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Nato-Einsatz in Afghanistan
Keine Stabilität in Sicht

Seit 2001 sind die Bundeswehr und andere internationale Truppen in Afghanistan stationiert. Aus einer zunächst populären Mission ist ein langer und verlustreicher Kriegseinsatz geworden. Trotz Milliarden-Investitionen sind die afghanischen Sicherheitskräfte weiterhin nicht in der Lage, das ganze Land zu sichern.

Von Sabina Matthay | 01.08.2017
    Bundeswehrsoldaten verteilen im Distrikt von Charah Darreh nahe Kundus während einer Patroillle Bonbons an Kinder. Die Soldaten suchten nach versteckten Sprengfallen und deren Urhebern. (August 2011)
    Mit 980 Soldaten ist Deutschland zweitgrößter Truppensteller der Operation "Resolute Support" in Afghanistan. (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Dezember 2001: Der Deutsche Bundestag debattiert die Teilnahme der Bundeswehr an der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe ISAF. Der Frieden in Afghanistan sei nur durch Krieg näher gerückt, argumentiert der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, der um Zustimmung für das Mandat wirbt.
    "Krieg trifft Unschuldige. Das ist keine Frage. Aber das Beispiel Afghanistan zeigt: Nur mit Hilfe militärischer Gewalt konnte verhindert werden, dass auch in Zukunft Unschuldige unendlich leiden müssen."
    Aufgabe, Ort und Dauer des Einsatzes sind begrenzt. Die ISAF soll mit Genehmigung der Vereinten Nationen die Übergangsregierung des neuen afghanischen Präsidenten Karzai unterstützen, in Kabul, sechs Monate lang.
    Anders als um Operation "Enduring Freedom", in deren Rahmen vorher schon deutsche Spezialkräfte an der Seite amerikanischer Truppen zur Terrorbekämpfung an den Hindukusch entsandt worden waren, gibt es um den friedenserzwingenden Einsatz der ISAF keinen Streit im Bundestag. Die überwältigende Mehrheit der Abgeordneten billigt das Mandat.
    Zunächst eine populäre Mission
    Auch die Zustimmung in der deutschen Bevölkerung war groß, erinnert sich der Grünen-Politiker Tom Königs.
    "Nach 9/11 war es völlig klar, dass man den Amerikanern zur Seite steht. Das war der Anlass der Intervention und der war von weiten Kräften getragen. Der war in hohem Maße populär. Und das war angesichts der Anschläge in New York auch richtig."
    Zur Popularität der Mission trugen die Bilder aus Afghanistan bei. Die Menschen dort jubelten den ausländischen Truppen nach der Befreiung von den Taliban zu. Nach Jahren der Armut, des Hungers und des Krieges, der Rechtlosigkeit und der Isolation, hofften die Menschen auf Frieden, Sicherheit und Wohlstand. Fausia Kofi, heute Parlamentsabgeordnete, erinnert sich.
    "Für mich war wichtig, dass ich wieder auf die Straße gehen und normal atmen konnte, ohne Burka. Mich hat erst mal nicht interessiert, welches Land einmarschiert, wer hier regiert. Für mich zählte, dass ich normal atmen konnte, ohne dass einer mich kontrolliert, mich fragt, warum ich keine Socken trage und so."
    "Die Gefahr in einen Bürgerkrieg abzurutschen, ist sehr, sehr hoch"
    Fausia Kofi war nicht die einzige Gewinnerin der Intervention. Doch noch immer herrscht in Afghanistan kein Frieden und trotz Milliarden an Entwicklungshilfe ist die Armut nicht ausgerottet. Ein funktionsfähiger afghanischer Staat, der überall für Sicherheit sorgen kann, ist nicht entstanden. Weite Teile Afghanistans sind instabil. Ein Sieg der Taliban ist zwar nicht in Sicht, aber auch keine politische Lösung.
    Der Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kabul, Alexey Yusupov, schilderte die Lage in Afghanistan im Dezember 2016 so: "Es gibt durchaus Orte, Städte, Provinzen, wo es keine offenen Kampfhandlungen gibt. Aber es gibt keine Provinz, die losgelöst vom allgemeinen Trend der Verschlechterung der Sicherheitslage irgendwie dastünde. Und die Gefahr in einen Bürgerkrieg abzurutschen, ist sehr, sehr hoch."
    Vor allem afghanische Zivilisten fallen dem Konflikt zum Opfer. Die UNO zählte in der ersten Hälfte 2017 rund 1.700 Tote und etwa 3.600 Verletzte, überwiegend durch Angriffe von Taliban und anderen islamistischen Gruppen, Milizen und organisierte Kriminalität.
