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Naiver Blick auf den Nahostkonflikt

Der Stoff des Films "Miral" ist leicht autobiografisch und verknüpft die Lebensgeschichten von vier Frauen vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse. Es ist ein engagierter Film zur Palästinafrage. Aber er ist nur in kurzen Passagen, was er eigentlich sein möchte:eine Botschaft des Friedens.

Von Josef Schnelle | 18.11.2010
    Was würden Sie tun, wenn Sie 55 Waisenkinder mitten im Krieg auf der Straße herumirren sähen? Für Hind Husseini lautete die Antwort: sie beschützen, eine Mauer um sie ziehen und einen sicheren Hafen bauen, in dem ihnen nichts passieren kann und in dem sie in lernen und anfangen können, sich eine friedlichere Welt vorzustellen.

    Die historische Hind, eine wohlhabende Palästinenserin, hat ihr Leben tatsächlich den Waisenkindern gewidmet, als sie 1948 das Dar Al-Tifl-Waisenhaus für Mädchen erfand. Am Ende war ihr Kinderheim ein Zuhause für 3000 Kinder, deren Zukunft nun durch die Aussicht auf Bildung gesichert zu sein schien. Anfangs finanzierte sie das Projekt aus eigener Tasche, aus dem, was ihr von dem Besitz ihrer Familie geblieben war, und schuf damit eine Oase für junge palästinensische Mädchen. Miral ist eines der jungen Mädchen, das in Dar Al-Tifl seine Ausbildung erhalten wird. Ihr Vater bringt sie nach dem Selbstmord der Mutter zu Hind.

    Filmausschnitt:
    "Miral wie schön, dass du da bist. Was für'n hübsches Kleid. Möchtest du mit den anderen Mädchen spielen. Hadil, Leila, holt ihr bitte Miral. Geh mit ihnen, die spielen mit dir."

    Julian Schnabel ist eigentlich vor allem ein bekannter bildender Künstler und Maler. Er hat aber mit seinen drei Spielfilmen - zuletzt mit "Schmetterling und Taucherglocke", mit dem er 2007 in Cannes den Regiepreis bekam, auch als ungewöhnlicher kreativer Filmemacher Karriere gemacht. Sein neuster Film "Miral" folgt nun einem Buch von Rula Jebreal, die Julian Schnabels Lebensgefährtin ist.

    Der Stoff ist leicht autobiografisch und verknüpft die Lebensgeschichten von vier Frauen vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse. Es ist ein sehr engagierter Film zur Palästinafrage. Im Bündel der Schicksale, die der Film zeigt, spiegelt sich die politischen Probleme der Region: Intifada, Hass, mangelnde Integration, Konflikt der Generationen und mittendrin die große Hoffnung Hind Husseini, gespielt vom Star des palästinensischen Kinos Hiam Abass. In "Miral" soll man alle Positionen verstehen - die der Männer mit dem Bombengürtel ebenso wie die der Friedensapostel aller Couleur. Mit dem Friedensabkommen von Oslo scheint ein großer Traum auf.

    Filmausschnitt:
    "Sie treffen sich jeden Tag. Sowohl hier in Jerusalem als auch in Oslo und verhandeln über die Aufteilung. Ich glaube, diesmal könnte es wirklich was werden."

    "Das wünschst du dir ehrlich?"

    "Miral, dieser Weg ist voller Blut und er kann nur ins Nichts führen. Wir akzeptieren 22 Prozent des Gebietes. Das ist mehr, als wir im Moment haben. Wir können doch nicht ewig weiterkämpfen."

    <im_61962>Szene aus "Miral" (NUR IN ZUSAMMENHANG MIT DEM FILM)</im_61962>Julian Schnabel geht entschieden zu naiv an die Sache heran. Wäre der israelisch-palästinensische Konflikt allein durch guten Willen und friedliche Lebenshaltung zu lösen, würde er sicher längst nicht mehr bestehen. Die Schwächen dieses Films spiegeln daher die Schwächen schon der Vorlage, die eine dezidierte Versöhnungsbotschaft aus der schwierigen Lage des Israel-Palästinenser-Konflikts mit Terrorangriffen und Intifada destilliert. Sehr fragwürdig ist vor allem der Umgang Schnabels mit dokumentarischem Material, das er immer wieder in seine fiktive Geschichte hineinschneidet. In diesen Passagen bedient sich der Film der Konventionen des Propagandafilms.

    Einen gewissen Hang dazu hat Schnabel auch bei anderen Szenen, etwa wenn das Haus einer palästinensischen Familie von einem monströsen Bagger abgerissen wird im Gegenschnitt auf weinende Gesichter in Großaufnahme. So soll gerechtfertigt werden, wieso eine der Hauptfiguren schließlich Terroristin wird. Auch Miral kommt mit dem Widerstand in Berührung, weil sie sich in einen politischen Aktivisten verliebt. Immer wieder greift der Film auch zu einem verklärenden heroischen Ton, wenn er die Aktivitäten der guten Hirtin Hind beschreibt, zum Beispiel eine weihnachtliche Spendengala mit Freunden und Förderern:

    "Meinen besonderen Dank an die Husseini-Familie, die uns wieder wie jedes Jahr diesen wunderschönen schönen Baum stiftet. Diese Räumlichkeiten waren immer schon eine Oase für jeden Besucher. Und ich weiß: Es fällt allen Besuchern schwer, nicht über Politik zu reden in dieser entscheidenden Phase des Landes und für uns alle hier. Aber wenigstens heute wollen wir alle Probleme außen vorlassen und gemeinsam feiern: Frohe Weihnachten!"

    In der übergroßen Fülle der Figuren und Handlungsstränge verzettelt sich Schnabel von Minute zu Minute mehr und findet auch keine überzeugenden Bilder mehr für die Widersprüche in seinen Figuren. In der Not greift er stets zu Klischees bis an den Rand zum Kitsch. Eine vertane Chance. Nur in kurzen Passagen ist dieser Film, was er eigentlich sein möchte: eine Botschaft des Friedens.