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NAKO-Gesundheitsstudie
"Wir werden besser verstehen, wer krank wird und wer gesund bleibt."

Heutige Gesundheitsempfehlungen basierten auf Daten, die 20 bis 30 Jahre alt seien, sagte Annette Peters im Dlf. Dabei habe sich die Lebenswelt stark verändert, so die Chefin der NAKO-Studie, die den Gesundheitszustand von 200 000 Bundesbürgern erfasst. Die Langzeit-Studie soll helfen, die Gesundheitsversorgung zu verbessern.

Annette Peters im Gespräch mit Ralf Krauter | 26.06.2019
Bei einer Patientin in einer Arztpraxis wird der Blutdruck gemessen.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehören zu den weit verbreiteten Volkskrankheiten. Mit Hilfe des riesigen Datensatzes, der für die NAKO-Studie generiert wird, wollen Forscher Risikofaktoren besser verstehen. (picture alliance / Alice S.)
Ralf Krauter: Um rauszufinden, wie die großen Volkskrankheiten entstehen und welche Faktoren sie begünstigen, haben Wissenschaftler vor viereinhalb Jahren begonnen, bundesweit eine Art Inventur zu machen. Für die sogenannte NAKO-Studie, das Kürzel steht für Nationale Kohorte, haben sie insgesamt 200.000 Bundesbürger rekrutiert, die inzwischen alle an einer ausführlichen medizinischen Untersuchung teilgenommen haben. Das Erreichen dieses Ziels wird in dieser Stunde bei einer Veranstaltung in Berlin gefeiert. Kurz bevor’s da los ging, hatte konnte ich mit der Vorstandsvorsitzenden der NAKO-Studie sprechen, mit der Epidemiologin Professor Annette Peters vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in München. Ich habe Sie als erstes gefragt: Wie wichtig ist der jetzt erreichte Meilenstein?
Annette Peters: Ja, das ist für uns das erste entscheidende Ziel gewesen. Weil wir haben uns vor fünf Jahren, als wir angefangen haben, zum Ziel gesetzt, 200.000 Männer und Frauen im Alter von 20 bis 69 Jahren für diese Studie zu gewinnen. Und das haben wir jetzt geschafft. Das heißt, damit ist praktisch der Grundstock für die NAKO-Gesundheitsstudie gelegt.
Untersuchung dauert vier bis sechs Stunden
Ralf Krauter: Welche Gesundheitsparameter wurden erfasst? Also welche Daten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden da jetzt katalogisiert und wie aufwändig war das für die Betroffenen?
Peters: Also wir haben uns bemüht, alle relevanten Volkskrankheiten abzudecken. Das geht über die Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die Stoffwechselerkrankungen wie den Diabetes, Lungenerkrankungen, Muskel-skelettale Beschwerden, also wie sozusagen unser Skelett beieinander ist, bis hin zu Krebserkrankungen und der seelischen Gesundheit. Also wir decken damit ein weites Feld ab und haben das durch Fragen auf der einen Seite gemacht, aber auf der anderen Seite auch durch Untersuchungen. Was dazu geführt hat, dass die Studienteilnehmer vier bis sechs Stunden bei uns in den Studienzentren verbracht haben. Und wir haben außerdem einer Untergruppe auch noch angeboten, eine Ganzkörper-Magnetresonanztomographie-Aufzeichnung mitzumachen. Und die waren dann noch mal eine Stunde in diesem Gerät.
"Kein Gesundheits-Checkup, sondern ein Querschnitt"
Krauter: Man muss sich das schon so vorstellen, dass das ein Rundum-Checkup war - also inklusive Blutprobe nehmen, Urinprobe abnehmen und das alles überprüfen?
Peters: Genau. Zusätzlich waren eben noch die Bioproben: Blut, Urin, Speichel, Nasenabstrich und Stuhlgang. Und wir haben dann auch erste Laboranalysen durchgeführt. Und die haben die Studienteilnehmer auch zurückgespielt bekommen. Das heißt, wenn es da irgendwelche Auffälligkeiten gab, haben wir sie informiert und gebeten, dann ihren Hausarzt aufzusuchen und dies nachzuverfolgen. Wobei wichtig ist, zu sagen, dass es eben eigentlich kein Gesundheits-Checkup war, sondern wir wollten wirklich so einen Querschnitt über den Gesundheitszustand haben in der Bevölkerung.
Krauter: Die NAKO-Gesundheitsstudie ist die größte multizentrische Langzeitstudie, die in Deutschland je in Angriff genommen worden ist. Kann man denn aus den bisher erfassten Daten schon irgendwelche spannenden Erkenntnisse ableiten? Oder ist das jetzt erst der Startschuss?