    Dabei dauert der internationale Afghanistan-Einsatz nun schon sechzehn Jahre. Deutschland ist als Teil des internationalen Bündnisses dabeigeblieben.
    Militäreinsatz kostete die Bundesrepublik knapp neun Milliarden Euro
    Rund 135.000 deutsche Soldaten waren inzwischen in Afghanistan eingesetzt, 56 kamen dort ums Leben. Tausende deutsche Entwicklungshelfer und Berater waren in dem Land tätig. Bis Ende 2014 kostete der Militäreinsatz die Bundesrepublik knapp neun Milliarden Euro. Die zivile Unterstützung aus Deutschland belief sich auf rund vier Milliarden Euro. Nur ein Bruchteil des Engagements der internationalen Gemeinschaft.
    War der internationale Einsatz, also auch das deutsche militärische und zivile Engagement, vergeblich? Generalleutnant a.D. Rainer Glatz war von 2009 bis 2013 Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, das die Auslandseinsätze militärisch plant und führt. Er zögert, die Frage mit Ja oder Nein zu beantworten, dazu sei es noch zu früh.
    "Weil ja die internationale Gemeinschaft sich nach Abzug der Truppen aus der ISAF-Mission verpflichtet hat weiter mit der Operation Resolute Support in Afghanistan zu bleiben, um die afghanischen Sicherheitskräfte in der Ausbildung anzuleiten und zu unterstützen. Und weil die internationale Gemeinschaft sich seit der Geberkonferenz von Tokio verpflichtet hat sich mindestens bis 2024 in einer so genannten Transitionsdekade im zivilen Bereich die Afghanen zu unterstützen."
    Der ehemalige Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, Rainer Glatz (r), und sein Amtsnachfolger, Generalleutnant Hans-Werner Fritz, stehen am 23.04.2013 in Schwielowsee (Brandenburg) nach der feierlichen Amtsübergabe nebeneinander. 
    Der ehemalige Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, Rainer Glatz (r.), und sein Amtsnachfolger, Generalleutnant Hans-Werner Fritz. (dpa / Marc Tirl)
    Entschiedener fällt die Antwort des Grünen-Politikers Tom Königs aus, der in den Jahren 2006 und 2007 als Sondergesandter der Vereinten Nationen die UNO-Mission in Afghanistan leitete.
    "Das was grandios fehlgeschlagen ist, ist: Der innere Frieden ist nicht hergestellt worden. Und zwar im weitesten Sinne. Im militärischen, aber auch in der politischen Auseinandersetzung im Land. Denn wenn die Tendenz des religiösen Fundamentalismus keine Basis hätte in Afghanistan, dann würden die Taliban auch nicht so weit kommen."
    Verhandlungen ohne Taliban
    "Was sicherlich auch nicht richtig war, was damals aber auch nicht anders gegangen wäre: Die Hauptkonfliktpartei, nämlich die Taliban, saßen nicht mit an dem Tisch, an dem Frieden gemacht wurde - auf dem Petersberg. Und da denken wir, glaube ich, heute alle anders."
    Almut Wieland-Karimi, Direktorin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze, bezieht sich auf die Petersberg-Konferenz im Dezember 2001 in Bonn. Dass die Taliban nicht eingeladen wurden, dort mit der internationalen Gemeinschaft über den politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau Afghanistans zu verhandeln, hält auch Rainer Glatz für einen Fehler.
    "Denn vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte hätte man eigentlich wissen müssen, dass man einen Frieden nur gestalten kann mit den Besiegten."
    Mit am Verhandlungstisch saßen stattdessen Vertreter der Nordallianz als Verbündete des Westens im Kampf gegen Taliban und Al Qaeda. Nicht zuletzt deshalb drohe der Konflikt heute entlang der alten Fronten des Bürgerkrieges aufzubrechen, sagt die Afghanistan-Kennerin Almut Wieland-Karimi.
    "Ich glaube schon, dass wir in Afghanistan eine Versöhnung brauchen. Aber wir müssen gleichzeitig auch für unsere Werte einstehen. Und wenn man sich in die Rolle eines einfachen afghanischen Menschen hineinversetzt, da sind Leute, die Familienmitglieder umgebracht haben, sowohl auf Seiten der Taliban, der Warlords oder der Muhajideen. Und das ist nicht zu tolerieren. Ich glaube nicht, dass alle wollen, dass die erschossen werden, aber dass sie Macht in der Gesellschaft bekommen, das ist der falsche Punkt. Wir hätten sie nicht in Machtpositionen bringen dürfen."
