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Nanomaterialien
Proteinhülle bedeckt Partikel im Körper innerhalb von Sekunden

Biologie. - Nanomaterialien gehören zu den zukunftsträchtigsten Entwicklungen der Industrie. Heiß umstritten ist noch ihre Wirkung im Körper. Mainzer Forscher haben jetzt erforscht, was geschieht, wenn Nanopartikel in die Blutbahn gelangen.

Von Volker Mrasek | 21.11.2013
    "Korona" heißt Kranz oder Krone. Man kennt den Begriff aus der Astronomie. Die Sonne umgibt sich mit einem heißen äußeren Plasmaring, der so genannt wird. Eine Korona legen sich aber auch winzig kleine Nanopartikel zu. Und zwar dann, wenn sie in Kontakt mit biologischen Systemen kommen und zum Beispiel im Blut landen. Dazu Roland Stauber, Professor für Molekulare Tumorbiologie an der Universitätsklinik Mainz:
    "Aufgrund ihrer Nanostruktur ziehen diese Teilchen gerne alles an, was sich in diesen Umgebungen bewegt und umkleiden sich sozusagen mit einem Gewand, mit einer Korona. Und gehen dann eigentlich auch erst auf die Reise im Körper. Und sehen dadurch natürlich ganz anders aus, als man das vorher gedacht hatte."
    Die Korona bildet sich aus körpereigenen Proteinen. Wie Zwiebelschalen hüllen sie das Nanomaterial ein. Das ist zwar schon länger bekannt. Nicht aber, daß die Korona aus 300 verschiedenen Eiweißen bestehen kann und sich auch praktisch nicht mehr verändert, wenn sie einmal geformt ist. Das hat die Arbeitsgruppe des Mainzer Biologen jetzt in Laborversuchen beobachtet. Dabei brachte sie die Teilchen mit menschlichem Blutplasma in Kontakt. Stauber:
    "Was wir eben auch herausgefunden haben, ist, daß diese freien Nanomaterialien, wie sie hergestellt werden industriell oder auch in Forschungslaboratorien, dann sehr schnell von dieser Schale belegt werden."
    Sehr schnell bedeutet: innerhalb von Sekunden und nicht von Stunden oder Tagen. Davon sei die Fachwelt aber bisher ausgegangen, sagt Dominic Docter, Biologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Mainzer Uni-Klinik:
    "Die Frage, die man sich jetzt stellen muss, ist: Gibt es überhaupt in einer biologischen Umgebung nackte Nanopartikel? Und da würden wir jetzt eher sagen: Nein, die gibt es nicht! Und wenn, dann sind es wirklich nur wenige Sekunden."
    Ein Nano-Kern, nach außen abgeschirmt durch die Eiweiß-Hülle - so sieht es Roland Stauber.
    "Und die entscheidet dann natürlich auch, wie die Teilchen auf Zellen, Organe und Organismen letztendlich wirken."
    Bioinformatiker haben im Computer modelliert, was geschieht, wenn Nanopartikel im Blut landen. Stauber:
    "Und da sieht man, daß viele Eiweiße der Blutgerinnung zum Beispiel sich an Nanomaterialien anreichern. Oder Eiweiße, die bei Entzündungsreaktionen beteiligt sind. Das heißt aber jetzt noch nicht, daß es ganz klar erwiesen ist, daß diese Eiweiße dann auch letztlich diese Reaktionen auslösen."
    ...daß es also zu Entzündungen kommt oder die Blutgerinnung gestört wird. Bei den Experimenten zeigten sich sogar positive Wirkungen der Protein-Korona. Jedenfalls im Fall von Siliziumdioxid, einem Nanomaterial, das schon heute eingesetzt wird, zum Beispiel als Fließmittel in Ketchup und anderen Lebensmitteln. Damit experimentierte Dominic Docter bevorzugt:
    "Also, in unseren Tests sieht es eher so aus, daß sobald eine Korona um die Partikel drum 'rum ist, Partikel, die vorher toxisch waren in einer gewissen Konzentration, nach der Beladung mit Proteinen diesen toxischen Effekt nicht mehr haben."
    Für Nanopartikel gibt es schon heute biomedizinische Anwendungen, und die Teilchen landen tatsächlich im Blut von Patienten. Ärzte verabreichen zum Beispiel Eisenoxid-Partikel als Kontrastmittel. Roland Stauber fürchtet, daß die Eiweiß-Hülle bei solchen technischen Anwendungen eher stört, weil sie die Oberfläche der Nanopartikel "verklebt", wie er sagt:
    "Wir versuchen eben auch, Tumorzellen im Blut nachzuweisen. Da werden eben diese Nanopartikel mit Antikörpern ausgestattet, welche die Tumorzellen erkennen sollen. Und hier konnten wir eben auch zeigen: In Anwesenheit dieser gemeinen Eiweiß-Korona erkennen unsere Partikel diese Tumorzellen weitaus weniger effizient."
    Nanoforschern, Toxikologen und Kontrollbehörden rät Roland Stauber auf jeden Fall, in Zukunft nicht mehr nur mit den nackten Partikeln zu arbeiten:
    "Jeder, der sich mit dieser Thematik beschäftigt, muss sich auch mit der Korona beschäftigen. Da führt kein Weg vorbei! Auch wenn es nicht einfacher wird. Das ist ganz klar!"