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"Nathan der Weise" am Münchner Volkstheater
Aktualisierte Ring-Parabel

Mit seiner Inszenierung von Lessings "Nathan der Weise" am Münchner Volkstheater holt Regisseur Christian Stückl die Fabel über Religionstoleranz und Humanismus ins Hier und Jetzt.

Von Rosemarie Bölts | 25.01.2015
    Regisseur Christian Stückl während einer Premierenfeier von "Jedermann" bei den Salzburger Festspielen in 2012.
    Regisseur Christian Stückl (picture alliance / dpa / Barbara Gindl)
    DAS soll, wie es bei Lessings "Nathan dem Weisen" angegeben ist, "der reiche Jude aus Jerusalem" sein? Kommt gerade von einer Geschäftsreise zurück, steht ganz entspannt mit seinem Köfferchen vor seinem abgebrannten Haus, und sieht aus wie der Opa aus der Schrebergartensiedlung. Über dem grauen Hemd ein gelbgraues Jersey-Blouson mit Strickbündchen und Reißverschluss, an dem er gern zwischendurch rumnestelt, Schlabberanzughose, hellgraue Bequemtreter an den Füßen und über der Kippa eine Schiebermütze. Wie der großartige August Zirner gerade in diesem gewöhnungsbedürftigen Kostüm den weisen "Nathan" gibt, kennzeichnet die Inszenierung des Münchner Volkstheaterintendanten Christian Stückl. Mit einem Multikulti-Ensemble aus Christen, Juden und Muslimen holt der welterfahrene Katholik Stückl Lessings Fabel über Religionstoleranz und Humanismus auch mithilfe der Kleidung ins Hier und Jetzt und bricht sie auf deren Alltagstauglichkeit herunter.
    Die schreit ja aktuell geradezu nach Anerkennung, Respekt und "Freundschaft" zwischen den Gläubigen, deren Protagonisten auf der Bühne des Münchner Volkstheaters durchaus ihre Klischees abbilden, aber auch politische Bezüge zeigen und das gewürzt mit dem kräftigen Sprachduktus von heute. "Scheiße" kommt auch vor. Typisch Stückl. Neben dem abgeklärten Juden Nathan und dem brüllenden wie überheblichen Tempelherrn, einem Kreuzzügler, sind es die Muslime mit der Figur des Saladin an der Spitze, die untereinander um die richtigen Gläubigen streiten:
    "Als ob man Christen nur, von Christen nur die Liebe zu gewärtigen. Glaub, mehr Armseligkeit, als dass wir dies nicht auch noch glauben können." - "Und gleichwohl irrst du dich. Die Christen sind nicht schuld. Die Tempelherren sind's. Diese Fanatiker sind's, diese Extremisten, dieses Hassdestillat. Das ist Schuld. Du kannst doch nicht diese Extremisten mit allen Christen in der Welt in einen Topf reingehören. Das ist kurzsichtig. Unpolitisch. Stupid."
    Kein Friede, Freude, Eierkuchen
    Bei der Bühne, auf der das ganze Religions-Kuddelmuddel und die hochgeistigen Gedankengänge dargestellt werden müssen, ist Minimalismus pur angesagt. Ein sanft geschwungener, heller Holzboden, der wie eine Welle die Bühne einnimmt. Sonst nichts. Und deshalb sofort mit jeder Szene den jeweiligen Ort assoziiert: Tempelberg, Moschee, Wüste, Jerusalem, Saladins Palast, Gassengewirr, der Kerker für politische, andersgläubige Gefangene. Mit dieser genial einfachen und einfach genialen Bühnenkonstruktion ist der Raum geschaffen für die inhaltschweren Dialoge wie den zwischen Nathan und Saladin:
    "Ich bin auf Geld gefasst. Und du willst Wahrheit. Wahrheit. So wahr, so blank, als ob die Wahrheit Münze wäre, wie Geld in den Sack, so steckte man den Kopf auf Wahrheit ein. - Kann sein, dass ich der erste Sultan bin, der eine solche Grille hat, die mich aber doch eines Sultans nicht so ganz unwürdig dünkt, nicht? Rede. - Du musst behutsam gehen. Denn, wenn kein Jude, dann könntest du mich fragen, warum kein Muselmann? - Das nenne ich einen Weisen. Nie die Wahrheit zu verhehlen, für sie alles auf das Spiel zu setzen, Leib und Leben, gut und Blut. - Na ja, wenn's nötig ist. Und nutzt."
    Und zum Schluss? Kein Friede, Freude, Eierkuchen, nicht bei Stückl. Stattdessen entwickelt er ein durchaus komisches Patchwork-Familiendesign, das den Krieg zwischen den Religionen als das entlarvt, was er ist: Nonsens. Wenn sich nämlich herausstellt, dass Recha nicht eigentlich Nathans Tochter, sondern die von Christeneltern ist, der christliche Tempelherr aber ihr Halbbruder und zudem der Sohn des Muslim Saladin, dessen Bruder wiederum irgendwie Christ war, und familiäre Bande mit Nathan bestehen, sind wir mittendrin im Hier und Jetzt und bei der Frage, die Lessing vor 200 Jahren so noch nicht gestellt hat: Welche Machtinteressen stecken wirklich hinter den sogenannten Religionskriegen?