für den Club. Heute trainiert er nicht, sondern blödelt mit seinen Kumpels vor dem Club-Haus herum:
    "Der Araber soll das Interview machen, der hat keine Wahl, der hat hier eh' nichts zu sagen!", scherzt ein Spieler mit Blick auf Christophe.
    Solche Scherze stören ihn nicht, sagt Christophe. Pudelwohl fühlt er sich beim jüdischen Fußball-Club Menora. Früher hatte Christophe kaum Kontakt zu Juden, früher kannte er nur Vorurteile:
    "Das ist der Fehler, den ich gemacht habe als ich jünger war, als ich mit gewissen Leuten abhing, in gewissen Vierteln hier in Straßburg. Man lässt sich schnell auf die Ideen der Leute um einen herum ein. Aber das Leben basiert auf Erfahrungen: Eines Tages merkst du, dass die Idee, die du da hattest, falsch war."
    Dieser Tag kam für Christophe, als seine Frau hochschwanger in Ohnmacht fiel und es eine Jüdin war, die in höchster Not zu Hilfe kam:
    "Wenn du so etwas siehst, dann machst du kehrt. Du denkst dir scheiße, ich bin Muslim, sie ist Jüdin, wir kennen uns nicht, trotzdem hat sie mir geholfen, sie sorgt sich um die Gesundheit meiner Frau und meines Kindes. Irgendetwas kann da nicht stimmen."
    Trotzdem: Es gibt Spannungen zwischen Muslimen und Juden in Frankreich. Gerade erst wurde in einem Pariser Vorort eine Synagoge mit einer Brandbombe beworfen – der Nahost-Konflikt entlädt sich auch hier. Im Club sei das aber kein Thema, betont Präsident Simon Dahan.
    "Wir sind ein komplett unpolitischer Verein. Gleich nach dem Training werden wir zusammen essen, und ja – vielleicht ist gerade etwas passiert in Israel – aber wir werden nicht darüber sprechen. Nicht, weil wir es verschweigen wollen, aber es interessiert eben niemanden. Wir spielen in einer anderen Kategorie: Uns interessiert das Menschliche, für uns ist der Sport ein Medium für Integration und Toleranz."
    Aber dann ist da ja auch noch der Front National, die rechtspopulistische Partei, die immer wieder mit antisemitischen Ausbrüchen auffällt – und zuletzt bei den Europawahlen stärkste Kraft wurde. Der Antisemitismus, egal ob von religiöser oder von politischer Seite – er scheint vielen französischen Juden Angst zu machen. Die Zahl der jüdischen Auswanderer steigt rasant, im Elsass hat sie sich zuletzt innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt. Zahlen, die die Agence Juive pour Israel zur Verfügung stellt – eine staatliche Agentur, die die Auswanderung nach Israel koordiniert. AS Menora Chef Simon Dahan ist skeptisch, er hält die Zahlen für israelische Propaganda.
    "Ich sage Ihnen: Hier in Straßburg will niemand auswandern. Es geht uns allen gut. Wir leiden in keiner Weise unter Rassismus oder Gewalt."
    Auf dem Spielfeld, im Flutlicht des AS Menora spricht jedenfalls niemand über den Front National. Niemand spricht über Palästina oder über die Auswanderung nach Israel. Im Flutlicht des AS Menora rennen alle im Kreis, wenn der Trainer pfeift.