    Lange und verlustreiche Mission
    Dass der Einsatz sich zu einer langen und verlustreichen Mission entwickelt hat, führt Rainer Glatz vor allem auf eine frühe strategische Entscheidung des Militärbündnisses zurück.
    "Das heißt, zu Beginn ging man davon aus, wenn man den Großraum Kabul stabilisiert und die Regierung schützt, dass das praktisch eine ausstrahlende Wirkung auf den Rest des Landes haben würde. Dieses war meiner persönlichen Meinung nach von Anfang an eine Fehleinschätzung."
    Denn in weiten Teilen Afghanistans waren zunächst weder der afghanische Staat noch die ISAF oder die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen UNAMA präsent, sagt Glatz. Die Extremisten konnten sich ungestört sammeln, neu aufstellen und erstarken. Die Mission wandelte sich zum Kriegseinsatz, auch wenn in Deutschland lange niemand davon sprechen wollte.
    Einschätzungen des Aufstands wie die des damaligen Chefs des Stabes im ISAF-Hauptquartier in Kabul, Hans-Lothar Domröse, muteten Anfang 2008 wie ein Pfeifen im Walde an.
    "Das was Sie jetzt sehen sind - positiv ausgedrückt - einzelne verzweifelte Anschläge, die auch in anderen Weltregionen leider passieren können. Also von einem Wiedererstarken möchte ich nicht sagen. Ich denke, wir haben ihn ganz gut im Griff."
    Afghanische Sicherheitskräfte am 6. Juni 2017 bei ihrer Ankunft am Anschlagsort vor der Jami-Moschee in der westafghanischen Stadt Herat. Ein in einem Motorrad versteckter Sprengsatz tötete sieben Menschen und verletzte zahlreiche andere.
    Afghanische Sicherheitskräfte nach dem Bombenanschlag in der west-afghanischen Stadt Herat. (AFP PHOTO / HOSHANG HASHIMI)
    Da hatte die ISAF sich längst über Kabul hinaus ausgeweitet. Die Bundeswehr führte das Regionalkommando Nord. US-Präsident Obama wollte den Einsatz erfolgreich beenden. Durch seine Initiative wurde ISAF auf 130.000 Soldaten aus 48 Ländern aufgestockt. Sie konnten die Sicherheitslage vorübergehend verbessern, den Aufstand aber nicht ersticken. Das lag auch daran, dass das regionale Umfeld zu lange ignoriert worden war.
    Pakistan unterstützt die Taliban
    Von Anfang an gewährte Pakistan den Taliban Rückzugsräume, Training, Geld und Waffen. Die Destabilisierung Afghanistans ist im strategischen Interesse des Nachbarn. Erst 2009 setzten die USA, dann auch Deutschland, Sonderbeauftragte für die beiden Länder ein.
    Rainer Glatz: "Man hat den regionalen Blick über die Grenzen Afghanistans hinaus nicht sofort gehabt oder nicht in dieser Dringlichkeit. Und ich kann mich noch gut daran erinnern, dass unter einem britischen COM ISAF im Jahr 2006 sehr stark gepusht worden ist die sogenannte trilateral commission. Das war Afghanistan, Pakistan und ISAF, um eben das grenzüberschreitend zu betrachten als Problem. Meines Erachtens greift auch das noch zu kurz."
    Pakistans Destabilisierungsbemühungen zum Beispiel sind auf den Konflikt mit Indien zurückzuführen. Das Land fürchtet zwischen dem Erzfeind und einem starken Afghanistan zerrieben zu werden.
    Versuche des afghanischen Präsidenten Ghani, zusammen mit Pakistan Verhandlungen mit den Taliban zu führen, die Aufständischen aber auch gemeinsam zu bekämpfen, sind deshalb an Islamabad abgeprallt.
    Operation "Resolute Support"
    Auch in Deutschland war man erleichtert als Barack Obama das Ende des Afghanistan-Einsatzes der Nato für 2014 ankündigte. Kenner hielten das für einen Fehler. Der amerikanische ISAF-Kommandeur David Peträus verteidigte die Entscheidung damals hingegen.
    "Deadlines are great productivity tools" - "Fristen bringen Resultate", so Peträus 2011.
    Damit meinte er vor allem eine afghanische Regierung, die sich allzu lange darauf verlassen hatte, dass das Ausland die innere und äußere Sicherheit des Landes herstellen würde.