Peters: In gewisser Weise ist das der Startschuss, aber wir haben natürlich schon mal in die Daten hineingeguckt. Und da ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu sagen, dass wir erst mal sehr froh sind, dass wir das sehen, was wir auch erwartet hätten. Zum Beispiel berichten 15 Prozent der Studienteilnehmer, dass sie schon jemals eine Diagnose vom Arzt für eine Depression bekommen haben. Obwohl das dann sehr viele Personen sind, also wenn man hochrechnet, von 200.000 sind es 30.000 Personen, dann ist es aber so, wie man das auch erwarten würde. Oder migräneartiger Kopfschmerz: Den hat jeder Zehnte. Und das bedeutet, dass man mit so einer großen Studie da wirklich genauer hingucken kann.
Zweite Untersuchung im Abstand von vier Jahren
Krauter: Wie geht es jetzt weiter? In welchem Abstand werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer jetzt erneut gescreent?
Peters: Also seit Ende des Jahres werden schon die ersten Studienteilnehmer und Studienteilnehmerinnen wieder eingeladen. Das heißt, so rund im Abstand von vier Jahren führen wir jetzt eine zweite Untersuchung durch. Und wir sind sehr, sehr froh und stolz, dass wir die finanzielle Unterstützung des Bundes, der Länder und der Helmholtz-Gemeinschaft haben, das in der Tat auch allen Personen, die bereit sind, wiederzukommen, anbieten zu können.
Krauter: Wie stellen Sie denn sicher, dass da möglichst Wenige abspringen? Denn das ist ja letztlich die größte Gefahr bei solchen Langzeit-Studien und damit die größte Herausforderung.
Peters: Ja. Also wir hoffen, dass wir natürlich beim ersten Mal schon durch die interessanten Untersuchungen überzeugt haben. Ansonsten hoffen wir sehr, dass wir jetzt auch regelmäßig über die Studie berichten können und dadurch weitere Motivation schaffen können. Was uns sehr gefreut hat, ist: Wir haben also schon wieder die ersten 6.000 Personen untersucht, und die Bereitschaft, noch ein zweites Mal zu kommen, war bisher sehr gut. Selbst in solchen Großstädten wie Berlin - wo es sehr schwierig war, Personen für diese Studie zu gewinnen, weil Großstädter einfach nicht so viel Zeit haben - selbst da ist die Bereitschaft, ein zweites Mal zu kommen, wirklich gut.
Krauter: Welche konkreten Ergebnisse könnte denn die NAKO-Studie, wenn wir ein bisschen vorausschauen, in den nächsten zehn beziehungsweise 20 Jahren liefern?
Peters: Also zum Beispiel könnte sie anschauen: Wie wirkt Stress oder seelische Gesundheit sich auf andere Komorbiditäten aus? Was macht Hitze mit uns? Das ist gerade ja hochaktuell heute in ganz Deutschland. Wir erwarten auch, dass wir Hinweise auf Prävention, also auf Vorsorge bekommen und neue Medikamente entwickeln können, zusammen mit Grundlagenforschern und klinischen Partnern.
Heutige Empfehlungen basierten auf veralteten Daten
Krauter: Abschließende Frage: Wie würden Sie die Rolle dieser NAKO-Studie für das deutsche Gesundheitswesen bewerten? Wie wichtig ist die?
Peters: Ich glaube, sie wird eine ganz entscheidende Rolle spielen, weil wir ja heute schon unsere gesundheitsorientierten Entscheidungen an Studien ausrichten: Was wir essen, wie viel Sport wir machen sollen. Aber es hat sich doch sehr viel geändert. Die Empfehlungen, denen wir heute folgen, sind zum Teil auf Daten aufgebaut, die vor 30 bis 20 Jahren initiiert wurden. Und inzwischen ist doch unsere Lebenswelt anders. Außerdem kann zum Beispiel die Bildgebung auch Hinweise geben: Welche Veränderungen, die man möglicherweise mit modernen medizinischen Diagnoseverfahren sehen kann, sind denn wirklich zehn Jahre später mit einer Krankheit assoziiert, und welche sind vielleicht nur Veränderungen, auf die gar keine Krankheit folgt? Oder wenn man dann einen gesundheitsbewussten Lebensstil hat, dass man dem gut entgegenwirken kann? Also ich glaube, dass auch unser gesamtes Gesundheitssystem und die Versorgung davon profitieren wird.
Krauter: Weil man sozusagen Ressourcen optimiert einsetzen könnte?
Peters: Genau, und weil man besser versteht, wer krank wird und wer gesund bleibt. Und wir sind ja doch als Menschen relativ unterschiedlich.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.