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Nahostexperte: "Inmitten einer sehr gefährlichen Eskalationsspirale"

Dass Russland Waffenlieferungen an das syrische Regime ankündigt, hält Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik für ein Warnsignal an Israel. Zugleich verteidige die libanesische Hisbollah nun auch offensiv ihre Beteiligung am Syrien-Konflikt, "was vielleicht noch eher die regionale Situation eskaliert".

Volker Perthes im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 11.05.2013
    Jürgen Zurheide: Darüber möchte ich reden mit Volker Perthes, den wir bei einer Konferenz in Beirut erreichen. Guten Morgen, Herr Perthes!

    Volker Perthes: Ja, schönen guten Morgen nach Köln!

    Zurheide: Herr Perthes, das sind widersprüchliche Signale. Wie werten Sie das? Auf der einen Seite internationale Konferenz, da wird geredet, und eine Waffenlieferung. Ist das ein Widerspruch?

    Perthes: Also die Waffen sind ja noch nicht geliefert. Es wird davon gesprochen, dass Russland an den Verträgen festhält, die es mit dem Regime in Syrien getroffen hat. Aus russischer Sicht ist die Regierung in Damaskus eine legitime Regierung. Und die Ankündigung, dass man an den Waffenlieferungen festhält, hat wohl eher mit den israelischen Angriffen auf Stellungen in Syrien in der letzten Woche zu tun, als mit den Bemühungen, den Konflikt in Syrien selbst über eine internationale Konferenz beizulegen. Das läuft nebeneinander her, es hat indirekt auch miteinander zu tun, weil das Interesse an einer solchen Konferenz viel zu tun hat mit dem Interesse, eine größere regionale Konzentration, einen großen regionalen Krieg zu verhindern. Gleichzeitig will Russland den Israelis zeigen, dass sie weiter zu Assad stehen und den Israelis ((Telefonstörungen)) die Lufthoheit über Damaskus erlauben.

    Zurheide: Das heißt, wenn der Außenminister Lawrow gesagt hat, das ist ein ganz normales Geschäft, ist das wieder der Versuch, das etwas herunterzuzonen?

    Perthes: Nein, es ist eher eine Warnung an die Israelis, zu sagen, ihr habt die Situation in Syrien benutzt, um einen Angriff auf Ziele in der Nähe von Damaskus zu fliegen, die den bisherigen Spielregeln im Nahen Osten nicht entsprechen. Wenn ihr die Spielregeln verändert, verändern wir sie auch, werden wir Waffen liefern, die wir bisher nicht geliefert haben. Aber wie gesagt, das sind Ankündigungen. Wenn man solche Systeme wie die S300, die Flugabwehrraketen, über die hier geredet wird, liefern will, dann dauert das schon einige Monate, vielleicht ein Jahr oder länger, da kann eine ganze Menge passieren, bis man schließlich die Dinge funktionsfähig hat oder eben auch nicht funktionsfähig hat.

    Zurheide: Dann ist also möglicherweise das diplomatische Fenster noch geöffnet. Auch wenn die Telefonverbindung schlecht ist, versuchen wir es noch mal: Wie sehen Sie das? Was könnte auf dieser internationalen Konferenz passieren?

    Perthes: Ich glaube, es ist erstens wichtig zu sagen, das ist ein Schritt nach vorne. Es ist eine Einigung der großen internationalen Spieler, der immer noch großen internationalen Spieler, darauf Einfluss zu nehmen, auf ihre jeweiligen Verbündeten in der Region. Da geht es ja nicht nur um das syrische Regime und die syrische Opposition, dabei geht es auch um regionale Spieler wie Iran und Qatar und Saudi-Arabien. Und zu versuchen, eine Lösung auf den Weg zu bringen, eine verhandelte, eine politische Lösung auf den Weg zu bringen. Russland fühlt sich ermutigt, weil nun nicht mehr die Vorbedingung für die Konferenz ist, dass Assad abtritt. Man denkt also, dass man eine Delegation zusammenstellen kann, die das Regime in Damaskus repräsentiert. Die Aufgabe vor allem auch der USA wird es sein, eine Delegation zusammenzubekommen, die die Opposition repräsentiert. Und beide großen Staaten, die USA und Russland, werden versuchen müssen, hier einen Verhandlungsprozess zumindest in Gang zu setzen zwischen den Konfliktparteien in Syrien. Die Konferenz in Genf wird nicht das Ende des Verhandlungsprozesses sein, sondern bestenfalls der Anfang eines längeren Prozesses.

