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Namensgebung für Tiere
Namen, die die Welt ordnen

Wie kommen neu entdeckte Tier- oder Pflanzenarten eigentlich zu ihren Namen? Der Biologe Michael Ohl arbeitet am Museum für Naturkunde in Berlin, wo es pro Jahr zu rund 500 Namensgebungen kommt. Davon erzählt er in seinem Buch "Die Kunst der Benennung" - eine amüsante Expedition durch die Geschichte der Naturkunde, Museen und Wildnis.

Von Thomas Palzer | 17.09.2015
    Mit der Seide der Nephila-Spinne wollen Mediziner verletzte Nerven heilen.
    Tier haben manchmal seltsame Namen: Mit der Seide der Nephila-Spinne wollen Mediziner verletzte Nerven heilen. (picture alliance / dpa / M.A.Pushpa Kumara)
    Wie ist der Kuckuck zu seinem Namen gekommen? Und der Maulwurf? Wirft er wirklich mit seinem Maul? Und warum trägt die Diva unter den Pferdebremsen - die mit dem goldenen Hinterteil - den Namen der R&B-Sängerin Beyoncé?
    All diesen Fragen widmet sich der Taxonom, Insektenforscher und Biologe Michael Ohl in seinem Werk "Die Kunst der Benennung", das vor Kurzem im Berliner Verlag Matthes & Seitz erschienen ist. In einer amüsanten Expedition durch die Geschichte der Naturkunde, durch Museen und Wildnis eröffnet uns der Autor eine eigentümliche Welt, für die der Nichteingeweihte nicht so ohne Weiteres Zugang hat.
    "Wie kommen Tiere zu ihrem Namen? Was steckt dahinter, wenn Insekten nach Adolf Hitler oder Beyoncé benannt werden? Und welche Person ist eigentlich das Vorbild für die Bezeichnung 'Mensch'?"
    Es ist immer der Namensgeber, der sich in dem Namen, den er verliehen hat, selbst bespiegelt. Unmöglich, sich in der Wirklichkeit zurechtzufinden, wenn die Dinge keinen Namen haben. Zurechtfinden heißt ja immer auch: zum Recht finden. Und dafür muss man die Dinge beim Namen nennen können. Die Lesbarkeit der Natur hängt nun einmal von Wörtern ab, mit denen wir sie und das, was sie beinhaltet, etikettieren. Namen garantieren und repräsentieren das, was existiert - und alles, was existiert, verlangt nach einem Namen.
    Namensrechte ersteigern für einen guten Zweck
    "1999 wurde die deutsche Organisation BIOPAT e. V. gegründet, die unbeschriebene Arten an Spender vermittelt. Das eingenommen Spendengeld wird zur Hälfte für taxonomische Forschung eingesetzt und zur anderen Hälfte zum Schutz der biologischen Vielfalt. Bis 2013 hat BIOPAT nach eigenen Angaben 620.000 Euro erwirtschaftet."
    2007 entdeckten Entomologen in der Sammlung des Florida Museum of Natural History eine ungewöhnliche, unbeschriebene Schmetterlingsart aus Mexiko. Sie erreichte bei der Ersteigerung durch einen anonymen Bieter 40.800 US-Dollar und wurde nach Margery Minerva Blythe Kitzmiller benannt, einer lokalen Berühmtheit aus dem US-Bundesstaat Ohio. Sie trägt den wissenschaftlichen Namen Opsiphanes blythekitzmillerae.
    Der Kuckuck übrigens ist zu seinem Namen durch eine lautmalerische Nachahmung gekommen - ebenso wie der Fink, der Kauz oder die Krähe. So Michael Ohl.
    Einen Namen zu verleihen, das ist für den Namensgeber nicht immer einfach. Gerade hat die Weltgesundheitsorganisation eine Empfehlung veröffentlicht, wie Forscher, Journalisten und andere in Zukunft Krankheiten benennen sollten. Es geht der WHO darum, dass für neu entdeckte Krankheiten neutrale Bezeichnungen gefunden werden, die weder Orte noch Menschen oder Tiere diskriminieren. So wurde AIDS zunächst gay related immunodeficiency genannt - zu deutsch: Schwulen-Immunschwäche. Auch die Legionärskrankheit dürfte als Name bei Legionären auf wenig Gegenliebe stoßen - so wenig wie die Affenpocken bei den Affen.
    Ein grüner Teichfrosch sitzt in Petershagen unter dem ausladenden Blatt einer Seerose. 
