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Nanotapete
Winzige Bauteile, die sich von selbst zusammenrollen

Technik im Maßstab von Milliardstel Metern – das ist das Feld der Nanotechnologie. In den Alltag hat sie bislang allerdings nur bedingt Einzug gehalten. Umso eifriger schmieden Forscher neue Konzepte für die Zukunft.

Von Frank Grotelüschen | 14.01.2014
    Das Ärgernis kennt jeder Heimwerker: Die Tapetenrolle ist auf dem Tisch ausgerollt, die nächste Bahn mit Sorgfalt abgemessen, da schnurrt sie, kaum mit der Schere abgeschnitten, wieder in sich zusammen, muss mühsam entrollt und mit Gewichten beschwert werden, damit sich endlich der Kleister auftragen lässt. Der Grund: Die Tapetenbahn steht unter einer gewissen mechanischen Eigenspannung. Und diese Spannung zwingt sie, sobald losgelassen, wie von Geisterhand zurück in die Rollenform. Für Oliver Schmidt aber, Direktor am Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung in Dresden, ist der Effekt alles andere als ärgerlich. Er macht sich die mechanische Eigenspannung zunutze – und zwar für Sensoren im Nanomaßstab.
    "Das sind Sensoren, die mit konventionellen Methoden auf Oberflächen abgeschieden werden. Die aber so abgeschieden werden, dass sie eine Vorverspannung haben. Wenn man die dann von der Oberfläche abhebt, rollen die sich von alleine zu kleinen multifunktionalen Röhrchen auf der Oberfläche auf."
    Mit der heutigen Technik lassen sich Sensoren zwar leicht auf eine Fläche aufbringen, also auf zwei Dimensionen. Deutlich schwieriger ist es, will man dreidimensionale Bauteile herstellen. Genau hier hilft der Trick aus Dresden. Zunächst bringen die Forscher die gewünschte Struktur mit herkömmlicher Technik auf eine nanometergroße Fläche auf. Anschließend rollt sich diese Fläche dann von selbst zu einem winzigen Röhrchen auf. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig, sagt Schmidt.
    Aufrollbare Minitransitoren
    "Da wir sehr viele verschiedene Materialien in so ein Röhrchen integrieren können, haben wir verschiedenste Funktionalitäten. Wir können winzige Transistoren aufrollen. Oder auch magnetische Materialien, dann haben wir magnetische Sensoren. Die Röhrchen sind automatisch auch winzige Mikrokanäle für Flüssigkeiten. Alles was in Flüssigkeit schwimmt, können wir gezielt durch die Röhrchen bringen und elektronisch, optisch oder magnetisch detektieren."
    Eine Art Nano-Reagenzgläschen also mit eingebauter Sensorfunktion. Es könnte als Forschungswerkzeug für die Biologie taugen, aber auch als Mini-Labor für die Medizin.
    "Das Labor, was ja eigentlich sehr groß ist im Krankenhaus, möchte man sehr klein auf einem einzelnen Chip integrieren. Hier wollen wir ein Labor schaffen, das nur noch in einer einzigen Röhre stattfindet. Und dann auf einem Chip ganz viele, sodass man die Daten parallel analysieren und detektieren kann."
    Die Vision: Schnelle Bluttests direkt am Krankenhausbett oder in der Arztpraxis, das Resultat wäre sofort da. Funktionierende Prototypen solcher Sensorröhrchen haben die Dresdner bereits gebaut. Nun gilt es, verschiedene Sensortypen zu kombinieren und gemeinsam auf einem Chip unterzubringen – eine technologische Herausforderung. Doch Schmidt hat noch etwas anderes mit seiner Aufrolltechnik vor: Er kann damit nicht nur winzige Rollen wickeln, sondern auch eine Schultüte im Mikroformat. Und mit der lässt sich dann – kein Scherz – ein Spermium einfangen.
    Ein Spermium wird eingefangen
    "Dieses Spermium kann man in diese konischen Mikroröhrchen einbringen. Die treiben dann dieses Mikroröhrchen an. Die Mikroröhrchen sind magnetisch, sodass man dieses kombinierte System aus Röhrchen und Spermium magnetisch zu einem beliebigen Ort steuern kann."
    Das Spermium schwimmt ins offene Ende der winzigen Tüte und bleibt drin stecken. Bewegt es nun seine Geißel hin und her, treibt es unweigerlich die Tüte vor sich her. Und da die Tüte aus magnetischem Material besteht, lässt sie sich von außen gezielt durch ein Magnetfeld lenken – gewissermaßen ein magnetischer Geleitschutz für Spermien. Mit Spermien von Rindern ist das im Dresdner Labor bereits gelungen. In Zukunft soll das auch mit denen von Menschen klappen.
    "Die Anwendung wäre die assistierte künstliche Befruchtung, indem man die wenigen beweglichen Spermien des Mannes nimmt, in die magnetischen Röhrchen einfängt und dann zur weiblichen Eizelle steuert mit dem Magnetfeld."
    Dort angekommen soll sich die magnetische Mikrotüte entfalten und das Spermium wieder freigeben. Wann allerdings die Versuche mit menschlichen Spermien starten, ist noch nicht absehbar. Zuvor nämlich wollen Schmidt und seine Leute diese höchst ungewöhnliche Art der künstlichen Befruchtung erst mal an Tieren erproben.