    Zurheide: Ordnen Sie ein die Rolle der Türkei, die ja besonders aktiv sind, oder auch offensichtlich über eigene Informationen zu den Chemiewaffen verfügen oder zumindest die Welt glauben machen, über solche Informationen zu verfügen. Wie bewerten Sie das?

    Perthes: Ich bin nicht sicher, was der türkische Ministerpräsident wirklich weiß über den Einsatz von Waffen, von Chemiewaffen möglicherweise in Syrien. Sicher ist, dass er sich den Sturz des Regimes in Damaskus mittlerweile auch zu einer persönlichen Angelegenheit gemacht hat. Für ihn ist das eine Angelegenheit in der unmittelbaren Nachbarschaft. Er hat über viele Jahre versucht, eine Form der Politik des Wandels durch Annäherung, wenn man das so sagen will, mit Syrien zu fahren, ist dabei sehr enttäuscht worden von seinem damaligen Partner Baschar al-Assad, der zwar die Annäherung an die Türkei wollte, aber den politischen Wandel im eigenen Land eben nicht. Und daraufhin hat Erdogan sich vielleicht am deutlichsten von allen regionalen Führern auf die Seite der Opposition gestellt und den Sturz des Regimes, wie gesagt, zu seiner persönlichen Angelegenheit gemacht.

    Zurheide: Sie sind gerade in Beirut, also im Libanon. Die Rolle der Hisbollah ist ja auch noch näher zu beleuchten. Die Hisbollah will und soll Waffen bekommen, was wiederum die Israelis zu dem Luftangriff bewogen hat. Wie bewerten Sie das und wie schätzen Sie das ein?

    Perthes: Ja, wir sind hier inmitten einer sehr gefährlichen Eskalationsspirale. Es ist richtig, dass die Israelis gesagt haben, sie haben diese Ziele bei Damaskus bombardiert, um Waffenlieferungen an die Hisbollah zu unterbinden. Das ist wohl auch richtig so, wohl auch korrekt so von der Aussage. Es hat aber zu einer Eskalation geführt. Gestern hat hier der Hisbollah-Generalsekretär eine sehr kämpferische Rede gehalten. Er hat gesagt, Syrien wird uns jetzt erst recht die Waffen liefern, die wir brauchen, um die Spielregeln zu verändern. Er hat nicht genau gesagt, was das für Waffensysteme sind, aber man kann sich denken, dass es dabei auch um Raketen geht, die israelische Flugzeuge abschießen könnten. Das hat die Hisbollah bislang nicht. Und, was vielleicht noch schlimmer ist, und was vielleicht noch eher die regionale Situation eskaliert, ist, dass der Hisbollah-Generalsekretär jetzt sehr, sehr deutlich verteidigt, dass seine Leute, dass Hisbollah-Kämpfer in Syrien im Bürgerkrieg beteiligt sind. Bisher hat man das eher versteckt, mittlerweile macht man das offen und offensiv.

    Zurheide: Wir sehen, es gibt viele Aspekte bei diesem Konflikt. Und diese Situation zu entwirren, ist nicht ganz einfach. Immerhin versucht man es auf der internationalen Konferenz. Was dort besprochen werden kann, haben wir beredet mit Volker Perthes, den wir im Libanon erreicht haben. Die schlechte Telefonqualität bitten wir zu entschuldigen, Herr Perthes, danke schön für das Gespräch! Auf Wiederhören!

    Perthes: Vielen Dank auch, auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.