    Ein grüner Teichfrosch sitzt unter dem ausladenden Blatt einer Seerose. (picture alliance / dpa / Boris Roessler )
    Sokrates: Man muss sich an das Ding selbst halten
    Im platonischen Dialog Kratylos wird zwischen Sokrates und zwei fiktiven Gesprächsteilnehmern erörtert, ob es bei Namen und Bezeichnungen so etwas wie Richtigkeit gibt - oder ob Namen prinzipiell auf Willkür, Vereinbarung oder Gewohnheit fußen. Sokrates jedenfalls vertrat die Auffassung, dass man sich an die Dinge selbst halten muss, wenn man zu gesicherter Erkenntnis gelangen will; wer sich dagegen nur an die Namen halte, könne nicht zu wirklichem Wissen gelangen. Zwischen dem Gegenstand und seiner Benennung sah er keinen noetischen Strahl wirken.
    "In der Regel sind es zwei große Probleme, die sich dem Taxonomen oder Artbeschreiber in der Weg stellen: Zum einen muss er sich fragen, ob es sich bei der Art, die er beschreiben will, tatsächlich um eine unbeschriebene Art handelt ... und zum anderen, ob die neu gefundene Art nicht vielleicht doch bereits entdeckt, beschrieben und benannt wurde."
    Seit Linnés "Systema Naturae", also seit 1758, werden kontinuierlich neue Arten beschrieben - aber besonders in der älteren Literatur nicht selten mit wenig Details und an nur schwer zugänglichen Orten. Für den Menschen jedenfalls stellt die Benennung eine Entlastung vom Absolutismus der Wirklichkeit dar. Der schieren Unendlichkeit dessen, was die Wirklichkeit bietet, versucht er durch ein Korsett von Namen und Klassifikationen Herr zu werden. Wer für diese Tätigkeit des Sammelns, Klassifizierens und Benennens eine Leidenschaft entwickelt, bei dem kommt der Mensch als Jäger und Sammler gewissermaßen zu sich selbst.
    Irrtümer bei der Namensgebung
    "Weil Benennung immer auch einen subjektiven und emotionalen Anteil hat, soll von der Kunst der Benennung anhand der Künstler, also der Taxonomen, erzählt werden, für die die Fortschreibung des "Katalogs des Lebens" nicht selten den Lebensmittelpunkt darstellt. Und es sind diese Menschen, die unser Bild von der Natur durch ihre Entdeckung und Benennung des Großen Pandas, der Triceratops, des Zwergflusspferdes, aber auch der vielen weniger charismatischen Insekten, Schleimpilze und Strudelwürmer verändern und bereichern."
    Es gibt allerdings auch Namensgeber, die sich geirrt haben, aber eine falsche etymologische Herleitung muss die Zunft der Taxonomen erdulden.
    "So besitzt die Grabwespenart Podium sexdentatum keine sechs Zähne an ihrem Kopfschildrand, wie Ernst Ludwig Taschenberg behauptet hat, sondern sieben. Vielleicht hat er sich schlicht verzählt, was aber ungewöhnlich wäre, weil Strukturen, die bei einem zweiseitig symmetrischen Organismus in gerader Zahl quer zur Köperlängsachse auftreten, ein ganz anderes und leicht erkennbares Muster bilden als ungeradzahlige."
    Seltsame Beweggründe hinter der Ordnung
    Den Zusammenhang zwischen sprachlicher und räumlicher Ordnung lässt sich in jedem Museum bewundern. Es dokumentiert in seinen Räumen das Kräftespiel der Begrifflichkeiten. Entdeckungen bringen es nämlich mit sich, dass Arten in eine neue Gattung – und damit einen neuen Saal oder einen neuen Schrank verschoben werden müssen.
    "Werden neue Kenntnisse über ein Objekt gewonnen, wird es plötzlich wie von einem Sog zu einem anderen Regal, in die Nachbarschaft anderer Objekte gezogen."
    Es sind also die Namen, die die Welt ordnen. Aber hinter dieser Ordnung stehen die seltsamsten und eigentümlichsten Beweggründe, die dazu geführt haben, dass der Namensgeber diesen und keinen anderen Namen gewählt hat. Erst Linné ordnete die Natur systematisch. Dass er die Natur geordnet hatte, schmeichelte seiner Eitelkeit und seinem bekanntermaßen mächtigen Ego. In seinem System beschrieb der den Menschen auf immerhin fünf Seiten inklusive einer mehrseitigen Fußnote. Vorangestellt hat Linné diesem Artikel den Aphorismus:
    "Homo nosce te ipsum – Mensch, erkenne dich selbst."
    Ein Botaniker namens William Thomas Stearn war es dann, der Linné beziehungsweise dessen archivierte Überreste in den 1950er Jahren gewissermaßen auf sich selbst anwandte - und tatsächlich zum Lectotypus des Menschen erklärte, zum auserwählten Typus oder Urmeter des Homo sapiens. Vielleicht ganz passend, ist doch immerhin Linné es gewesen, der dem Menschen den Titel Homo sapiens verliehen hat: als jemanden, der in seinem Da weise ist.
    Michael Ohl: Die Kunst der Benennung, Berlin 2015, Matthes & Seitz, 318 Seiten, 29,90 Euro