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Nanotechnologie
Nanobomben aus Wasser

In Form von Nanopartikeln verändern sich die Eigenschaften vieler Stoffe. US-Forscher konnten erstmals stabile Wassertropfen im Nanomaßstab erzeugen. Ein überraschender Effekt: Nanowasser wird zum Desinfektionsmittel.

Von Lucian Haas | 08.01.2014
    Es war die pure Neugier, die den Nanotechnologen Philip Democritou und Kollegen von der Harvard University dazu trieben, sich mit Nanowasser zu beschäftigen:
    "Wir wissen, dass jedes Material, das man in den Nanomaßstab bringt, einzigartige Eigenschaften besitzt - sowohl physikalisch, chemisch, morphologisch wie auch biologisch. Das brachte uns auf die Idee: Wenn wir Wasser per Elektrospray in Nanotröpfchen verwandeln könnten, was passiert dann mit dem Wasser?"
    Beim Elektrosprayverfahren werden Flüssigkeiten mithilfe eines elektrischen Feldes zerstäubt. Dabei entstehen sehr feine, nahezu gleichförmige Tröpfchen, die elektrisch geladen sind. Philip Democritou gelang es, Wassertröpfchen mit nur 25 Nanometern Durchmesser herzustellen - 1000 Mal feiner als ein menschliches Haar. Und sie sind erstaunlich stabil, sagt Democritou:
    "Wir haben herausgefunden, dass die Ladung die Oberflächenspannung der Tropfen vergrößert und dadurch die Verdunstung reduziert. Diese technisch hergestellten Wassernanostrukturen schweben einfach in der Luft. Normalerweise würden Wassertropfen dieser Größenordnung in Sekundenbruchteilen verdampfen."
    Die per Elektrospray erzeugten Nanowassertropfen bleiben aber drei bis vier Stunden intakt. Und sie bestehen nicht mehr nur aus Wasser im eigentlichen Sinn. Democritou:
    "Beim Elektrosprayprozess wird das Wasser auch aufgespalten. Es entstehen Hydroxyl-Radikale und Superoxide, also hoch reaktive Sauerstoffradikale. Und diese Ionen sind in die 25-Nanometer-Wassertröpfchen eingekapselt."
    Aggressive Nanoteilchen
    Wegen dieser zusätzlichen Ionenfracht bezeichnet Philip Democritou die Wassertröpfchen auch als Nanobomben. Denn die enthaltenen Sauerstoffradikale sind extrem aggressiv. In Versuchen zeigte sich, dass Nanowasser zu einem wirkungsvollen Desinfektionsmittel wird. Wenn die frei in der Luft schwebenden Tröpfchen auf Bakterien treffen, reißen die enthaltenen Hydroxyl- und Sauerstoffradikale Löcher in deren Zellmembran und töten sie ab. Das eröffnet ganz neue Anwendungsfelder für Wasser, zumindest in dieser Nanoform.
    "Man kann es für die Desinfektion von Luft einsetzen oder damit frische Produkte aus der Landwirtschaft keimfrei halten. Denkbar ist auch die medizinische Wundbehandlung. Diese einfache und chemikalienfreie Technik könnte ein wirkungsvolles Mittel im Kampf gegen Infektionskrankheiten werden."
    Dabei stellt sich natürlich die Frage, wie gefährlich das Nanowasser für den Menschen werden könnte. Von anderen Nanopartikeln ist bekannt, dass sie, wenn sie über die Luft in die Lunge gelangen, dort Entzündungen und andere Zellschäden bis hin zu Krebs auslösen können. Zu seiner eigenen Überraschung fand Philip Democritou in ersten toxikologischen Tests an Mäusen keine solchen Anzeichen. Er erklärt sich diesen Effekt so:
    "Unsere Lungen sind innen mit einer feuchten Schleimschicht überzogen. Die Epithelzellen der Lunge sitzen hinter diesem Schleimmantel. Wenn die Nanowassertröpfchen auf den wässrigen Überzug treffen, werden sie sofort neutralisiert und lösen sich auf. Sie kommen also gar nicht mit den Epithelzellen in Kontakt, um Schäden und Entzündungen hervorzurufen, wie es andere Nanopartikel tun."
    Desinfizieren mit Wasser
    Die Forscher versprechen sich viel von dem neuen Ansatz: Nanowasser wirkt gegen Bakterien, ist für den Menschen aber vermutlich unbedenklich und dabei auch noch völlig rückstandsfrei. Bis die wasserbasierte Desinfektion irgendwo zum Einsatz kommen kann, werden aber noch viele weitere Studien nötig sein. Democritou:
    "Wir wollen natürlich die eventuellen Auswirkungen auf die Gesundheit besser abschätzen können. Die Ergebnisse der ersten toxikologischen Inhalationstests an Mäusen sind ermutigend. Aber wir müssen noch die möglichen langfristigen Effekte erforschen."
    Sollten auch dabei keine Probleme auftreten, wäre ein Alltagseinsatz denkbar - auch wenn die Pläne von Philip Democritou durchaus noch ein wenig nach Science-Fiction klingen. Er stellt sich unter anderem kleine Elektrosprayapparaturen vor, die man einfach an den USB-Anschluss seines Computers stecken kann. So könnte man um seinen Arbeitsplatz herum einen unsichtbaren Schutzschild gegen infektiöse Bakterien aus in der Luft schwebenden Nanowasserbomben aufbauen.