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Nanine Linning
Leiber des Hieronymus Bosch

Vor 564 Jahren wurde der Erfinder der Wimmelbilder geboren: Hieronymus Bosch. Seine Bilder zeigten Grässliches: Sünde und Qual, zermarterte Leiber, Höllenbrut und Teufelszeug. Die niederländische Choreografin Nanine Linning hat sich von ihm inspirieren lassen und einen Hieronymus-Bosch-Abend in Heidelberg erdacht.

Von Christian Gampert | 19.01.2015
    Der Schriftzug "Theater Heidelberg" ist am 17.11.2012 in Heidelberg (Baden-Württemberg) an der Außenfassade des Theatergebäudes zu sehen.
    Am Heidelberger Theater inszeniert Nanine Linning ein vielseitiges Tanzabend. (picture alliance / dpa / Uwe Anspach)
    Nanine Linning wollte schon immer mehr sein als eine Choreografin. Seit sie die holländische freie Szene verlassen hat und große Theaterapparate bedienen darf, ist ihr Ziel das Gesamtkunstwerk: Tanz, Skulptur, Bühne, Licht, Video, Musik. Für ihren Hieronymus-Bosch-Abend hat sie bei dem Komponisten Michiel Jansen dunkle Klangcollagen bestellt und die Heidelberger Kostümabteilung wahrscheinlich halb in den Wahnsinn getrieben - die vielen flügelschlagenden Tier-Mensch-Misch- und Fabelwesen, die Teufel und Gaukler, die Engel und Kröten, die da ausgestattet (und dann getanzt) werden mussten, sind schon mal eine kleine museale Geisterbahn für sich.
    Theater der Perfektion
    Trotzdem ist das, was Linning macht, am ehesten mit dem Begriff "Design" zu fassen. Alles bei ihr ist designt und durchgestylt, das lässt ihr Theater der Perfektion manchmal auch leerlaufen. Individuen werden bei ihr kaum kenntlich, immer ist es das Gesamtbild, das zählt. Das ist natürlich die adäquate Methode, will man die Wimmelbilder des Hieronymus Bosch aufs Theater bringen. Linning hat den Abend als Triptychon konzipiert - das große Altarbild kommt zuletzt. Das Publikum wird zunächst in zwei Gruppen geteilt, deren eine durch einen sakral inszenierten, düsteren Jahrmarkt der Monstrositäten geführt wird, während die andere einen merkwürdigen Lehrfilm über das Leben des Hieronymus Bosch verabreicht bekommt. Dann wird getauscht. Ab und zu huschen grässliche Frösche und dergleichen vor die Didaktik-Leinwand, aber der gesamte pädagogische Teil ist entbehrlich.
    Wirklich beängstigend und verrückt dagegen ist die skulpturale Geisterbahn, die theatrale Installation, die jenen vom Christentum bekämpften, sündigen Kosmos aus Sex, Trunksucht und Völlerei beschwört: Wir sind ganz nah bei den Tänzern. Sich windende, wunderschöne Frauenleiber, die aus einem pfeildurchbohrten riesigen Ohr heraushängen oder sich um einen großen Schlüssel schlängeln, messerwetzende Gaukler auf einem Weinfass mit einem Anus als Spundloch, ein grüner Drache mit trompetenartigem Rüssel, Eingekerkerte und Verrückte, der Narr im Narrenschiff, Kröten und Eulen am Würfeltisch: die Inszenierung zitiert schon in diesem dunklen Präludium die religiösen Symbole, die Allegorien und den Typenreichtum des Hieronymus Bosch, ja, sie läßt uns diese gewalttätige Welt am Umschlagpunkt vom Spätmittelalter zur Neuzeit bedrohlich auf den Leib rücken. Dazu dumpfes Grollen und später auch geistliche Musik.
    Nach der Pause geht dann die große Bühne auf, und aus einem kahlen Baum recken sich Hände heraus, dann Leiber, kleine, ameisenartige nackte Menschlein, die zu fallen scheinen, nach oben weggespreizte Beine, die sich mit abgehackten Bewegungen gegen das Unheil wehren. Linning nimmt die sieben Todsünden als Reiseführer durch dieses choreografische Fegefeuer und bezieht sich in großen Tableaux immer wieder auf Boschs Hauptwerke, vor allem auf den "Garten der Lüste" und den "Heuwagen" - bis hin zu den (Himmels-)Leitern, an denen die Verdammten sich hochhangeln.
    Bezug zu heute?
    Die Frage ist natürlich, was das alles uns heute angeht. Sicher, im nächsten Jahr ist Bosch 500 Jahre tot, und Heidelberg prescht zum Jubiläum schon mal vor. Andererseits ist dieser surreale, angstbesetzte, alptraumhafte christliche Kosmos aus Sünde und Strafe uns wieder nähergerückt, seit mit dem Islam die Religion den öffentlichen Diskurs bestimmt. Überwachen und Strafen, das sind auch islamische Methoden; Linning bewegt sich in überwunden geglaubten christlichen Machttechniken und Bildwelten, doch der heutige islamische Kontext schwingt für uns da natürlich mit.
    Boschs Figurenarsenal wird von Linning relativ perfekt auf die Bühne gehievt, all die erbarmungswürdigen Sünder, all die Verrückten und athletischen Veitstänzer, die rothäutigen Teufel und silbern schimmernden Erzengel. Großer Aufwand, großes Theater. Mit etwas Distanz könnte man sagen: Der Abend ist der choreografierte Clip zum Museumsbild. Aber wie das getanzt ist, mit welcher Kraft und Anmut, Expressivität und manchmal auch Demut, das ist sehr sehr stark. Zwischendrin labt sich Linning an den verführerisch-flüssigen Bewegungen weiblicher Körper, und am Ende klammern sich Adam und Eva auf einem großen Granatapfel aneinander: das sind die Tröstungen des Leibes, und sie sind ganz irdisch.