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Nationaltheater Mannheim
Opernrarität von Händel

Es ist eine Mischung aus Oper und Oratorium: Händels "Hercules". 1745 wurde es in London nur konzertant uraufgeführt. Am Nationaltheater Mannheim ging jetzt zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte des Hauses Georg Friedrich Händels musikalisches Drama "Hercules" über die Bühne.

Von Ines Stricker | 12.12.2016
    Die Sänger Philipp Alexander Mehr und Eunju Kwon in Händels "Hercules" am Nationaltheater Mannheim
    Erstmals am Mannheimer Nationaltheater zu sehen: Händels "Hercules" (Nationaltheater Mannheim / )
    Für Dejanira ist es der unbeschwerteste Moment in der ganzen Geschichte: Ihr Mann, der längst tot geglaubte Kriegsheld und Halbgott Herkules, kehrt nach einem langen und erfolgreichen Schlachtzug endlich heim. Aber anstatt nun das eheliche Glück zu genießen, wird Dejanira von grundloser Eifersucht auf die schöne gefangene Prinzessin Iole zerfressen. Dejaniras Wahnvorstellungen bringen sie um den Verstand und kosten Herkules das Leben: Um seine vermeintlich verlorene Liebe wiederzuerwecken, schenkt sie ihm den kostbaren Mantel, den sie einst von einem sterbenden Zentauren erhalten hat, ohne zu ahnen, dass das daran haftende Blut giftig ist.
    Ehefrau des Helden im Fokus
    Auch wenn Händels musikalisches Drama also nach der Heldenfigur benannt ist: Im Mittelpunkt steht seine tragisch scheiternde Frau, erklärt Bernhard Forck, der "Hercules" in Mannheim dirigiert:
    "Die Dejanira ist wirklich insofern eine wahnsinnig interessante Figur, weil – sie ist die Hauptfigur, also die Entwicklung von ihrer Verzweiflung am Anfang durch die Abwesenheit Hercules, das ist wirklich Depression die Freude über die Wiederkehr, dann diese Ehekrise zwischen den beiden, wo sie ihn verhöhnt, weil er sich jetzt vom Krieg abwendet und sich wahrscheinlich anderen Frauen, wie sie denkt, zuwendet, also da gibt es diese gesamte Bandbreite; an dieser Figur sieht man eine menschliche Entwicklung, und musikalisch dargestellt, die wirklich beispielhaft ist."
    Händels Musik begleitet Dejanira und Hercules, deren gemeinsamen Sohn Hyllos und die schöne Iole mit klarer Charakterzeichnung durch alle Höhen und Tiefen. Anders als in seinen Opern verwendet Händel hier neben da-capo-Arien auch Accompagnato-Rezitative, an denen das ganze Orchester beteiligt ist und die die Handlung stärker vorantreiben.
    Brillanter Barockklang
    Am Barockklang hat der Geiger und Alte-Musik-Spezialist Bernhard Forck monatelang mit dem verkleinerten, auf modernen Instrumenten spielenden Orchester des Nationaltheaters Mannheim gearbeitet:
    "Mit dem Bogen entwickle ich den Klang, mit dem Bogen kürze ich Noten oder kann ich sie aufblühen lassen, und – also für mich sind solche artikulatorischen Fragen die wichtigsten eigentlich, und da, an dieser Klangentwicklung, versuch ich auch zu arbeiten. Und dazu haben wir natürlich auch im Continuo also Cembali, Lauten, also historisches Instrumentarium, die Blechbläser – Hörner und Trompeten – spielen auf Naturtrompeten, Naturhörnern, so dass wir so ein bisschen einen Mixklang haben, und dass uns das gelingt, einen wirklich sprechenden drastischen Klang, sehr facettenreichen Klang zu finden, der auch diese Direktheit bekommt, die auch die Musik braucht."
    Für ein veritables Bühnendrama wäre bei Händels opulentem "Hercules" also alles vorhanden: starke Figuren, eine stringente Handlung und musikalische Feinzeichnung. Aber Regisseur Nigel Lowery, auch für die Ausstattung zuständig, macht in Mannheim aus dem antiken griechischen Mythos einen wahren Kostümschinken mit einem Sammelsurium an Stilen und Zitaten: Ins Auge fallen vor allem spätgotische Spitzbögen und wallende Samtgewänder, und Herkules reitet zu Beginn in kriegerischer Rüstung auf einem echten Pferd ein. Damit verweist Lowery auf das Spätmittelalter, in dem es eine besonders intensive Auseinandersetzung mit der Figur des Herkules gab. Gleichzeitig aber erinnern Schiebekulissen und Gassen an die barocke Bühne, es flattert ein Hoftanz als Schattentheater über die Rückwand, und schließlich symbolisiert eine in den Theaterhimmel steigende Rakete die Entrückung des toten Herkules in den Olymp.
    Schöne bunte Bilder
    Zu einer Erhellung der faszinierenden psychologischen Hintergründe des "Hercules" vermag auch die Personenführung nur wenig beizutragen. Am ehesten gelingt noch die Charakterisierung der Dejanira als immer mehr vereinsamende Frau, von Mezzosopranistin Mary-Ellen Nesi eindringlich verkörpert. Wie ein harmlos bebildertes Märchen dagegen erscheint das Schicksal der gefangen Prinzessin Iole, die wie weiland Aschenputtel in einer schmutzigen Schürze niedere Dienste verrichtet, ehe sie dem Thronfolger Hyllos die Hand zum Ehebund reicht. Selbst Eunju Kwons beweglicher und mühelos strahlender Sopran konnte an diesem Eindruck nichts ändern. Umrahmt wurde das weitgehend spannungslose Geschehen vom Chor, der in Händels Musik eigentlich die Rolle des Betrachters übernimmt, wie Dirigent Bernhard Forck erklärt:
    "Dieser Chor entwickelt eine Kraft, in dem er den momentanen Stand der Entwicklung dieser Geschichte kommentiert und darstellt, und das sind dann die Momente, wo dann einen Moment inngehalten und etwas intensiver in dieses eine Gefühl hineingesehen wird. Und das ist für einen Opernchor eine richtige Herausforderung."
    Doch Regisseur Nigel Lowery hat auch den Chor mit in die Bühnenhandlung eingebunden, für Prozessionen, Empfänge und Reigen, so dass vor allem schöne bunte Bilder entstehen. Die bleiben von diesem Mannheimer "Hercules"-Abend szenisch denn auch noch am ehesten im Gedächtnis. Musikalisch dagegen schlug sich das verschlankte und von Bernhard Forck dirigierte Orchester des Nationaltheaters recht wacker, und die Solisten überzeugten in ihren hoch anspruchsvollen, koloratur- und ausdruckssatten Partien. Dennoch alles in allem ein Mannheimer Premierenabend, der in Sachen Händel-Inszenierung durchaus Luft nach oben lässt.