    "Wenn wir innerhalb von 14 Jahren nicht in der Lage sind eine halbwegs stabile, funktionsfähige Regierung aufzubauen, dann haben wir nichts Besseres verdient."
    Rangin Dadfar Spanta, Außenminister und nationaler Sicherheitsberater des Präsidenten Karzai, verband die Selbstkritik dennoch mit einem Appell: Hilfe, auch militärisch, bleibe nötig.
    Tatsächlich blieben die Verbündeten - mit anderem Mandat. Operation "Resolute Support", das sind derzeit dreizehneinhalbtausend Soldaten aus 38 Staaten. Sie greifen nicht selbst in Kämpfe ein sondern sollen die afghanischen Sicherheitskräfte ausbilden, anleiten und unterstützen. Mit 980 Mann ist Deutschland zwar zweitgrößter Truppensteller von "Resolute Support", die weitaus meisten Berater, nämlich rund 7.000, und das weitaus meiste Geld, knapp 68 Milliarden Dollar, tragen die USA zur Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte bei.
    US-Soldaten untersuchen das Autowrack eines Selbstmordattentäters in der afghanischen Hauptstadt Kabul.
    Mit rund 7.000 Soldaten sind die USA in Afghanistan aufgestellt. (AFP / Shah Marai)
    Eine 68 Milliarden Dollar-Fehlinvestition?
    Eine Fehlinvestition, folgt man John Sopko, dem Sonderbeauftragten der amerikanischen Regierung für den Wiederaufbau in Afghanistan.
    Im Januar teilte er mit: "Seit 2002 ist mehr als die Hälfte der US-Gelder für den Wiederaufbau in Aufbau, Ausstattung, Ausbildung und Unterhalt der afghanischen Sicherheitskräfte geflossen. Trotzdem sind die afghanischen Sicherheitskräfte weiterhin nicht in der Lage ganz Afghanistan zu sichern und haben Gebiet an die Aufständischen abgegeben."
    Ende 2016 kontrollierten Afghanistans Soldaten und Polizisten weniger als zwei Drittel des Landes. Im Jahr davor hatten sie noch über rund 70 Prozent des Landes die Oberhand.
    Darunter leidet auch der zivile Aufbau, trotz unübersehbarer Erfolge: Ob Gesundheitsversorgung, Lebenserwartung oder Schülerzahl - die Lebensumstände der Afghanen haben sich deutlich verbessert. Die Abgeordnete Fausia Kofi setzt die Liste fort.
    "Es ist viel Gutes geschehen in Afghanistan. Die Verfassung, demokratische Einrichtungen wie das Parlament, der Zugang von Frauen zu Schulen, zu Arbeit, zur Zivilgesellschaft."
    Zerstrittene Regierung in Kabul
    Doch die Demokratie ist in Misskredit geraten, weil Wahlen von Manipulationen überschattet waren; eine zerstrittene Regierung in Kabul ist mit sich selbst beschäftigt, statt Korruption zu bekämpfen, für Rechtssicherheit zu sorgen und eine funktionsfähige Verwaltung aufzubauen.
    Und die Erfolge im Gesundheits- und im Bildungswesen tragen paradoxerweise zur Krise bei. Die Menschen brauchen Arbeit. Doch eine Wirtschaft, die auf eigenen Füssen stehen kann, hat sich nicht entwickelt. Führend ist nur die Opium-Industrie, die den Aufstand finanziert.
    Dabei habe Afghanistan durchaus Potential, meint Alexey Yusupov von der Friedrich-Ebert-Stiftung.
    "Diese Verbindungen zwischen Indien, Pakistan und Zentralasien und Iran und China ist Afghanistan fast dazu prädestiniert zum Verkehrsknotenpunkt zu werden, wenn die Lage mal friedlicher ist. Es gibt unglaublich viele Bodenschätze, es gibt bestimmte Dinge, die Afghanistan produzieren kann. Es kann sich landwirtschaftlich selbst ernähren. Das große Aber: Das wird meines Erachtens nicht passieren, so lange wir auch als Westen eine Kriegsökonomie dort subventionieren."
    Afghanische Bauern bei der Ernte von Schlafmohn.
    Der Anbau von Schlafmohn, aus dem Opium hergestellt wird, ist für afghanische Bauern lukrativ. (picture alliance / dpa / Ghulamullah Habibi)
    Darunter leidet vor allem die städtische Mittelschicht. Nach 2014 verloren viele Afghanen ihre Jobs beim ausländischen Militär, bei der UNO und bei Hilfsorganisationen. Eine junge Gesellschaft mit hoher Arbeitslosigkeit, das fördert Verteilungs-Konflikte und Instabilität in Afghanistan und speist die Migration Richtung Europäische Union.
    Kein kompletter Fehlschlag
    Trotzdem war die Intervention in Afghanistan kein kompletter Fehlschlag. Tom Königs verweist darauf, dass Al Qaeda der sichere Hafen genommen wurde, von dem aus die Terrororganisation Anschläge in aller Welt vorbereiten konnte.
    "Man muss sich auch fragen, was hat man eigentlich verhindert. Und wir müssen uns ja jetzt fragen, ob nicht rechtzeitig eine Mission - zivile oder militärische - nach Syrien vieles verhindert hätte. Und das Zeug zu einem vergleichbaren Gemetzel wie in Syrien hatte der Afghanistan-Konflikt durchaus. Und hat er immer noch."
    Königs erinnert auch an einen anderen Effekt des Afghanistaneinsatzes: Er habe der Integration der Nato einen kräftigen Schub gegeben und er habe die Bundeswehr verändert.
    "Etwas, was eine verschlafene Wachtmeistertruppe war, ist dann zu einem zumindest aktivierbaren im internationalen Verband geworden. Und das finde ich angemessen für die Veränderung, für die Internationalisierung der deutschen Politik."
    Insbesondere die Provinz Kunduz wurde für das deutsche ISAF-Kontingent zu einer Bewährungsprobe. ISAF-Kommandeur David Peträus zollte den Deutschen 2011 seinen Respekt.
    "All Germans can be very proud" - "Alle Deutschen können sehr stolz sein auf die Professionalität, die Expertise, den Mut und das Geschick, mit denen die Soldaten sehr komplexe Operationen ausgeführt haben."
    Einen bitter erkauften Erfolg, betont der ehemalige Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, Rainer Glatz. Das "standing" der Deutschen im Kreise der Nato habe sich im Laufe von ISAF aber tatsächlich verbessert.
    Der Einsatz ist heute unbeliebt
    Laut Almut Wieland-Karimi hat der Einsatz in Afghanistan auch der vernetzten Sicherheit gedient. Die Abstimmung von Soldaten, Polizisten, Entwicklungshelfern und Diplomaten bei der Arbeit in einem Krisengebiet ist normal geworden. Die Stützpunkte der Deutschen in Nordafghanistan hießen offiziell "Wiederaufbauteams" und wurden von einem Offizier und einem Diplomaten geführt, um sichere Rahmenbedingungen für den Aufbau zu schaffen.
    Die deutsche Öffentlichkeit nimmt von solchen Fortschritten kaum Notiz. Der Afghanistaneinsatz ist heute unbeliebt. Tom Königs wundert das nicht.
    "Das ist einfach Politik, dass man mal mehr eine internationalistische Verantwortung auch für die Stabilisierung instabiler Weltregionen fühlt und dass dann auch wieder mit Misserfolgen oder mit Fällen, wo man sich geleimt vorkommt, wie bei Irak die Engländer. Solche Fälle, das vergiftet dann die Atmosphäre."
    Die ablehnende öffentliche Einstellung führt Rainer Glatz auch auf die deutsche Geschichte zurück.
    "Das ist sicherlich ein belastendes Momentum in dieser Diskussion. Das ist überhaupt gar keine Frage. Zweitens ist Anwendung militärischer Gewalt immer das äußerste Mittel, das ein Staat einsetzen kann. Insofern ist es aus meiner Sicht normal, wenn in einer offenen, demokratischen Gesellschaft das auch kritisch betrachtet wird."
    Zumal Afghanistan eben bis heute nicht allein überlebensfähig ist und das auch an politischen und strategischen Fehleinschätzungen der internationalen Gemeinschaft liegt.
    Ob Deutschland dabeibleibt, ist letztlich eine politische Entscheidung. Die Verlängerung des Bundeswehrmandats steht frühestens im Herbst im Bundestag an. Tom Königs findet zwar, dass die Nato nicht unbegrenzt in Afghanistan bleiben dürfe. Bis dahin aber müsse Deutschland an diesem internationalen Einsatz teilnehmen, um berechenbar und zuverlässig zu sein, aber auch, um gestalten und begrenzen zu können.
    "Ich glaube, Berechenbarkeit ist wichtig und auch langfristig Entscheidungen durchzuhalten. Ich würde die Truppen nicht aufstocken. Ich würde sie aber auch nicht vermindern."